Dienstag, 1. November 2022

Greenpeace zum Klimaschutzbeitrag des Verkehrsministers: „besonders dreist“

Die Zeit  hier  Von Jona Spreter  31. Oktober 2022

Klimapolitik : Klimaschutz-Sofortprogramm für den Verkehr ist unzureichend

271 Millionen Tonnen Treibhausgase müssen im Verkehrssektor bis 2030 eingespart werden. Wie das gehen soll, will die Bundesregierung im Frühjahr erneut beraten.

Das Klimaschutz-Sofortprogramm für den Sektor Verkehr ist trotz Nachbesserungen nicht geeignet, die Klimaschutzziele der Bundesregierung für das Jahr 2030 zu erreichen. Das erfuhr ZEIT ONLINE aus Regierungskreisen. Demnach besteht im Verkehrssektor noch immer eine Lücke von 118 bis 175 Millionen Tonnen von insgesamt 271 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen, die eingespart werden müssen. Trotzdem soll das Programm nun in die Ressortabstimmung gehen. Im Frühjahr 2023 will die Bundesregierung dann ein weiteres Maßnahmenpaket vorlegen.

Arbeitsverweigerung statt Klimaschutz

Die Lücke im Verkehrssektor ergebe sich "aus Unsicherheiten und Unterschieden bei den zugrunde liegenden Annahmen, unterstellten Wirkungszusammenhängen und geänderten Rahmenbedingungen", heißt es in einem Regierungspapier, das ZEIT ONLINE vorliegt. Um die gesetzlichen Klimaziele zu erreichen, müssten deswegen in einem nächsten Schritt "weitere wirkungsvolle Maßnahmen" zur Emissionsminderung beschlossen werden. Dies sei auch deshalb erforderlich, da mit den bisherigen Maßnahmen auch andere zentrale verkehrspolitische Ziele nicht erreicht würden. Dazu zähle beispielsweise der Hochlauf des Bestandes an Elektro-Pkw auf 15 Millionen bis 2030.

Bisher sieht das Papier unter anderem einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, Sanierungsmaßnahmen im Gebäudesektor und den Ausbau des Ökolandbaus vor. In den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie und Gebäude könnten so bis 2030 ausreichend Treibhausgase eingespart werden. Im Bereich Verkehr sind unter anderem Vorgaben und Programme zur Förderung der Elektromobilität vorgesehen, außerdem soll der Schienenverkehr und der klima- und umweltfreundliche Stadt- und Regionalverkehr ausgebaut werden, auch sollen mehr erneuerbare Kraftstoffe genutzt werden.

Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 um 65 Prozent sinken

Das Klimaschutz-Sofortprogramm soll Deutschland in die Lage versetzen, seine Klimaziele einzuhalten. Bis 2030 etwa sollen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken. Dafür müssen alle Sektoren, darunter die Schlüsselbereiche Gebäude und Verkehr, ihren Beitrag leisten. Werden die Ziele verfehlt, müssen die betroffenen Ministerien reagieren und Maßnahmen ergreifen. Zuletzt hatte der Klimaexpertenrat der Bundesregierung – ein mit fünf Sachverständigen besetztes Gremium – im Sommer die Sofortprogramme in den Bereichen Verkehr und Gebäude kritisiert.

Das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium beispielsweise hatte im Juli lediglich Pläne zum Ausgleich der Emissionslücke aus dem vergangenen Jahr vorgelegt. Die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, sagte damals, das sei "eine sehr spezielle Interpretation" des Klimaschutzgesetzes.  


Süddeutsche Zeitung hier  31. Oktober 2022  Von Markus Balser, Berlin

Habeck kontra Wissing: Ampelstreit blockiert Klimaprogramm für den Verkehr

Wirtschafts- und Verkehrsminister können sich nicht auf Sofortmaßnahmen im größten Problemsektor einigen. Der selbsterklärte Klimavorreiter Deutschland geht schwer belastet in den UN-Gipfel in Ägypten. 

Wenn sich vom 6. November an im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich Vertreter aus etwa 200 Staaten zum nächsten UN-Klimagipfel treffen, wird Bilanz gezogen. Denn die Staaten der Welt hatten sich beim Gipfel in Glasgow 2021 die Aufgabe gestellt, ihre Ziele nachzuschärfen. Das große Vorhaben: das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Es besagt, dass sich die Erde bis 2100 um maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erhitzen darf.

Doch seit Montag ist klar: Die Bundesregierung reist mit einer großen Hypothek nach Ägypten. Ausgerechnet das Land, das sich als Klimavorreiter sieht, kann sich in seinem größten Problembereich nicht auf deutlich wirksamere Maßnahmen einigen. Dem zuständigen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck gelang auch nach monatelangen Diskussionen keine Einigung mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf ein ausreichendes Klimaschutz-Sofortprogramm.

Habeck legte zwar am Montag nach Angaben aus Ministeriumskreisen Eckpunkte für das seit Langem erwartete Programm vor. Doch das bleibt ein Torso. Denn ausgerechnet im größten Problembereich "Verkehr" reichen die Maßnahmen bei Weitem nicht aus. Weil eine Einigung zwischen Habeck und Wissing in diesem Jahr nicht mehr möglich schien, verschob die Regierung weitere Gespräche nun notgedrungen auf 2023. "Die Verständigung über weitere Maßnahmen zur Schließung der Klimaschutzlücke im Verkehr soll bis zum kommenden Frühjahr abgeschlossen sein", erklärten Regierungsvertreter am Montag. 

Wissings Vorschläge gelten als unzureichend

Dabei drängt eigentlich die Zeit. Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein und muss bis 2030 den CO₂-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber 1990 kürzen. Derzeit liegt man lediglich bei 40 Prozent. Um das Klimaschutz-Sofortprogramm und damit eine Verschärfung des Klimaschutzes wird in der Regierung seit Monaten gerungen. Es ist im Koalitionsvertrag verankert und soll sicherstellen, dass die Problembereiche rasch nachgebessert werden, wenn sie unter Plan liegen.
Doch das federführende Wirtschaftsministerium liegt seit Monaten vor allem mit dem Verkehrsministerium über Kreuz. Die von Volker Wissing vorgeschlagenen Instrumente, um in seinem Sektor wieder auf Kurs zu kommen, waren von Experten als unzureichend bezeichnet worden. Wissing wollte jedoch keine weiteren Vorschläge unterbreiten.

Der Verkehr gilt in Deutschland als einer der ganz großen Klima-Problembereiche. Seit Jahren reißt dieser Sektor die eigenen Ziele, so auch im vergangenen Jahr. Laut deutschem Klimagesetz müssen die Emissionen nun allerdings bis 2030 um fast die Hälfe sinken. Von den 148 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen im vergangenen Jahr dürfen 2030 nur noch 85 Millionen an jährlichen Emissionen übrig bleiben.

Interne Einschätzungen machen die Dimension der Probleme klar. In Kreisen des Wirtschaftsministeriums befürchtet man, dass bis Ende des Jahrzehnts ein zusätzlicher "Minderungsbedarf von 118 bis 175 Millionen Tonnen" im Verkehrssektor bleibt, um die Ziele bis 2030 zu schaffen. Es bestehe damit nach wie vor erheblicher weiterer Handlungsbedarf in diesem Sektor, hieß es.

Wirtschaftsministerium verlangt deutlich höheres Tempo

In Kreisen des Wirtschaftsministeriums wird nun ein deutlich höheres Tempo in allen Sektoren angemahnt: Die Emissionsminderung müsse schneller als bisher erfolgen, um die Ziele des Bundes-Klimaschutz-Gesetzes in den kommenden Jahren zu erreichen", hieß es in Ministeriumskreisen. Insgesamt müsse sich das Tempo zunächst bis Mitte dieses Jahrzehnts mehr als verdoppeln und dann bis 2030 nahezu verdreifachen.

Trotz massiver Defizite im Sofortprogramm wollte die Regierung das Verabschieden des Eckpunktepapiers offenbar nicht vollends platzen lassen. In Regierungskreisen hieß es, die angepeilten Instrumente im Konzept aus den übrigen Bereichen wie Landwirtschaft, Energie oder Industrie reichten aus, um die Ziele zu erreichen. Daher wolle man in einem ersten Schritt zunächst diese auf den Weg bringen.

Die FDP pocht allerdings darauf, dass mit der Einigung auf ein Programm auch das Klimaschutzgesetz geändert wird. Dieses sieht derzeit vor, dass jeder Sektor jedes Jahr klare Obergrenzen der CO₂-Emissionen erreichen muss. Die FDP will hier mehr Flexibilität über Jahre hinweg und auch eine Verrechnung unter den Sektoren möglich machen.


RND  hier  Kommentar zu verfehlten Klimazielen von Andreas Niesmann  01.11.2022

Ein Armutszeugnis der deutschen Verkehrspolitik

FDP-Verkehrsminister Volker Wissing schafft es nicht, einen Plan vorzulegen, wie der Verkehrssektor seine Klimaziele erreichen soll. In der Woche vor der UN-Klimakonferenz ist das ein verheerendes Signal, kommentiert Andreas Niesmann. Dabei liegt ein einfaches und schnell umsetzbares Instrument auf der Hand.

Mit Lückenschlüssen kennen sie sich im Bundesverkehrsministerium eigentlich aus – zumindest, wenn es um die Lücken im deutschen Autobahnnetz geht. Die zu schließen, daran arbeiten für gewöhnlich gleich mehrere Referate gleichzeitig.

Beim Klimaschutz hingegen ist das Haus von FDP-Minister Volker Wissing weniger ambitioniert. Nicht nur, dass der Verkehrssektor seine Klimaziele immer wieder aufs Neue reißt. Die Wissing-Truppe sieht sich auch als einziges Ministerium nicht in der Lage, einen verbindlichen Plan aufzustellen, wie die gesetzlich vorgeschriebene CO₂-Reduzierung bis 2030 erreicht werden soll. Es ist – man kann das nicht anders sagen – ein Armutszeugnis der deutschen Verkehrspolitik.

Entweder, Wissing will nicht Ernst machen beim Klimaschutz, weil er trotz anderslautender Bekenntnisse die Notwendigkeit nicht sieht. Oder aber er kann nicht, weil Parteichef Christian Lindner ihm das naheliegendste und kostengünstigste Instrument, ein allgemeinverbindliches Tempolimit, aus der Hand geschlagen hat. So oder so ist es ein verheerendes Signal, das der selbsternannte Klimavorreiter Deutschland ausgerechnet in der Woche sendet, in der die UN-Klimakonferenz in Ägypten beginnt.

Die gute Nachricht ist, dass es so nicht bleiben kann und auch nicht bleiben wird.
Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass das Verkehrsministerium nachbessern muss. Bis Frühjahr 2023 sollen weitere Instrumente gefunden werden, um die Minderungslücke zu schließen. Für Optimismus, dass das auch gelingt, besteht jedoch nur wenig Anlass. Selbst Dinge, die sie mögen, dauern im Verkehrsministerium für gewöhnlich deutlich länger. Lückenschlüsse bei Autobahnen etwa benötigen mitunter Jahrzehnte.


RND hier  Alisha Mendgen und Andreas Niesmann  01.11.2022

Verkehrssektor verfehlt Klimaziel

Greenpeace zum Klimaschutzbeitrag des Verkehrsministers: „besonders dreist“

Trotz der Bemühungen, CO₂ einzusparen, wird der Verkehrssektor in Deutschland seine Klimaziele verfehlen. Das räumt nun die Bundesregierung in ihrem Klimaschutz-Sofortprogramm ein. Umweltschützer üben scharfe Kritik.

Eigentlich hatte die Bundesregierung einen großen Wurf geplant. Ein „umfassendes“ Sofortprogramm für mehr Klimaschutz wollten die beteiligten Ministerien vor dem UN-Klimagipfel vorlegen, der an diesem Sonntag im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich beginnt. Deutschland sollte damit in die Lage versetzt werden, sein Klimaziel einzuhalten und die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 65 Prozent zu senken. Dafür müssen alle Sektoren wie Industrie, Gebäude und Landwirtschaft einen gesetzlich festgelegten Beitrag leisten.

Seit diesem Montag ist klar: Es hat nicht geklappt. Zwar werden die meisten Sektoren, etwa Gebäude oder Landwirtschaft, nach Einschätzung der Bundesregierung ihre Klimaziele mit den bislang angedachten CO₂-Einsparprogrammen erreichen. Ausgerechnet der Verkehrssektor jedoch wird seine Ziele krachend verfehlen, wenn FDP-Minister Volker Wissing nicht noch einmal spürbar nachlegt. Dazu aber war der Liberale bislang nicht bereit.

Nach Schätzung der Bundesregierung wird der Verkehrssektor bis 2030 trotz der bislang geplanten Sparbemühungen zwischen 118 und 175 Millionen Tonnen mehr Klimagas verursachen als vorgesehen. Die Größenordnung entspricht etwa der Menge CO₂, die der Verkehr innerhalb eines Jahres ausstößt.

Die Zahlen gehen aus dem Eckpunktepapier des Klimaschutz-Sofortprogramms hervor, das das Wirtschaftsministerium an diesem Montag in die Ressortabstimmung gegeben hat. „Es besteht hoher klimapolitischer Handlungsbedarf im Verkehrssektor“, heißt es in dem Papier, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. „Um die gesetzlichen Klimaziele zu erreichen, müssen in einem nächsten Schritt weitere wirkungsvolle Maßnahmen zur Emissionsminderung im Verkehrsbereich beschlossen werden“, so das Papier weiter.

Monatelang hatten Wirtschafts- und Verkehrsministerium über eine Lösung des Problems verhandelt. Ohne Ergebnis. Auch auf Ministerebene konnten sich Robert Habeck (Grüne) und Volker Wissing (FDP) nicht einigen. Am Ende habe auch die Zeit gefehlt, da der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise zu viel Aufmerksamkeit gebunden habe, heißt es aus Kreisen des Wirtschaftsministeriums, wo man mit dem nun vorgelegten Rumpfprogramm nicht gerade glücklich ist.

Grünen-Fraktionschefin Dröge: „Keine Ausreden mehr“

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, forderte Verkehrsminister Wissing auf, den CO₂-Minderungsbedarf im Verkehrsbereich endlich zu decken. „Die Lücke, die geschlossen werden muss, ist riesig. Deshalb müssen alle Anstrengungen schnell ausgeweitet werden. Hier darf es kein Vertun und keine Ausreden mehr geben“, sagte Dröge dem RND.

Sie verlangte die rasche Reform der Pendlerpauschale sowie höhere Finanzmittel für die Schiene. „An erster Stelle muss jetzt der Abbau klimaschädlicher Subventionen vorangetrieben werden. Die Koalition hat dazu unter anderem eine ökologische und soziale Reform der Pendlerpauschale vereinbart. Hier braucht es jetzt rasch konkrete Vorschläge“, mahnte sie. „Nötig ist zudem die Verlagerung auf Schiene und ÖPNV. Dafür braucht es dringend mehr Finanzierungssicherheit und eine Aufstockung der finanziellen Mittel für die Schiene.“

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace äußerte scharfe Kritik. „Es ist schon besonders dreist, dass im Verkehrsbereich, wo wir bei den Einsparungen der Emissionen 30 Jahre Stillstand hatten, nun der größte Widerstand ist“, sagte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser dem RND. Er forderte unter anderem ein Tempolimit sowie die Erhöhung der Zulassungssteuer auf Verbrenner.

„Drei Maßnahmen mit großer Hebelwirkung sind jetzt notwendig: Wir brauchen einen verpflichtenden Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bei Neuwagen im Jahr 2028″, sagte er. „Auf den Autobahnen benötigen wir ein Tempolimit 100, auf den Landstraßen Tempolimit 80 und innerorts ein Tempolimit 30. So könnten sieben bis neun Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden.“ Zudem müsse die Bundesregierung die Zulassungssteuer auf Verbrenner deutlich anheben, damit sich der Anreiz zum Kauf eines E-Autos erhöhe.

Verkehrs- und Wirtschaftsministerium wollen bis zum Frühjahr 2030 weitere Instrumente und Idee sammeln, um die Minderungslücke im Verkehrssektor zu schließen.

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