Dienstag, 5. Oktober 2021

"Die Demographie-Falle beim Klimawandel"

Frankfurter Allgemeine hier
Von MARTIN FRANKE, mit vielen Grafiken, die hier fehlen von  GABRIEL RINALDI und OLIVER SCHLÖMER

11 Milliarden Menschen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts auf dem Planeten leben. Fürs Klima ist das fatal – doch gerade für Industrieländer zeitigt die Demografie einen ungeahnten Hoffnungsschimmer.

....Während die Weltbevölkerung stetig zunahm, erlebten die CO2-Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten sprunghafte Steigerungen. Da­für verantwortlich sind vor allem die wirt­schaftlichen Entwicklungen in den In­­dustrienationen. Allein in den USA, wo 1970 schon mehr als 200 Millionen Menschen lebten (und heute 330 Mio), betrugen damals die CO2-Emissionen pro Kopf 22 Tonnen pro Jahr. Schwellenländer wie China holten wirtschaftlich auf, demographisch enteilten sie. 2005 überholte deshalb China die USA im absoluten CO2-Ausstoß, mittlerweile ist das Land mit großem Abstand auf Platz eins. Der Emissionswert pro Kopf rangiert mit rund 8 Tonnen pro Jahr etwas unter dem von Deutschland, doch in China leben mit rund 1,4 Milliarden Menschen mehr als viermal so viele wie in den USA. Dagegen haben die am schnellsten wachsenden Länder wie Niger, Mali und Tschad wenig zum Verlauf der CO2-Kurve beigetragen.

Betrachtet man Sektoren statt Länder, so sind Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung für 42 Prozent aller CO2-Emissionen der Welt verantwortlich. Ein Viertel lässt sich auf Transport zurückführen, wobei die Straße deutlich vor Luftverkehr und der Schifffahrt bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe steht. Rund 18 Prozent aller Emissionen stammen von Straßenfahrzeugen – der als Klimakiller verschriene Luftverkehr steht für gerade einmal 3 Prozent. Die Indus­trie und der Bau von Gebäuden liegen auf der Emissionsrangliste noch hinter dem Verkehr. Wohlstand in vormals ärmeren Ländern äußert sich vor allem darin, dass Menschen dort mobiler werden und mehr Verkehrsemissionen erzeugen.

In der Wissenschaft wird diskutiert, wie groß der Effekt ist, den alternde oder schrumpfende Gesellschaften auf CO2-Emissionen haben. Forscher haben 2014 in einer Studie am Beispiel von Deutschland gezeigt, dass sich Alter und Treibhausgasemissionen in einer umgekehrten U-Form zueinander verhalten: Wenn Menschen das Erwachsenenalter erreichen, konsumieren und reisen sie mehr. Wenn sie in Rente gehen, sinken ihre Emissionen wieder. Für alternde In­dustrieländer, die laut der Studie ähn­liche Verläufe zeigen, bedeutet das: We­niger Erwerbstätige erzeugen eine geringere Produktivität und geringere Emissionen. Ein Beispiel ist Italien, das im Schnitt älteste und geburtenschwächste europäische Land. Dort bringt eine Frau rechnerisch nur 1,4 Kinder zur Welt – statt 2,1, die statistisch notwendig wären, um eine Bevölkerung ohne Migration auf konstantem Niveau zu halten. 

In Italien gingen die CO2-Emissionen seit 2005 um ein Drittel zurück. Das muss nicht ausschließlich an der sich ändernden Bevölkerungsstruktur liegen, sondern könnte etwa auch mit klimapolitischen Maßnahmen der Regierung zu tun haben. Doch auch in Deutschland, wo die Geburtenzahl je Frau 2019 auf 1,59 etwas anstieg, sonst aber seit Jahren stagniert, sind ebenfalls sinkende CO2-Emissionen zu beobachten, wie auch in Japan. Allerdings liegt die Geburtenzahl in Japan noch niedriger als in Deutschland, während der Rückgang der Emissionen geringer ist, der Effekt ist also uneinheitlich. Langfristig rechnen die Forscher damit, dass die Industrieländer durch diese de­mographischen Effekte die Emissionswerte von vor 1950 wieder erreichen.

Das würde den Erdüberlastungstag wieder nach hinten verschieben.....

Daraus leitet sich ein Dilemma in­nerhalb der Weltgemeinschaft ab: Wie geht man mit dem Wachstum von Schwellenländern und Entwicklungsländern um? Die Industrienationen konnten zu Beginn ihrer Entwicklung wirtschaften, ohne Emissionsreduzierungen um­setzen zu müssen. Das wissen auch die Auf­steiger China und Indien. Angesichts nahender Kipppunkte des Weltklimas zeichnet sich ein gravierendes Problem ab.

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