ARD hier KOMMENTAR: Urteil zu Klimazielen Stand: 30.11.2023 Julie Kurz, NDR
Das Urteil zu den Klimaschutzzielen ist peinlich für eine Regierung, die sich Klimaschutz so sehr auf die Fahnen geschrieben hat. Das Thema drohte angesichts von Kriegen und Krisen in den Hintergrund zu geraten.
Es ist ein Urteil, das am Ende wenig Auswirkungen haben mag, weil die Bundesregierung in Revision gehen kann und weil sowieso gerade eine Novelle des Klimaschutzgesetzes im Bundestag debattiert wird.
Halb so wild, mag deshalb mancher in der Regierung denken.
Politisch aber ist das Urteil alles andere als trivial. Es ist mindestens peinlich für eine Regierung, die sich damit brüstet, sich für den Klimaschutz einzusetzen, von einem Gericht verdonnert zu werden, mehr zu tun. Und es ist ein Urteil, das das Klimaschutzprogramm als das entlarvt, was es ist: ein Möchtegern-Klimaschutzprogramm. Denn die darin aufgeführten Maßnahmen reichen längst nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Das hatte bereits der Expertenrat der Bundesregierung beanstandet. Nun urteilt auch das Oberverwaltungsgericht Berlin, die Regierung sei verpflichtet, mit Sofortprogrammen die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Klimaziele zu gewährleisten.
Klimaschutzziele scheinen in Vergessenheit zu geraten
Darüber hinaus ist das Urteil von Bedeutung, da es zeitlich mitten in die aktuelle Diskussion zu Sparvorschlägen wegen des Milliardenlochs platzt. Der Fokus wird darauf zurückgebracht, was zur Zeit in Vergessenheit zu geraten scheint: die Klimaschutzziele der Bundesregierung.
Zuletzt hatte man das Gefühl, dass die Kumulation von Krisen - Krieg, Inflation, illegale Migration - dazu führten, dass die andauernde Klimakrise in den Hintergrund rückte und Klimaschutz mit den einhergehenden Zumutungen für die Bevölkerung nicht mehr richtig zum Zeitgeist passt
.In der Politik hörte man in den vergangenen Wochen viel über das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Schuldenbremse und schien dabei aber fast zu übersehen, dass es auch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2021 gibt, das die Bundesregierung dazu verpflichtet, beim Klimaschutz nachzubessern.
Habeck argumentiert vor allem ökonomisch
Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte mit Blick auf das Milliardenloch als ersten Reflex weniger Subventionen für die klimafreundliche Transformation der Wirtschaft. Und selbst jene, die sich in der Vergangenheit stark gemacht haben für Klimaschutz, sprechen in diesen Tagen lieber über die Bedeutung der Wirtschaft - schön zu beobachten bei Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Seitdem der Klima- und Transformationsfonds als verfassungswidrig eingestuft ist, argumentiert der Minister vor allem ökonomisch. Er spricht davon, dass er wegen des Haushaltsurteils mit einem Konjunkturrückgang um 0,5 Prozent rechnet. Er spricht seltener darüber, was das eigentlich für die Emissionseinsparziele bedeuten würde.
Es mag also gerade nicht so richtig in den Zeitgeist passen, groß für den Klimaschutz zu trommeln, und die Regierung mag sich mit einer Novelle des Klimaschutzgesetzes dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts entziehen können, indem sie die Sektorenziele aufweicht und damit gezielte Sofortprogramme etwa für Verkehr und Gebäude obsolet macht.
Und trotzdem - das Urteil erinnert daran, dass die Bundesregierung auch bei einer Reform des Klimaschutzgesetzes sicherstellen muss, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht. Denn eine Verschiebung der Minderungslasten in die Zukunft bleibt verfassungswidrig.
ARD hier Stand: 30.11.2023
Klagen von Umweltverbänden Gericht verurteilt Regierung zu Klima-Sofortprogramm
Die Ampel muss einen weiteren Rückschlag vor Gericht hinnehmen: Weil Deutschland die Klimaziele im Verkehrs- und Gebäudesektor in den vergangenen Jahren verfehlt hat, muss die Regierung laut Urteil nun mit Sofortprogrammen gegensteuern.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung in mehreren Punkten als rechtswidrig verurteilt. Es verpflichtete die Ampelkoalition dazu, Sofortprogramme für mehr Klimaschutz im Verkehr und bei Gebäuden aufzulegen. Damit gab das Gericht Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Umweltverbands BUND statt. Die Regierung kann aber in Revision gehen und die Wirkung des Urteils damit aufschieben.
Es geht um das Klimaschutzgesetz, das derzeit für jeden Sektor jährliche Ziele zur Senkung der schädlichen Treibhausgase vorschreibt. Werden diese in einzelnen Sektoren verfehlt, muss laut Gesetz das jeweils zuständige Ministerium mit einem Sofortprogramm gegensteuern.
Bislang keine Sofortprogramme
Die Bundesregierung hatte in den Sektoren Verkehr und Gebäude sowohl 2021 als auch 2022 gegen die Vorgaben des Gesetzes verstoßen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnte jedoch ein Sofortprogramm ab. Auch ein Programm von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) für den Bausektor beschloss die Bundesregierung nie. Sie hatte argumentiert, ein neues Klimaschutzgesetz sei ohnehin geplant, bei dem den Sektoren mehr Spielraum eingeräumt werde.
Dieses Gesetz ist zwar von der Regierung auf den Weg gebracht, aber noch nicht im Bundestag beschlossen. Auch das Gericht verwies darauf, dass daher das aktuelle Gesetz gelte.
Weiteres Urteil steht noch aus
Das Gericht stellte fest, dass die Bundesregierung mit zusätzlichen Maßnahmen gegensteuern muss, um die Klimaziele für die Jahre 2024 bis 2030 sicher zu erreichen. In der mündlichen Begründung argumentierte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle, dass die Regierung zwar im Oktober 2023 als Reaktion auf die zu hohen Emissionswerte ihr Klimaschutzprogramm ergänzt habe. Das sei aber ein eher mittel- bis langfristiges Instrument. Das im Gesetz geforderte Sofortprogramm sei etwas anderes.
Das Sofortprogramm sei als konkrete Reaktion auf eine Zielverfehlung vorgesehen, um sicherzustellen, dass die Ziele in den folgenden Jahren erfüllt werden, begründete Holle das Urteil weiter. Das Argument der Bundesregierung, die Klage sei gar nicht zulässig, wies das Gericht zurück.
Gegen das im Oktober beschlossene Klimaschutzprogramm hat die DUH bereits Klage eingereicht. Ein Urteil wird Anfang 2024 erwartet.
Das aktuelle Urteil begrüßten die Kläger und forderten sofortiges Handeln, etwa mit einem Tempolimit. BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock zeigte sich hoch zufrieden: "Das Gericht hat dem Klimaschutz den Rücken gestärkt. Das klimapolitische Versagen der Bundesregierung ist gesetzeswidrig." Sie erwarte von den Bundesministerien nun mehr Ehrgeiz. "Das heißt: Tempolimit jetzt, Dienstwagenprivileg abschaffen, Steuervorteile für Diesel und Kerosin beenden und klare Vorgaben für die energetische Modernisierung von Gebäuden."
DUH-Anwalt Remo Klinger sagte: "Das Urteil ist ein Erfolg auf ganzer Linie." Klimaschutz sei eine gesetzliche Pflicht und nicht ein "Nice to have". Er räumte allerdings ein, dass eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht die Wirkung des Berliner Urteils zunächst aufschieben würde.
Grüne begrüßen ebenfalls das Urteil
Die Grünen sehen sich durch das Urteil in ihrer Forderung nach mehr Einsatz und Geld für den Klimaschutz bestärkt. "Auch wenn wir die nötigen Weichen gestellt haben, um einen großen Teil des Klimarückstands der Großen Koalition aufzuholen, bleibt viel zu tun", sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang der Nachrichtenagentur dpa. In der Regierung werde man nun Wege finden, um notwendige Investitionen in den Klimaschutz und die Wettbewerbsfähigkeit zu stemmen, fügte die Co-Vorsitzende hinzu. (die ist aber optimistisch!)
Katharina Dröge, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, sagte: "Gerade jetzt braucht es eine gesicherte Finanzierung für die Fortsetzung der Projekte im Klima- und Transformationsfonds." Eine Möglichkeit, diese sicherzustellen, wäre "ein rechtlich neu aufgestelltes Sondervermögen Klimaschutz".
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