Süddeutsche Zeitung 7. November 2022, Von Thomas Hummel, Scharm el-Scheich hier
Bei der Weltklimakonferenz in Ägypten fordert UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Länder auf, einen Klimasolidaritätspakt zu schließen. Irritiert zeigen sich Beobachter, dass Staatschefs einiger für den Klimaschutz wichtiger Staaten fehlen.
..."Schäden und Verluste stehen jetzt auf der Tagesordnung. Ein Thema, das für die allermeisten Länder wichtig ist", sagte Sameh Shoukry, ägyptischer Außenminister und Präsident der Klimakonferenz. Die Details darüber hatten die Abgesandten der fast 200 Staaten erst in den 48 Stunden vor der offiziellen Eröffnung der sogenannten Conference of the Parties (COP) geklärt. Shoukry ließ kaum Vorbedingungen zu. Speziell eine rechtskräftige Haftung für Schäden in anderen Teilen der Welt ist eine rote Linie für die USA oder die Europäische Union. Nun wird erstmals offiziell über das Thema gesprochen. Ausgang offen. Bis 2024 soll sich die Weltgemeinschaft einigen, wie Geld künftig in betroffene Länder fließen kann.
Weniger hätten die Entwicklungsländer bei dieser afrikanischen COP kaum akzeptiert. Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Verhandlungsführerin der deutschen Delegation, sprach am Montag von einem guten Tag. Die Einigung habe eine gute Atmosphäre geschaffen. Morgan selbst bekam vom Klimasekretariat der Vereinten Nationen den Auftrag, zusammen mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas Corradi das Thema Schäden und Verluste voranzubringen. Es ist ein langsames Herantasten an die Wünsche der einen und die Befürchtungen der anderen. Dabei schaffen es die Industriestaaten bislang nicht einmal, ihr 2009 gegebenes Versprechen zu erfüllen, von 2020 an jährlich 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, um Entwicklungsländern dabei zu helfen, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern und sich an den Klimawandel anzupassen. Zuletzt kamen 83,5 Milliarden zusammen.
Als am Montagabend die ersten der mehr als 100 eingeflogenen Staats- und Regierungschefs sprachen, ging auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede auf das Thema Finanzen ein. Zu Recht würden die Staaten mehr internationale Solidarität einfordern, die von den Folgen des Klimawandels am härtesten betroffen seien, aber am wenigsten zu seiner Verursachung beigetragen hätten, erklärte Scholz. "Wir sind bereit, sie noch stärker zu unterstützen."
COP 27: Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht 170 Millionen Euro für "die vom Klimawandel am schwersten betroffenen Länder".
Er kündigte an, den deutschen Beitrag aus öffentlichen Mitteln für die internationale Klimafinanzierung bis 2025 auf sechs Milliarden Euro zu erhöhen. Neu war das allerdings nicht. Zum Bereich Schäden und Verluste nannte Scholz keinen Betrag, sondern erklärte, "die vom Klimawandel am schwersten betroffenen Länder" gezielt im Umgang damit zu unterstützen. Indes stelle Deutschland 170 Millionen Euro für den sogenannten Global Shield against Climate Risks, eine Art Versicherungsschutz gegen Klimarisiken, zur Verfügung.
Der Global Shield geht auf eine deutsche Initiative zurück und wurde mit der Gruppe der Vulnerable 20, der am meisten gefährdeten Nationen, verhandelt. Er soll im Januar 2023 starten und den Partnerländern etwa ein Frühwarnsystem zur Verfügung stellen, um Schäden bei Stürmen oder Fluten möglichst gering zu halten. Zudem könne durch den Versicherungsansatz nach einer Katastrophe recht schnell Geld fließen, heißt es aus dem Bundesentwicklungsministerium. Entscheidende Fragen müssen allerdings noch beantwortet werden. Zum Beispiel, welche Unternehmen bereit sind, potenziell riesige Naturkatastrophen zu versichern. Und wer die Versicherungsprämie bezahlt. Schleichende Probleme wie den Anstieg des Meeresspiegels deckt der Global Shield nicht ab.
Millionen Menschen ohne Dach über dem Kopf
Pakistan gehört nicht zur Gruppe der Vulnerable 20. Und ist dennoch in diesem Jahr ein Beispiel, was auf die Erde zukommen könnte. Im Mai wurden in der Stadt Jacobabad 51 Grad Celsius gemessen, im Sommer kam es nach einem starken Monsunregen zu einer Flutkatastrophe. Teilweise stand ein Drittel des Landes unter Wasser, mehr als 1700 Menschen starben, etwa 33 Millionen mussten ihre Häuser verlassen. "In meinem Land sehen Millionen Menschen dem Winter entgegen, ohne ein Dach über dem Kopf zu haben", sagte Premierminister Muhammad Shehbaz Sharif am Dienstag bei einer Pressekonferenz auf der COP27. Seine Regierung schätzt die Kosten auf etwa 30 Milliarden US-Dollar. Allein könne sein Land das nicht stemmen.
COP 27: "Wer noch Zweifel hat an der Notwendigkeit, über Schäden und Verluste zu reden, der gehe nach Pakistan", sagt UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Scharm el-Scheich.
Die Eindrücke seines Besuchs im Sommer werde er nicht vergessen. Die Klimakonferenz müsse einen Weg finden, um bis 2024 die Rahmenbedingungen zu schaffen, wie den betroffenen Ländern geholfen werden könne. Dabei werde es auch um die teils hohen Schulden gehen, die viele Entwicklungsländer haben.
Zuvor hatte Guterres in einer emotionalen Rede die Länder aufgefordert, einen Klimasolidaritätspakt zu schließen. "Die Menschheit hat die Wahl: kooperieren oder untergehen." Sie schließe entweder einen Pakt für Klimasolidarität - oder einen für kollektiven Selbstmord.
Irritiert zeigen sich Beobachter, dass Staatschefs einiger für den Klimaschutz wichtiger Staaten nicht nach Scharm el-Scheich kommen. Darunter jene aus China, Indien, Kanada und Australien. China, der heute weltweit größte Treibhausgasverursacher, schickte immerhin eine Delegation von etwa 50 Personen, eine ähnlich große Zahl wie bei der COP in Glasgow vor einem Jahr. Damals brachten die Chinesen zusammen mit den USA eine Initiative zu mehr Klimaschutz ein, was als großer Fortschritt gewertet wurde. Durch den Taiwan-Konflikt gibt es zwischen den Ländern aber keine Gespräche mehr. Verhandlungsführer Xie Zhenhua lehnte es laut der Nachrichtenagentur Bloomberg ab, zu beantworten, ob China und die USA in Scharm el-Scheich formelle bilaterale Gespräche über den Klimawandel wieder aufnehmen könnten.
Kanzler Olaf Scholz indes versicherte, dass die geopolitischen Turbulenzen, auch ausgelöst durch den russischen Krieg in der Ukraine, nicht zu einer Renaissance der fossilen Energien führen werden. Zwar müsse Deutschland jetzt kurzfristig wieder Kohlekraftwerke anwerfen, um die eigene Energiesicherheit zu garantieren. Aber: "Wir stehen fest zu unseren nationalen Klimazielen." Bis 2045 wolle das Land klimaneutral werden. "Wir werden aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, ohne Wenn und Aber."
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