Geo hier von Peter Michael Schneider 24.10.2022
Erdwärme Wärme aus der Tiefe: Kann Geothermie unser Energieproblem lösen?
....Angesichts der akuten Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine und der deutlichen Auswirkungen des Klimawandels stellt sich daher die Frage, ob die Wärme aus der Erde uns über die Winter helfen könnte. Denn der Schatz in der Tiefe ist nahezu unerschöpflich. Doch lässt sich dieser Schatz überhaupt im großen Maßstab heben – und zu welchem Preis? Dabei ist nicht allein entscheidend, ob die "tiefe Geothermie", wie die Technologie heißt, konkurrenzfähig ist. Sie muss auch von den Menschen akzeptiert werden, in deren Umgebung die Energie produzierenden Anlagen angesiedelt sind.
Die Erde: ein gigantischer Heizkörper
Zumindest dort, wo warmes Wasser aus der Erde sprudelt, wird es von jeher dankend angenommen, beispielsweise in Aachen. In dessen Thermalquellen entspannte sich nachweislich bereits Karl der Große. Die Ursache des Kaiser-Behagens liegt tief in der Erde verborgen. Denn unser Planet gleicht einem gigantischen Heizkörper. Seine Hitze stammt knapp zur Hälfte von der Restwärme aus der Zeit vor mehr als vier Milliarden Jahren, als die Erde ein glühender Gesteinsball war. Gut die andere Hälfte speist sich aus langlebigen radioaktiven Isotopen von Elementen wie Uran, Thorium und Kalium, die allmählich zerfallen und dabei Wärme abgeben. Im Gestein gelangt die Hitze aus dem Untergrund nur sehr langsam von innen nach außen.
Die Erde lässt sich als Ball aus glühendem Gestein beschreiben, der von einer nur wenige Kilometer dicken Schicht relativ kalter Kruste bedeckt ist. 99 Prozent der Erde sind heißer als 1000 Grad Celsius, und nur ein Tausendstel ist kühler als 100 Grad. Die Temperatur steigt schon kurz unter der Erdoberfläche, als Faustregel gelten etwa drei Grad Celsius pro 100 Meter in Landschaften ohne Vulkane. Schon in 3000 Meter Tiefe herrschen nicht selten Temperaturen über 100 Grad Celsius.
Um diese Wärmereservoire auszubeuten, nutzen Ingenieure und Ingenieurinnen die Tatsache, dass auch noch tief in der Erde Wasser entlang von Sedimentschichten fließt. Das Prinzip eines Geothermiekraftwerks ist daher einfach: Über ein Bohrloch – die Förderbohrung – holen Pumpen Thermalwasser an die Oberfläche, wo seine Energie über einen Wärmetauscher in eine Fernwärmeleitung oder einen Wasserkreislauf eingespeist wird, der dann eine Stromturbine antreibt. Anschließend wird das abgekühlte Wasser über ein zweites Bohrloch – die Injektionsbohrung – mit hohem Druck wieder in die gleiche Gesteinsschicht gepresst, aus der es entnommen wurde. Dort heizt sich das Wasser wieder auf, während es ein bis zwei Kilometer entlang zahlreicher Poren und Klüfte Richtung Förderbohrung zurückläuft – und der Kreislauf erneut beginnt.
Weltweit gewinnen auf diese Weise fast 90 Länder Energie aus ihrem Untergrund, Tendenz steigend. Von 2015 bis 2019 stieg die Wärmeleistung aus Geothermie um 50 Prozent auf geschätzt mehr als 100 Gigawatt und die geförderte Wärmeenergie auf etwa 280 Terawattstunden jährlich, das entspricht etwa der Energieproduktion von 100 Kohlekraftwerksblöcken.
München – Leuchtturm der deutschen Geothermie
Mit derzeit 42 Geothermiekraftwerken, die rund 350 Megawatt thermische
und etwa 47 Megawatt elektrische Leistung bereitstellen, liegt
Deutschland im globalen Mittelfeld, mit München als deutscher Kapitale
der Erdwärme. Die bayerische Landeshauptstadt ist schon heute ein
Beispiel dafür, wie sich Städte klimaneutral beheizen ließen: Zuletzt
ist 2021 das Heizkraftwerk Süd an ein 900 Kilometer langes Fernwärmenetz
gegangen.
Das größte deutsche Geothermiekraftwerk versorgt nun 80 000
Münchner und Münchnerinnen mit wohliger Wärme. Insgesamt fördern die
Münchner Stadtwerke an sechs Standorten aus Tiefen zwischen 2400 und
4200 Metern heißes Wasser mit Temperaturen zwischen 90 und 140 Grad
Celsius. Damit lassen sich gut 120000 der knapp 850 000 Münchner
Wohnungen heizen. Das Ziel der Stadt: bis 2040 den gesamten Bedarf an
Fernwärme CO₂-frei zu produzieren und zu 70 Prozent mit Wärme aus dem
tiefen Untergrund.
Möglich wird das, weil München auf einem der großen hydrothermalen Reservoire Deutschlands liegt, der Molasse. In dem riesigen Sedimentbecken, das die Alpen in den vergangenen 30 Millionen Jahren aufgeschüttet haben, ist das Gestein in etwa 4000 bis 5000 Meter Tiefe nicht nur bis zu 150 Grad Celsius heiß, sondern auch so porös, dass Wasser in ihm fließt. Ähnliche Verhältnisse finden sich unter der norddeutschen Tiefebene und im südwestdeutschen Oberrheingraben, einem kilometertiefen Riss in der Erdkruste. Günstig: In diesen weitläufigen Regionen liegt ein Großteil der deutschen Großstädte wie Dortmund, Hamburg, Frankfurt und Hannover. Das ist ein erheblicher Vorteil: Da geothermische Kraftwerke an der Erdoberfläche nicht mehr Platz beanspruchen als durchschnittliche Gewerbebetriebe, lassen sie sich dort installieren, wo sie gebraucht werden, am Rand oder sogar mitten in der Stadt wie in München.
Der größte Vorteil der Geothermie: Sie liefert direkt, was Deutschland am meisten benötigt: Wärme in Form von heißem Wasser. Tatsächlich entfallen hierzulande 56 Prozent des Gesamtenergiebedarfs auf diese Energieart, mehr als auf elektrische Energie. In privaten Haushalten machen Heizung und Warmwasser sogar 90 Prozent des Energiebedarfs aus.
"Roadmap" zeigt das Potenzial der Geothermie in Deutschland
In einer "Roadmap" haben sechs Forschungsinstitute der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft gemeinsam das Potenzial der tiefen Geothermie in Deutschland untersucht. Sie kamen bei einer Leistung von 70 Gigawatt auf die thermale Energiemenge von 300 Terawattstunden pro Jahr. Immerhin ein Viertel des Gesamtwärmebedarfs. Laut der Roadmap ist die Geothermie im thermischen Bereich durchaus in der Lage, mit anderen erneuerbaren Energien und auch konventionellen Energieträgern wie Gas zu konkurrieren. Danach kostet eine thermische Kilowattstunde über die Laufzeit eines durchschnittlichen Geothermiekraftwerks hinweg und unter Berücksichtigung aller Bau- und Betriebs - kosten etwa 2,5 bis 3 Cent.
Zum Vergleich: Ein klimaschädliches Gasheizkraftwerk produzierte die thermische Kilowattstunde bisher für etwa 3,5 Cent. Dabei war Gas "bis Mitte Februar 2022 in vielen Bereichen konkurrenzlos billig", so Rolf Bracke, Mitverfasser der Roadmap und Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie. "Seitdem schießen die Gaspreise durch die Decke und werden auf absehbare Zeit auch nicht wieder sinken."
Angesichts des enormen Potenzials und des Münchner Erfolgs stellt sich die Frage, warum nicht schon viel mehr Städte ihre Fernwärmeversorgung umstellen. Eine Hauptursache dafür lässt sich mit einer alten Bergbauweisheit beschreiben: "Vor der Hacke ist es duster." Auch wenn Bohrungen bis in etwa 5000 Meter Tiefe heute Routine sind, kann einiges schieflaufen: Beispielsweise kann der Bohrkopf verloren gehen. "An unserem Standort in der Schäftlarnstraße hat er sich einmal so festgefahren, dass wir ihn nicht mehr herausbekommen haben", so Helge-Uve Braun, technischer Geschäftsführer der Stadtwerke München. "Nun liegt er da unten, ein Schaden von fünf Millionen Euro."
Dazu kommt: Die Suche nach Thermalwasser ist heikel. In der Regel erkunden Geophysikteams die Gesteinsschichten, bevor sie bohren. Dabei senden sie Schallwellen ins Erdreich, die an Schichtgrenzen reflektiert werden und zurück an die Oberfläche wandern. Dort werden die Wellensignale aufgefangen und ausgewertet. So lässt sich ein dreidimensionales Bild des Untergrunds erzeugen und näherungsweise erkennen, ob sich ein Standort für die Geothermie eignet. Dennoch: Trotz Voruntersuchungen misslingt fast ein Drittel der Erkundungen. Zwar wird es ab einer bestimmten Tiefe immer ausreichend heiß. Um ein geothermisches Kraftwerk aber wirtschaftlich zu betreiben, muss auch genug Wasser vorhanden sein. Erreicht eine Bohrmannschaft bei der Erkundung also heiße Gesteinsschichten ohne Wasser, nennt sie das eine trockene Bohrung – und ist gescheitert. "Erkundung und Bohrung verursachen ungefähr 60 bis 70 Prozent der gesamten Kosten", so Bracke. "Wenn sie zusammen zehn Millionen Euro kosten und das Gestein ist trocken, kann sich das ein großer Versorger möglicherweise leisten, ein kleines Stadtwerk nicht."
Auch kostenloses Thermalwasser hat seinen Preis
So etwas passierte im Mai 2022 im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Die Bohrmannschaft stieß in 3000 Meter Tiefe zwar auf heißes Thermalwasser, aber nicht in ausreichender Menge. Glück im Unglück: Im selben Loch hatte der Bohrer zuvor in 1300 Meter Tiefe eine Schicht durchdrungen, die zwar nur 45 bis 50 Grad Celsius heiß ist, aber womöglich deutlich mehr Wasser führt.
Hier liegt ein Grundproblem beim Ausbau der Geothermie: Zwar gibt es das heiße Wasser aus der Tiefe kostenlos. Doch die Risiken der Erkundung, der Unterhalt und die nötigen technischen Entwicklungen, um Erdwärme im großen Maßstab zu betreiben, erfordern vergleichsweise große Anfangsinvestitionen. Nötig wären sehr viele Bohrlöcher an sehr vielen Standorten, hochgerechnet bis zu 10000. Denn ein einzelnes geothermisches Kraftwerk liefert nicht so viel Energie wie ein konventioneller Kohle- oder Atommeiler. Statt ein bis zwei Gigawatt erreichen geothermische Anlagen gegenwärtig zwischen 10 und 50 Megawatt Leistung, also deutlich weniger als ein Zwanzigstel.
Kleinere Städte abseits der Zentren, die nicht an Fernwärme angeschlossen sind, müssten zudem nicht nur ihr eigenes Kraftwerk errichten, sondern auch ein eigenes Wärmenetz verlegen. Entsprechend hoch fällt die Endrechnung aus: Um geothermische Kraftwerke für die angepeilten 70 Gigawatt Leistung und die nötigen Netze zu bauen, braucht es laut Roadmap etwa 200 Milliarden Euro. Zwar hat die Bundesregierung angekündigt, Kommunen ab sofort zu fördern, wenn diese Wärmenetze um oder ausbauen, aber bis 2026 lediglich mit maximal drei Milliarden Euro.
In der Roadmap listen die Forschenden weitere Maßnahmen auf, damit der Wärmebergbau Fahrt aufnimmt, darunter eine Art staatlicher Versicherungsfonds, der Gemeinden für den Fall einer trockenen Bohrung absichert. "Bisher liegt das Risiko bei den Stadtwerken", so Fraunhofer-Wissenschaftler Bracke. "Die Versicherungen wollen sich daran nicht beteiligen, da sie den Untergrund und damit das Risiko nicht einschätzen könnten." Wenn die Bundesregierung zwei bis drei Milliarden Euro in einen Fonds zur Absicherung stecken würde, so Bracke, "wäre das ein Selbstläufer. Ich kenne zehn Stadtwerke, die morgen bohren würden." Forscher wie Bracke und Betreiber wie Helge-Uve Braun von den Münchner Stadtwerken wünschen sich außerdem erleichterte Genehmigungsverfahren für den Bau von Geothermiekraftwerken.
Bürgerinitiativen fürchten Erdbebengefahr
Doch gerade das dürfte auf Widerstand stoßen. Geothermie scheint zwar weit unter unseren Füßen stattzufinden, ihre Auswirkungen spüren wir womöglich aber auch an der Oberfläche. Am gefürchtetsten sind Erdbeben, verursacht durch Wasser, das mit zu hohem Druck ins Gestein gepresst wird. Dieses Fracking-Verfahren setzen Bohrmannschaften vor allem dann ein, wenn sie Gesteine für Wasser durchlässiger machen wollen, weil die natürliche Leitfähigkeit zu gering ist. Die menschengemachten Erschütterungen ereignen sich häufig dort, wo die Erde ohnehin unter Spannung steht, etwa im südwestdeutschen Oberrheingraben.
"Ich wohne seit 60 Jahren hier. Aber wir hatten bislang nie ein Erdbeben mit einer Magnitude von mehr als 2,5", sagt Hans Roser von der Bürgerinitiative gegen Tiefengeothermie im südlichen Oberrheingraben e. V. Ursache für Rosers Klagen sind Bohrungen im französischen Vendenheim-Reichstett nahe Straßburg, die eine Reihe von Erdbeben ausgelöst haben, das heftigste im Juni 2021 mit einer Stärke von 4 auf der Richterskala. Zwar meldete die Betreiberfirma unmittelbar danach, das Beben sei "unterhalb der Schadensschwelle" gewesen. Doch später musste sie einräumen, dass mehr als 3700 Schäden an Häusern gemeldet worden seien, vor allem Risse in Böden und Wänden. Die Versicherung zahlte bis heute 2,5 Millionen Euro an die geschädigten Hausbesitzer.
Statt Genehmigungsverfahren zu erleichtern, fordert Roser stattdessen, sie zu verschärfen. "Im Moment steht im Betriebsplan eines Bohrunternehmens nicht, was sie zu tun haben, wenn Schäden entstehen", sagt Roser. Er bemängelt vor allem, dass Bohrunternehmen nicht über ausreichende Finanzpolster verfügen, um im Ernstfall alle Schäden bezahlen zu können. Rolf Bracke hält die grundsätzliche Kritik der Geothermiegegner für unberechtigt. Im Oberrheingraben sei es in einigen Fällen zu menschengemachten Seismizitäten gekommen, aber mittlerweile habe man dazugelernt. Nun seien die richtigen Drücke bekannt, um das Wasser ohne Erdbeben ins Gestein zurückzupressen.
Vergleichbare Proteste wie im Rheingraben gibt es in München nicht. "Wir haben hier bisher keine seismischen Ereignisse verursacht", sagt Helge-Uve Braun. "Wir machen alles, damit die Bevölkerung Geothermie akzeptiert. Daher schauen wir genau was im Untergrund passiert." So überwachen die Stadtwerke in einem Forschungsprojekt beispielsweise per Glasfaser den Wasserfluss am Grund ihrer Bohrungen. Allerdings dürfte vor allem die geopolitische Lage bei der Akzeptanz der Geothermie bald eine entscheidende Rolle spielen, glaubt Braun. "Für den Fall, dass wir im Winter zu wenig Gas geliefert bekommen, werden viele Menschen umdenken." Denn die Wärme aus dem Boden muss nicht importiert werden. Sie ist immer verfügbar.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen