Dunkelflauten-Getuschel aus dem letzten Dezember - aber es kocht schon wieder hoch...
hier Dezember 18, 2024 von Der Graslutscher
Wer letzte Woche Medien konsumiert hat, musste wohl den Eindruck bekommen, dieses Dunkelflauten-Ding sei ein vollkommen innovatives Konzept. Ein gänzlich unerwartetes, alle Fachleute überraschendes Phänomen und jetzt seien wir recht spontan komplett angeschmiert. Toll!
Nicht nur stirbt uns der Einzelhandel weg und chinesische Autos drängen in unsere Exportmärkte, nein, wir werden auch noch von sinistren Dunkelflauten heimgesucht. Übel! Sollten wir uns angesichts dieser Bedrohung zusammenfinden und gemeinsam unsere Angst herausschreien?
Nein, sollten wir nicht. Angst ist grundsätzlich kein guter Ratgeber. Keep calm and installiere Windkraft, denn Dunkelflauten gab’s schon immer. Erstaunlich in diesem Zusammenhang, dass die größten Verfechter der Atomkraft immer wieder German Angst in Bezug auf unseren Atomausstieg monieren, jetzt aber so tun (gerne mal bei NZZ, Welt und den Ruhrbaronen nachgucken, ich möchte Desinformation aber nicht verlinken), als würde die Dunkelflaute unsere Ernten vernichten und die Jugend verderben. Beherzigt doch bitte eure eigenen Ratschläge und chillt mal.
Ich sage das jetzt einfach so in meinem jugendlichen Leichtsinn, denn es gibt nicht mal eine einheitliche Definition für Dunkelflaute. Im Volksmund ist damit eine Periode mehrerer Tage gemeint, an denen wenig Wind weht und wenig Sonne scheint. Nun ist „wenig“ ein recht dehnbarer Begriff. Wir haben ja alle diesen einen Kumpel, der jedes Jahr um die Weihnachtszeit nur ganz wenig naschen will, den ihr dann aber auf dem Supermarktparkplatz dabei beobachtet, wie er einen Meter lange Riesen-Tobleronen in seinen Kofferraum stapelt. Sind bestimmt nur für die Kinder.
Manche definieren einen Tag Dunkelflaute so, dass weniger als 20% des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt (4 Tage im Jahr 2024), andere nutzen als Benchmark 25% (9 Tage im Jahr 2024) und wieder andere 30% (21 Tage im Jahr 2024). Solche Werte haben natürlich Auswirkungen auf unser Stromnetz, auf die Importe und auf all die anderen Kraftwerke im Land, denn die müssen dann entsprechend die restliche Leistung liefern, also in den obigen Definitionen 80%, 75% oder 70%.
Ach du meine Güte, 80 Prozent vom gesamten deutschen Strombedarf ohne Erneuerbare?
Solltet Ihr euch jetzt geschockt die Hände an Wangen oder Stirn gelegt und einen erschreckten Kiekser ausgestoßen haben angesichts dieses scheinbar aussichtslosen Unterfangens: Das war vor 20 Jahren noch der absolute Normalfall. Zu dieser Zeit kamen insgesamt nur 10 Prozent des deutschen Stroms aus Wasser-, Biomasse- und Windkraft. Die restlichen 90% waren Kohle-, Gas- und Atomstrom. Und zwar nicht nur an einzelnen Tagen wie jetzt, das war über weite Teile des gesamten Jahres der Fall. Je mehr Erneuerbare wir zubauen, desto stärker sinkt die Zahl dieser Tage (Achtung, dem Jahr 2024 fehlen in dieser Darstellung noch 12 Tage):
Daten von den Fraunhofer ISE Energy-Charts, Aufbereitung von mir
Rein aus Wettersicht waren das früher natürlich keine das komplette Jahr andauernden Dunkelflauten, ich kann mich ja an Schwimmbadbesuche im Jahr 2004 erinnern. Aber energetisch gesehen war das genau das gleiche wie die Situation letzte Woche, weil all der schöne Wind und die netten Photonen nutzlos verpufften: Es gab kaum Windstrom, so gut wie gar keinen Solarstrom, also mussten die thermischen Kraftwerke fast den ganzen Bedarf stemmen (das sind solche, in denen mit Dampf ein Generator angetrieben wird, also Atomkraft, Kohlekraft, Gaskraft, Ölkraft).
Der größte Unterschied wird damals gewesen sein, dass das niemanden groß gejuckt hat, während heutzutage selbst die liberale taz Unsinn wie „Der Zubau an Erneuerbaren läuft und damit bekommt Deutschland ein neues Problem“ formuliert. Nein, das Problem ist, dass Deutschland immer genug Backup-Kraftwerke braucht. Das war auch schon vor 20 Jahren so, da war der Der Bedarf an die Grundlastkraftwerke sogar etwas höher als heute (weil unser Stromverbrauch vor 20 Jahren höher war).
Das, was wir heute bei einer krassen Dunkelflaute erleben, war in den 1990er Jahren also der absolute Normalzustand. Es gab ein paar Prozent Wasserkraft, der Rest war Fossil- und Atomstrom. Dann kam die Energiewende und es wurden Jahr für Jahr immer größere Teile des Stroms aus Großkraftwerken durch Wind- und Solarkraft ersetzt......
Bitte den Artikel auf der Originalseite fertig lesen
hier Spektrum 4.7.25
Hellbrise, Dunkelflaute und Wohlstand durch Energiespeicher
Über den 2:0 Erfolg des deutschen Frauen-Nationalteams gegen Polen habe ich mich vorhin sehr gefreut. Dabei wissen Leserinnen und Leser dieses Blogs: In Gebirgsregionen und also auch der Schweiz steigen Temperaturen besonders schnell, die Alpen beginnen vielerorts bereits zu zerbröseln.
Die Grafik aus dem Jahr 2023 zeigt, dass sich die Alpen bereits um +2,3 Grad erhitzt haben, Deutschland insgesamt aber nur um +1,5 Grad.
Gebirgsregionen erhitzen sich besonders schnell, weswegen der EUSALP-Alpenraum besonders betroffen ist und das Kernkraftwerk Beznau in der Schweiz wegen drohender Überhitzung der Aare abgeschaltet werden musste. Screenshot aus der ZDF-Doku “Alpen in Gefahr”, 2023: Michael Blume
Warum droht bei der Hitze-bedingten Abschaltung von Atomkraftwerken – zuletzt auch in Frankreich – jedoch keine Dunkelflaute? So nannten atomare und fossile Lobbyisten jene Stunden, in denen zu wenig Solarenergie und zu wenig Windstrom verfügbar sein würden.
Nun: Der bayerische Landkreis Wunsiedel hat das Dunkelflaute-Problem vor allem mit grünem Wasserstoff längst gelöst: In Zeiten von Ökostrom-Überhängen wird die erneuerbare Wohlstandsenergie aus Sonne und Wind gasförmig gespeichert und bei Bedarf dann wieder abgegeben.
Der 3Sat-Nano-Bericht dazu heißt daher auch: “Dunkelflaute? Nicht in Wunsiedel”
Empfehlender Mastodon-Post von Dr. Michael Blume zur 3sat-Nano-Sendung "Dunkelflaute? Nicht in Wunsiedel" mit Link.
Weil über den Energiewende-Erfolg in Wunsiedel leider noch wenig berichtet wird, weise ich seit einiger Zeit als Wissenschaftler und Solarpunk darauf hin.
Das Gegenstück zur Dunkelflaute ist längst die Hellbrise: An immer mehr Tagen im Jahr gibt es quer durch Europa zuviel (!) Strom aus Sonne und Wind, so dass Strom-Abregelungen und Blackouts drohen.
Schnell ändern fossile Lobbyisten daher ihre Argumentation: Hatten sie bis vor Kurzem noch vor Strom-Mangel und “Dunkelflauten” gewarnt, beklagen sie jetzt Ökostrom-Überschüsse und fordern eine “Verlangsamung” des Ausbaus erneuerbarer Friedensenergien.
Dabei gibt es die gleiche Problemlösung wie bei den Dunkelflauten technologisch längst: Energiespeicher, vor allem organische Redox-Flow-Batterien und Elektrolyseure für grünen Wasserstoff. Bei sog. negativen Strompreisen – also dem Angebot, gegen Bezahlung überschüssigen Strom abzunehmen – entsteht sogar eine doppelte Wirtschaftlichkeit: Zu Ökostrom-Überschuss-Zeiten (Hellbrisen) wird die Energie gegen Entgelt gespeichert und bei Bedarf (Dunkelflauten) wieder verkauft und abgegeben.
Würde die fossile Bundes-Bürokratie endlich das bidirektionale und bikamerale Laden von Elektroautos erlauben, so könnten auch immer mehr Elektrofahrzeug-Besitzende mit den Autobatterien an der Energiespeicherung mitwirken. Auch das wäre ein wirtschaftlicher Schub und würde die Energienetze weiter stabilisieren.
Bei erneuerbaren Wohlstandsenergien Sonne und Wind plus Energiespeichern bleibt die Wertschöpfung dabei im Inland, wogegen die fossilen Gewaltenergien Erdgas und Erdöl die Kriegsführung u.a. von Russland gegen die Ukraine, die Revolutionsgarde im Iran u.v.m. finanzieren. Knapp zugespitzt: Erneuerbare & Energiespeicher machen die Volkswirtschaften wohlhabend, Gaskraftwerke bereichern dagegen das Putin-Regime, Katar, Hamas & Co.
Solarpunks wissen:
Erneuerbare Energien sind
1. Friedensenergien,
2. Wohlstandsenergien,
3. Sicherheitsenergien und fördern
4. dezentrale Energiedemokratien sowie
5. den Mitweltschutz,
bremsen die globale Erhitzung ab.
Michael Blume mit Leonardo.ai
Ob ich das auch Wirtschafts- und Energieministerin Katharina Reiche (CDU) so sagen würde? Selbstverständlich, ich sprach von erneuerbaren Friedensenergien ja bewusst auch im Landtag von Baden-Württemberg. Denn aus meiner Sicht sollte auch Deutschland die Energie-Wertschöpfung im Inland erhöhen und zugleich die fossile Finanzierung von Diktaturen, Kriegen, Terrorgruppen und Antisemitismus so schnell wie irgend möglich einstellen.
Der Fossilismus tötet für kurzfristigen Profit. Bin gespannt, welche Länder und Kommunen sich das in Zukunft noch bieten lassen.
Veröffentlicht von Michael Blume
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/
Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.
Bezug hier: Reiche warnt vor wochenlangen Dunkelflauten: „Benötigen neue flexible Gaskraftwerke“
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