Sonntag, 3. Oktober 2021

Klimafreitag in der Süddeutschen Zeitung

 

sind Sie mit dem Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag zufrieden (falls Sie nicht zufällig in meiner Heimatstadt Berlin wohnen, wo man unabhängig vom Ergebnis leider schon mit dem Ablauf nicht zufrieden sein kann)? Oder hätten Sie sich ein anderes Ergebnis gewünscht?

Aber was soll’s: Die Leute haben eben so gewählt. Es ist, wie es ist, eine Wahl ist ja kein Pferderennen, auch wenn es im Wahlkampf manchmal so wirkt. Trotzdem kann man sich fragen, was das Ergebnis für den Klimaschutz bedeutet, und wie es damit weitergeht. Dafür müsste man natürlich wissen, welche Koalition am Ende herauskommt. Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, dass sowohl die Grünen als auch die FDP mitregieren werden. Und zumindest das könnte eigentlich eine ganz spannende Kombination werden.

Wenn man in die Klimaprogramme der beiden Parteien schaut, gibt es natürlich große Unterschiede; das der FDP landete etwa in einer Bewertung durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf dem letzten Platz, während die Grünen vorne lagen. Die FDP setzt sehr stark auf Marktkräfte, also auf den EU-weiten Handel mit Emissionszertifikaten. Das hat Nachteile. Im Verkehr etwa bewirkt selbst ein hoher CO₂-Preis sehr lange fast nichts, weil kaum jemand wegen ein paar Cent mehr für den Liter Benzin oder Diesel sein Auto abschafft. Wenn man sonst nichts tut, geht alles erstmal weiter wie bisher. Und am Ende steht man mit einem Verkehrssystem da, das so weit wie eh und je von der Klimaneutralität entfernt ist, hat aber erst recht keine Zeit mehr, das noch zu ändern. Ohne Maßnahmen wie Effizienzvorgaben, Investitionen in ÖPNV, Kaufprämien, Verbrenner-Aus und so weiter bringt ein CO₂-Preis im Verkehrssektor nicht viel.

Andererseits ist es aber auch so: Ohne CO₂-Preis ist praktisch alles andere nichts, und das gilt nicht nur im Verkehr. Werden Motoren effizienter, kaufen sich die Leute schwerere Autos und fahren damit mehr herum, Treibhausgas-Spareffekt gleich null, das konnte man in den vergangenen Jahren beobachten. Einen sicheren und dauerhaften Anreiz für den Einzelnen, immer weniger zu emittieren, bietet allein ein steigender CO₂-Preis. Das ist auch in anderen Bereichen so: Nichts drängt etwa Kohle schneller und eleganter aus dem Markt als hohe CO₂-Preise.

Es ist beileibe kein leichtes und erst recht kein billiges Vorhaben, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Wenn der Markt dabei helfen kann, sollte man ihn lassen. Und wenn die FDP konsequent darauf pocht, ist das vielleicht gar nicht so schlecht.

Andersherum könnten die Grünen darauf achten, dass vor lauter festem Glauben an wundersame Marktkräfte und Zukunftstechnologien, die die Sache schon regeln werden, nicht der klimapolitische Ehrgeiz schwächelt. Sie könnten auch all das im Blick haben, was der Markt nicht oder nicht ausreichend erledigt: Stromnetze ausbauen, Widerstände gegen Windräder überwinden, Radfahren attraktiver machen, Gebäude sanieren.

Vielleicht können sie der FDP auch schonend vermitteln, dass der Wasserstoff, den manche Liberale offenbar als bequemen Ersatz für Öl und Gas betrachten, zumindest im Verkehr und beim Heizen eher nicht die erste Wahl der Marktkräfte sein dürfte. Elektroautos und Wärmepumpen sind nämlich viel billiger.

Im Idealfall, man darf ja noch träumen, ergänzen sich die Parteien in ihren Stärken beim Klimaschutz und reden sich ihre Schwächen gegenseitig aus – ich hoffe jedenfalls, dass es eher so als andersherum kommt. Oder was meinen Sie? Schreiben Sie uns wie immer gerne an klimafreitag@sz.de.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Marlene Weiß

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