Fluter hier Interview: Lisa Santos
Onlinepetitionen, Hashtagaktivismus und Protestprofilbilder – wir haben Christopher Schmitz vom Göttinger Institut für Demokratieforschung gefragt, was Onlineaktivismus bringt
....Manche bezeichnen Proteste im Netz abwertend als „Slacktivism“ oder „Hashtagaktivismus“, weil man mit nur einem Klick oder Like schon vermittelt, sich politisch zu engagieren.
Tatsächlich ist es im Internet relativ leicht, sich an Diskussionen zu beteiligen und bequem vom Sofa aus eine Petition zu unterzeichnen. Die Schwelle zur Teilhabe ist also niedriger geworden. Aber das muss nicht automatisch schlecht sein. ...
„Was sich geändert hat, ist die Geschwindigkeit, mit der sich Proteste verbreiten“
Was gibt es sonst noch für Unterschiede zwischen digitalem und „traditionellem“ Aktivismus?
.... Was sich eher geändert hat, ist die Geschwindigkeit, mit der sich Proteste verbreiten. Das liegt auch daran, dass wir heute stärker vernetzt sind. Durch das Internet ist es viel leichter, Gleichgesinnte zu finden und sich zu organisieren.
Ist Onlineaktivismus durch diese Vernetzung auch wirkungsvoller?
Interessant ist, dass sich zwar die Form des Protests geändert hat, aber nicht unsere Wahrnehmung. Bis heute messen wir den Einfluss von politischen Gruppen hauptsächlich in Menschen auf der Straße. Dass die Gruppen im Internet aktiv sind, wird oft nur in einem Nebensatz erwähnt. Denn Bilder von Demonstrierenden sind medial wirkmächtiger als abstrakte Zahlen wie Retweets oder Interaktion zu einem Hashtag.
Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat sich dank des Internets zu einer weltweiten Bürgerrechtsbewegung entwickelt. Auch die #MeToo-Bewegung hat gesellschaftliche Veränderungen angestoßen. Widerspricht das nicht Ihrer Aussage?
Das würde ich nicht sagen. Denn auch wenn beide Bewegungen im Internet sehr groß waren, fanden sie auch auf der Straße statt und haben starke Bilder produziert. Vielleicht war das nicht zwingend notwendig, aber auf jeden Fall hilfreich. Ich würde sagen, dass die Verbindung von Online- und Straßenaktivismus am effektivsten ist ......
„Es kann problematisch werden, wenn wir das eigene Nutzungsverhalten nicht kritisch hinterfragen“
Besteht dabei die Gefahr, dass man sich als Nutzer weniger mit den Inhalten auseinandersetzt?
Ich ertappe mich selbst manchmal dabei, dass ich durch meinen Twitter-Feed scrolle, ein Posting lese und mir sofort eine Meinung bilde. Dann nehme ich mir vor, den dazugehörigen Artikel zu lesen, aber habe nicht die Zeit oder finde den Beitrag später nicht mehr. Trotzdem bleibt mir mein erster Eindruck langfristig im Gedächtnis. Das muss nicht unbedingt schlimm sein, kann aber problematisch werden, wenn wir das eigene Nutzungsverhalten nicht kritisch hinterfragen und im schlimmsten Fall Vorurteile oder gar falsche Behauptungen unhinterfragt glauben und weiterverbreiten. Man muss aber auch dazusagen, dass das jetzt nichts völlig Neues ist. Die sozialen Medien verstärken diesen Prozess auf jeden Fall, aber Politik hat immer schon besonders gut über Bilder und Emotionalität funktioniert.
Christopher Schmitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Dort beschäftigt er sich unter anderem mit Protestforschung und den Kommunikationsstrukturen der sozialen Medien.
Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE.
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