Mobilitätswende ausgebremst? Greenpeace kritisiert teure ÖPNV-Tarife in Europa
Die Folgen der Klimakrise sind allgegenwärtig und die Straßen sind verstopft. Doch nur wenige Länder in Europa bieten inzwischen kostengünstige öffentliche Verkehrsmittel- und somit eine gute Alternative zum Auto an. Deutschland hat zwar mit dem 49-Euro-Ticket aufgeholt - zählt aber nicht zu den Spitzenreitern.
Komplizierte Tarife und hohe Preise behindern laut einer Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace in den meisten europäischen Ländern die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Das geht aus einem Länder-Ranking hervor, das Greenpeace in Berlin veröffentlichte. Deutschland rückte - knapp vor der Präsentation der Studie - dank des neuen 49-Euro-Tickets deutlich auf und liegt auf Platz vier hinter Luxemburg, Malta und Österreich.
In den meisten Ländern seien Bus und Bahn häufig zu unattraktiv, um für mehr Menschen eine klimaschonende Alternative zum Auto zu sein, kritisierte die Umweltorganisation. Ausnahmen bilden demnach Luxemburg und Malta, wo öffentliche Verkehrsmittel gratis sind, sowie Österreich, Ungarn und eben neuerdings auch Deutschland, wo relativ günstige landesweite ÖPNV-Tickets angeboten werden.
"Das Deutschlandticket ist längst nicht perfekt, aber es rückt Bus und Bahn endlich dorthin, wo sie hingehören: in den Mittelpunkt einer nachhaltigen Mobilität", erklärte Greenpeace-Mobilitätsexpertin Marissa Reiserer. "Den öffentlichen Verkehr mit einem besseren Angebot zu stärken, ist ein guter Weg, um die viel zu hohen Emissionen im Verkehr zu senken und vor allem ärmere Menschen zu entlasten."
Zypern, Spanien und die Schweiz machen es vor
Greenpeace vergleicht in seinem Ranking allerdings nur Preis und Ausgestaltung der ÖPNV-Tickets, nicht jedoch die Qualität des Verkehrsangebots. "Das Ranking klopft im Grunde die Zulassung zur Mobilitätswende ab", erklärte Reiserer. Relativ gut schneiden auch Zypern, Spanien und die Schweiz ab, Schlusslichter sind Griechenland, Kroatien und Bulgarien.
Greenpeace forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP auf, sich nun voll auf den Ausbau der Bahn zu konzentrieren. Generell müssten Bund und Länder mehr Geld für öffentliche Verkehrsmittel bereitstellen, um Angebote sowohl in Städten und deren Umfeld als auch im ländlichen Raum zu verbessern.
Zudem solle das 49-Euro-Ticket so verbessert werden, "dass es auch für Leute außerhalb von Großstädten und für ärmere Menschen zu einer echten Alternative wird", verlangte die Organisation. Dazu zählten Mitnahmeregelungen sowie einheitliche, vergünstigte Sozialtickets für einkommensschwache Haushalte.
Heise 04.05.2023 Andreas Wilkens
Das Deutschlandticket sorgt dafür, dass Deutschland für die Umweltschutzorganisation Greenpeace in Sachen Klimaschutz und Verkehr recht weit oben abschneidet.
Deutschland belegt in einer aktuellen Greenpeace-Rangliste der klimafreundlichsten öffentlichen Verkehrssysteme den vierten Platz von insgesamt 30 bewerteten europäischen Ländern. Für die Umweltschutzorganisation maßgebend war das Deutschlandticket, das seit dieser Woche im ÖPNV und im Regionalverkehr gilt.
Während Deutschland von Greenpeace 69 von 100 Punkten bekam, erhielt Luxemburg als einziges Land die volle Punktzahl. Dort können seit 2020 alle öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzt werden. Allerdings habe das ticketlose Fahren den Pkw-Verkehr noch nicht wesentlich in den ÖPNV verlagert, erläutert Greenpeace (PDF). Das liege wohl daran, dass mehr als 200.000 Menschen in Luxemburg ein- und auspendeln. Diese würden für die anderen Länder Tickets benötigen.
Flickenteppich Deutschland
Für Deutschland gab Greenpeace zu bedenken, dass mit dem Deutschlandticket nicht alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzt werden können, Fernzüge bleiben außen vor. Es gebe keine generellen Sozialrabatte, die Bundesländer könnten solche Nachlässe auf eigene Kosten gewähren.
Hessen beispielsweise biete Geringverdienenden das Deutschlandticket für 31 Euro an. Da zahlreiche weitere Ausnahmen und Zusatzregelungen geplant seien, könne dies zu einem Regelungsflickenteppich führen.Solche Einschränkungen gibt es in Malta nicht, wo seit Oktober 2022 fast alle öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos genutzt werden können. Expressbusse und die Fähren zwischen den beiden Hauptinseln sind allerdings weiter kostenpflichtig, deshalb auch landete Malta bei Greenpeace mit 88 Punkten auf dem zweiten Platz. Züge oder Straßenbahnen gibt es in Malta nicht, anders als in Österreich, mit 81 Punkten auf Platz 3. Punktabzüge gab es hier unter anderem für den Preis des 2021 eingeführten Klimatickets, der mit umgerechnet 3 Euro täglich für Greenpeace zu hoch ist. Das Klimaticket gilt landesweit, aber auch für den überregionalen Schienenverkehr in Österreich.
Greenpeace hat auch die Hauptstädte der 30 Länder einzeln betrachtet. Hier kam Berlin auf 66 Punkte und damit auf Platz 23. Dort sei bis zur Einführung des Deutschlandtickets ein Regionalticket für 29 Euro erhältlich gewesen. Es sei unklar, ob dies wieder eingeführt werde, deshalb seien diese Erwägungen nicht in die Bewertung einbezogen worden. Mit 100 Punkten vorbildlichste Hauptstadt ist für Greenpeace Tallinn in Estland, zusammen mit Luxemburg und Valetta (Malta). Tallinn ist seit 2013 die erste europäische Stadt, die ihren Einwohnern kostenlosen ÖPNV bietet.
In Deutschland wendet Greenpeace zum Deutschlandticket ein, dass es nur mit einem besseren ÖPNV-Angebot und Einschränkungen für den Pkw-Verkehr erfolgreich sein könne. Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisierte an dem bundesweiten Fahrschein, dass es etliche Ausnahmen zu beachten gelte, die sich die Fahrgäste selbst zusammensuchen müssten. In Sachsen kritisierten Pro Bahn und die Verbraucherzentrale, dass der Zugang mit Smartphone-App oder ein reiner Online-Vertrieb nicht barrierefrei seien. Auch fehle es an Zusatztickets für Fahrräder, Hunde oder weitere Personen; durch viele verbundinterne Regelungen für solcherlei gebe es wieder einen Tarifdschungel.
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