Montag, 1. Mai 2023

Dürre in Frankreich: Ein bisschen Wasser für Tomaten, ein bisschen für Atomkraft

hier Zeit  Von Annika Joeres  22. April 2023

Frankreich befindet sich im klimatischen Ausnahmezustand und streitet ums Wasser: Das Grundwasser versiegt, die Proteste eskalieren. Eine neue Strategie soll beruhigen.

Dass sich Frankreich in einem klimatischen Ausnahmezustand befindet, erfuhren die Bewohnerinnen und Bewohner von vier südfranzösischen Kommunen vor wenigen Tagen per SMS. 

Diese enthielt eine Warnung, das Leitungswasser zu trinken – es könne gesundheitsgefährdend sein.
Das Grundwasser ist in der Winterdürre so tief gesunken, dass es nicht mehr aus der üblichen Bohrstelle entnommen werden konnte. Anstatt den Hahn ganz abzudrehen, werde nun Wasser aus Brunnen für die Landwirtschaft genutzt, dessen Qualität nicht ausreichend für den Konsum sei, erklärte die zuständige Wasserbehörde. 3.000 betroffene Menschen mussten vor dem Rathaus Schlange stehen, um sich ihre Ration an Plastikwasserflaschen abzuholen.

Nur wenige Kilometer südlich von den betroffenen Kommunen entfernt herrscht der nächste Ausnahmezustand: Viele Hunderte Hektar Pinienwald brannten am Wochenende an der Grenze zu Spanien nieder. Zuvor loderten die Flammen auf den Hügeln rund um die südfranzösische Metropole Nizza. Dutzende Familien mussten evakuiert werden, Hunderte Feuerwehrleute waren im Einsatz. Die genauen Ursachen sind noch unklar, aber sicher ist: Extreme Trockenheit und kaum Niederschlag haben das Feuer begünstigt. Die Dürrekarten einiger Regionen wechseln zunehmend von orange ins tiefrote Signal für "extreme Dürre".

    Nichts deutet darauf hin, dass sich die Situation verbessern wird.
Emmanuel Macron

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat kürzlich am Lac de Serre-Ponçon, dem größten Stausee Frankreichs, nicht weit von den Feuern entfernt, seinen nationalen Wasserplan vorgestellt. Er ist der Erste seiner Art in Frankreich. Macron sparte dabei nicht an eindringlichen Worten: "Wir hatten eine außergewöhnliche Dürre im vergangenen Sommer, mit 2.000 Kommunen, die um ihr Trinkwasser fürchten oder es sogar nicht mehr zur Verfügung stellen konnten", sagte er. "Aber diese Dürre wird in Zukunft nicht außergewöhnlich sein – nichts deutet darauf hin, dass sich die Situation verbessern wird." Aufgrund der Klimakrise stünde Frankreich im Jahr 2050 bis zu 40 Prozent weniger Wasser zur Verfügung. "Daher müssen wir nun vorsorgen, allein schon, um über den nächsten Sommer zu kommen." Ähnlich, wie das Energiesparen im Winter gelungen sei, sollen nun wichtige Sektoren bis zum Sommer Wassersparpläne ausarbeiten.

Denn bislang können die einzelnen Regionen nur oberflächliche Restriktionen aussprechen: Bürgerinnen und Bürger sollen ihre Autos nicht mehr waschen, ihre Pools nicht mehr neu befüllen und die Gärten nicht mehr gießen. Nun aber, so kündigte es Macron an, sollen alle großen Wasserverbraucher – das sind in Frankreich vor allem die Landwirtschaft, die Atomkraftwerke und eben die privaten Haushalte – zehn Prozent Wasser einsparen.

Für letztere hatte der Staatschef die konkreteste Idee: Landesweit sollen Bürgerinnen und Bürger weniger Geld bezahlen für die ersten Kubikmeter Wasser, die sie nutzen. Diese sollen ausreichen, um den Grundbedarf zu decken – um zu trinken, zu kochen, zu duschen und Wäsche zu waschen. Für alle weiteren Verbräuche, die Macron als "Komfort-Konsum" bezeichnete, sollen dann höhere Tarife gelten. Dieses Modell wird schon in einigen Kommunen Frankreichs erprobt, mit vielversprechenden Resultaten: Der Konsum ging mit den gestaffelten Tarifen meist deutlich zurück.

Bei den großen Wasserverbrauchern greift der Wasserplan nicht

"Es ist sehr positiv, dass der Präsident selbst diesen Wasserplan vorgestellt hat, um seine Wichtigkeit zu unterstreichen", sagt Magali Reghezza, Geografin und Mitglied des Hohen Klimarates in Frankreich. Damit seien die Folgen der Klimakrise auf kommende Wassernöte erstmals an höchster Stelle benannt worden. Allerdings vermisst Reghezza konkrete Vorgaben, wie denn nun tatsächlich Wasser eingespart werden solle. "Macron hat etwa nur vage davon gesprochen, wie die Landwirtschaft weniger konsumieren kann, dabei ist sie mit Abstand der größte Wassernutzer in Frankreich."

Tatsächlich prophezeite Macron sogar, dass in Zukunft noch mehr Felder künstlich beregnet werden müssten als bislang. Mit neuen Techniken, etwa der sparsamen Tröpfchenbewässerung, ließe sich der Konsum insgesamt zwar auf gleichem Niveau halten. Doch Reghezza ist das zu wenig ambitioniert. "Wir kommen mit kleinen Gesten und neuen Technologien allein nicht weiter", sagt sie. Es brauche ein durchgreifendes, neues Modell, wie Nahrung angebaut werden kann.

In der Landwirtschaft müssten andere Sorten genutzt werden, die Böden müssten bedeckt und damit besser vor Verdunstung geschützt und das vielversprechende Modell der Agroforstwirtschaft flächendeckend eingeführt werden: In diesem werden Bäume – etwa Walnuss- oder Apfelbäume – auf Feldern gepflanzt, spenden so Schatten und bringen zusätzliche Erträge. "Wir müssen größer denken – und die Transformation finanziell, juristisch und steuerlich ermöglichen." Um das Wasser zu schützen, müsse die Landwirtschaft und der Tourismus neu gedacht werden.

Aber genau das sind zwei sensible Punkte. Immer wieder stellt sich vor allem in Südfrankreich die Frage: Wer hat Vorrang? Sind es die Golfplätze, die Touristen anziehen? Oder doch eher Landwirte und Landwirtinnen, die Tomaten und Pfirsiche kultivieren? Schon jetzt gelten in der touristischen Region der Alpes-Maritimes, die sich von Saint-Tropez bis zur französisch-italienischen Grenzstadt Menton am Mittelmeer entlang zieht, strenge Regeln: Bauern und Bäuerinnen dürfen nur noch zwischen zwanzig Uhr abends und acht Uhr morgens bewässern. 

Private Poolbesitzer hingegen dürfen weiterhin ihre Bassins aufstocken oder sogar komplett neu füllen, wenn das Becken gerade gebaut wird. Und das, obwohl die Schwimmbecken in der Region mindestens zehn Prozent des Wasserverbrauchs ausmachen, wie Zahlen von Arnaud Rostan nahelegen, dem technischen Direktor des regionalen, staatlichen Wasserversorgers Eau d'Azur. Die gesamte Landwirtschaft dieser bergigen Region verbraucht hingegen nur einen Bruchteil davon, nämlich rund ein Prozent.

Diese Abwägung zwischen denen, die Wasser weiter nutzen dürfen, und anderen, die sich beschränken müssen, wird die französische Regierung und ihre regionalen Parlamente wohl noch stärker diesen Sommer umtreiben, sagt Rostan. Tatsächlich fehlt diese künftig notwendige Hierarchisierung bislang noch in der vorgestellten Wasserstrategie.

Auch die Atomkraftwerke, die zu den größten Wassernutzern im Land zählen, sollen sparsamer Strom produzieren. Bestimmte Baulinien geben das meiste Wasser wieder zurück an die Flüsse, erwärmt durch den Kühlungsprozess im Reaktor. Bei anderen entweicht es als Wasserdampf unwiederbringlich in die Luft. Beides wird in trockenen Zeiten große Probleme bei der Energieversorgung bereiten: Das Land ist zu rund 70 Prozent von Atomstrom abhängig. Das für sie verfügbare Flusswasser wird in der Klimakrise weniger werden und das von den Kraftwerken erwärmte Wasser, das in die Flüsse zurückgeleitet wird, belastet bei Hitze zusätzlich die Ökosysteme.

Fachleute gehen davon aus, dass die Rhône, der größte Fluss Südfrankreichs mit fünf angesiedelten Kernkraftwerken, bis 2050 im Schnitt bis zu 40 Prozent weniger Wasser tragen wird. "Wir müssen unsere Atomkraftwerke an diese Bedingungen anpassen und sie umbauen", sagte Macron dazu in seiner Rede. Viele Experten bezweifelten jedoch daraufhin, dass sich der Verbrauch der AKW so leicht verringern ließe. Ein Mitarbeiter des Umweltministeriums wird in einem Artikel des Magazins Le Point mit den Worten zitiert, es sei kein Geld für mögliche Umbauten eingeplant – denn die Kosten wären "exorbitant und der Nutzen gering".

Gewaltsame Konflikte um Speicher-Bassins für die Landwirtschaft

Der problematische Wasserbedarf von Atomkraftwerken wird allerdings in der französischen Öffentlichkeit kaum diskutiert. Viel Aufmerksamkeit hingegen bekommen örtliche Projekte für die Landwirtschaft wie die sogenannten Megabassins, die Bäuerinnen und Bauern in trockenen Sommern Wasser für ihre Felder zur Verfügung stellen sollen. Das Prinzip: Im Winter werden aus dem Grundwasser Hunderttausende Kubikmeter in einen künstlichen See hochgepumpt, aus dem im Sommer bewässert werden soll. Für die Agrarbranche – vor allem für ihre konventionellen Fürsprecher – ist dies ein Weg aus der Krise. Für viele Umweltaktivisten und den Verband der bäuerlichen Landwirtschaft werde diese Praxis allerdings eine rückwärtsgewandte Anbauweise zementieren, in der beispielsweise Felder ohne Bodenbedeckung austrocknen und durstiger Mais zur Energiegewinnung genutzt wird. Auch der Agrarwissenschaftler und Autor des Weltklimarates IPCC, Jean-François Saussana, warnte in einer Anhörung vor französischen Parlamentariern davor, dass es sich bei den Megabassins um eine "falsche Anpassung" handele.

Für Expertin Reghezza gebe es zwar einen wissenschaftlichen Konsens darüber, dass Wasser in Zukunft gespeichert werden müsse. Die Bassins seien aber teuer, energieaufwändig und wenig ergiebig: Große Mengen des an die Oberfläche transportierten Grundwassers verdunsteten wieder. Zudem sei das Grundwasser ohnehin schon in einem schlechten qualitativen und quantitativen Zustand. Es könne nicht zusätzlich angezapft werden. "Die Lösung sind humusreiche, gesunde Böden, die Wasser aufnehmen können."

Tatsächlich eskaliert in Frankreich, dem größten Agrarproduzenten der Europäischen Union, der Konflikt um das Wasser für die Landwirtschaft. In Saint-Soline, einem 300-Seelen-Dorf östlich von Bordeaux, demonstrierten vor einigen Wochen Tausende Menschen gegen das dortige Projekt eines Megabeckens. Die Proteste endeten in Gewalt: Polizeiwagen brannten, Beamte feuerten Gummigeschosse ab, versprühten Tränengas und warfen Granaten. Die unabhängige Menschenrechtskommissarin Frankreichs kritisierte den Einsatz der Sicherheitskräfte als unverhältnismäßig. Und noch immer schwebt ein junger Umweltaktivist in Lebensgefahr, ein weiterer ist erst Tage nach der Demonstration aus dem künstlichen Koma erwacht.

Macrons Wasserplan muss offenbar noch mehr konkrete Antworten bieten, um das wertvolle Gut in Zukunft friedlich verteilen zu können. 

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