Zugegeben: So ganz verstehe ich die SPD nicht - erst werden zusätzliche Milliarden-Ausgaben als Wahlgeschenke klaglos unterstützt (man denke an Mc`Donalds und die Mütterrente) anstatt dringend notwendige Investitionen in eine klimagerechte Zukunft anzustoßen und dann kommt die Aussage von Klingbeil daher, die aus einer anderen, plausibleren Welt zu stammen und mit der CDU zusammen undurchsetzbar scheint. Was denn nun?
Perspective daily hier Chris Vielhaus / Meinung 22. August 2025
Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) hat es ausgesprochen: Menschen mit sehr hohen Einkommen und Vermögen müssen ihren Teil beitragen – für viele ein Tabubruch. Der Beginn einer längst überfälligen Debatte, die über die Zukunft unseres Landes entscheidet.
Es erinnert ein bisschen an den Filmklassiker »Und täglich grüßt das Murmeltier«: Der Staat hat in den nächsten Jahren zu wenig Geld.
»Es reicht immer noch nicht?«, möchte es einem entfahren angesichts des Rekordschlucks aus der Schuldenpulle von 500 Milliarden Euro, den sich die Bundesregierung zu Anfang des Jahres genehmigt hat. Wie kann das sein?
Doch es ist wahr: Zwar steigen die Investitionen der Bundesrepublik dank der Reform der Schuldenbremse und des Sondervermögens aktuell kräftig an. Der Haushaltsplan von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) ist für dieses und nächstes Jahr durchfinanziert.
Doch damit hören die guten Nachrichten dann auch schon wieder auf. Denn für 2027 bis 2029 klafft ein gigantisches Loch von 172 Milliarden Euro in seinen Büchern. Wie das sein kann? Dazu kommen wir gleich.
Zuerst kommen wir zu den Breaking News, die aktuell Schlagzeilen machen. Klingbeil hat sich angesichts dieser Lage nun getraut, eines der größten Tabus in der deutschen Politik zu brechen: Er hat es tatsächlich gewagt, höhere Steuern ins Gespräch zu bringen. Im Sommerinterview sagte er, dass die SPD immer der Meinung gewesen sei, dass Menschen, die viel verdienen und sehr hohe Vermögen haben, ihren Teil beitragen müssten. »Und da nehme ich keine Option vom Tisch«, so Klingbeil.
Wer nun angesichts dieses Vorstoßes Puls bekommt, wie es erwartbar in der Union und der Springerpresse der Fall ist – nur einen kleinen Moment bitte!
Bevor die Empörung über den vermeintlich maßlosen Staat den Blick trübt, sollten wir uns kurz Zeit nehmen, um die Fakten nüchtern zu betrachten. Denn es ist höchste Zeit, den deutschen Götzen »Keine Steuererhöhungen für niemanden« zu hinterfragen – zumindest dann, wenn wir den Extremisten bei der nächsten Bundestagswahl nicht kampflos das Feld überlassen wollen.
Kann der Staat einfach nicht mit Geld umgehen?
In seiner aktuellen Kolumne für das Wirtschaftsmagazin Surplus erklärt Achim Truger, Mitglied des »Sachverständigenrats zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« der Bundesregierung (besser bekannt als sogenannte »Wirtschaftsweise«), wie es trotz Rekordschulden zu der Schieflage kommen kann.
So beruht der Plan des Finanzministeriums aktuell vor allem auf dem Prinzip Hoffnung: Wenn die Wirtschaft durch die Investitionen des Staates (hoffentlich) wächst, steigen auch die Staatseinnahmen und die Lücke wird kleiner. Doch Truger rechnet vor, dass das selbst im optimistischsten Szenario gerade mal reichen würde, um die Hälfte der Lücke zu schließen.
Die Lücken, die da kommen
Haushaltslücken der Jahre 2027–2029 laut aktueller Finanzplanung des Bundes, in Milliarden Euro
Haushaltslücke Quelle: Surplus Magazin
Den Rest will die Union vor allem mit ihren Lieblingsinstrumenten nach US-Vorbild begegnen: sogenannten »Strukturreformen«, was nichts anderes heißt als »Deregulierung, Schwächung von Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaften, Kürzungen bei öffentlicher Daseinsvorsorge und vor allem Sozialabbau«.
So verwundert es nicht, dass Vertreter der Union angesichts des Vorstoßes prompt suggerieren, es gehe um Steuererhöhungen für alle Bürger, um anschließend nach unten auf die Ärmsten zu treten und den Klimaschutz unter Beschuss zu nehmen.
Steuererhöhungen sind mit der CSU nicht machbar.
Wir brauchen keine andauernden Diskussionen über neue Steuern,
sondern Entlastungen und Sparmaßnahmen.
CSU-Generalsekretär Martin Huber gegenüber der BILD
Im Haushalt gebe es viel Einsparpotenzial, etwa bei explodierenden Kosten für Bürgergeld oder Milliardenförderungen, so Huber weiter.
Und auch der neoliberale Lobbyverband »Bund der Steuerzahler« ist nicht weit, um im gleichen Artikel das alte Lied von »Deutschland hat kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem!« zu spielen.
Das Narrativ, das hier unverändert hochgehalten wird, bewertet der »Wirtschaftsweise« Truger so:
Ihnen zufolge ist die Haushaltslücke Ausdruck eines überbordenden Staates, der schon seit Langem über seine Verhältnisse lebe und der nun endlich radikal zurechtgestutzt werden müsse.
Eine solche Kürzungspolitik wäre jedoch gesamtwirtschaftlich schädlich,
würde die soziale und politische Polarisierung weiter vorantreiben
und damit möglicherweise am Ende die Demokratie gefährden.
Achim Truger in seiner Kolumne »Eine Frage des Geldes« im Surplus Magazin
Bürgergeldkürzungen werden den Haushalt nicht retten
Nehmen wir zunächst den Lieblingsprellbock der Union: das Bürgergeld. Was sagen die Zahlen hier wirklich aus?
Im letzten Jahr gab der Staat 46,9 Milliarden Euro fürs Bürgergeld aus. Die Kosten seien »außer Kontrolle«.
Tatsächlich sprechen die Zahlen dagegen, wie der Wirtschaftsjournalist Mark Schieritz in der ZEIT vorrechnet: So ist die Zahl der Empfänger von Grundsicherung (vormals Hartz IV, heute Bürgergeld) in den letzten 10 Jahren von rund 6 Millionen (2015) auf 5,5 Millionen (2024) gesunken. Darin sind die Zahlungen an etwa 1 Million Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine bereits mitgezählt.
2015 lagen die Ausgaben noch bei 34,8 Milliarden Euro. Seitdem gab es 10 Jahre mit teils sehr hoher Inflation. Die Kaufkraft fiel insgesamt um etwa 20%.
Um heute dieselbe Kaufkraft wie damals zu garantieren, wären 2024 rund 44 Milliarden nötig gewesen. Fast genauso viel, wie zuletzt ausgegeben wurde. Der höhere Betrag heute kommt also größtenteils daher, dass die Leistungen an die Inflation angepasst wurden. Das ist kein Beleg dafür, dass Empfänger plötzlich im Luxus leben.
Außerdem sind für dieses und nächstes Jahr wegen sinkender Inflation keine Erhöhungen vorgesehen. Wenn die Wirtschaft wieder wächst, dürften die Ausgaben voraussichtlich stabil bleiben.
Selbst wenn man – wie Friedrich Merz, Markus Söder und Co. es fordern – die Daumenschrauben noch weiter anziehen würde, wäre der Effekt überschaubar: Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei das angesichts des in der Verfassung verankerten Rechts auf ein Existenzminimum ohnehin heikel, und am Ende ließe sich damit höchstens ein geringer einstelliger Milliardenbetrag einsparen.
Woher die Lücken im Haushalt wirklich kommen …
Tatsächlich hat die aktuelle Lücke laut dem »Wirtschaftsweisen« Achim Truger gleich mehrere Ursachen. Zum einen seien da Ausgaben für Wahlgeschenke, die die Bundesregierung jüngst selbst großzügig verteilt habe. Truger schreibt: »Ehrlicherweise beruht sie zum Teil tatsächlich auf fragwürdigen Leistungsausweitungen, beispielsweise bei Mütterrente, Senkung der Gastromehrwertsteuer und der Erhöhung der Pendlerpauschale.«
Dann sind da die Milliardenausgaben für den sogenannten »Investitionsbooster«, der die deutsche Wirtschaft aus ihrer langanhaltenden Krise holen soll. Hier fallen Einnahmen für steuerliche Erleichterungen für Unternehmen weg, die zu mehr Wirtschaftswachstum und Jobs führen sollen.
Der größte Teil entfällt laut Truger aber auf Altlasten: Die Schulden für staatliche Hilfen für die Corona- und Energiekrise wollen bedient werden. Gleiches gilt für die Zinsen für die Modernisierung von Bundeswehr und Infrastruktur, die zuvor jahrzehntelang verschleppt wurden und nun endlich angegangen werden.
Durch die Schuldenrückzahlung plus Zinsen – die nach der jahrelangen Niedrigzinsphase in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind – entstehen so bis 2029 Mehrkosten von 41 Milliarden Euro.
… und warum das nichts mit einer Neiddebatte zu tun hat
Einfach gesagt: Die Zeche steht ins Haus – die Frage ist nun, wer sie zahlen soll.
Wenn es nach der Union geht – und übrigens auch nach den neoliberalen Plänen der AfD –, ist die Antwort klar: wir alle.
Wenn der Staat jetzt kürzt, beim Klimaschutz Förderungen streicht (wie aktuell die Solarförderung) und am Bürgergeld spart, dann trifft das am Ende uns alle.
Denn verantwortlich für die finanzielle Klemme sind nicht die Bürgergeld-Empfänger – und auch nicht ein angeblich »maßloser« Staat. Die Ursachen liegen in den großen Krisen der vergangenen Jahre, in jahrelangem Investitionsstau und in den Zukunftsaufgaben, die wir gemeinsam bewältigen müssen.
Es wäre daher kaum nachvollziehbar, wenn die Hauptlast ausgerechnet die breite Bevölkerung oder Menschen mit wenig Geld tragen müssten – etwa durch Kürzungen beim Sozialstaat. Währenddessen würden Reiche und Gutverdienende durch niedrigere Unternehmenssteuern entlastet.
Und das, obwohl Wohlhabende in Deutschland und weltweit trotz aller Krisen jedes Jahr noch reicher werden. Allein in Deutschland kamen im vergangenen Jahr 500 Menschen dazu, die ein Vermögen von über 100 Millionen Euro besitzen. Insgesamt sind es nun 3.900.
Das zeigt: Es geht hier nicht um Gier oder Ressentiments gegen Menschen mit viel Geld. Es geht um Fairness und die Handlungsfähigkeit des Staates.
Pragmatismus statt Dogma: Das Mantra »keine Steuererhöhungen« löst keine Probleme
Wer sehr hohes Einkommen hat und (meist vererbtes) Vermögen hortet, muss jetzt einen Beitrag leisten. Das heißt konkret: höhere Steuern für die oberen 10%. Und nein, dazu zählen nicht die Oberärztin oder der Rechtsanwalt von nebenan, auch nicht die arme Omi in ihrem Einfamilienhaus, sondern diejenigen, die mit ihren Yachten und Privatjets in einer ganz anderen Liga spielen.
Warum zum Beispiel eine Wiederbelebung der Vermögensteuer kein Hirngespinst ist, schreibe ich – als eines von vielen Beispielen – hier:
Die 4 größten Mythen über die Vermögensteuer – und warum sie Unsinn sind
Eine weitere, schnell umsetzbare Idee sei laut Achim Truger ein sogenannter Krisen-Solidaritätszuschlag, der auf die höchsten Einkommen abziele. Dieser lasse sich seiner Ansicht nach vergleichsweise unbürokratisch erheben und an veränderte Bedarfe anpassen. Außerdem könne er gezielt auf die oberen 5 bis maximal 10% der Einkommensverteilung zugeschnitten werden und würde damit tatsächlich solidarisch von den starken Schultern getragen.
Nur ein handlungsfähiger Staat kann sich gegen Extremisten behaupten
Dass solche Maßnahmen keine linken Spinnereien sind, zeigen ausgerechnet die USA: »Fair Share«, fairer Beitrag, heißt die Millionärssteuer des Bundesstaates Massachusetts, die 2023 in Kraft getreten ist. Dort hat die Bevölkerung per Direktabstimmung für die Einführung einer zusätzlichen Abgabe von 4% jährlich gestimmt, die ab einem Einkommen von 1 Million Dollar anfällt. Betroffen sind davon weniger als 1% der Haushalte des Bundesstaats.
Die Einnahmen im ersten Jahr übertrafen mit 1,8 Milliarden Dollar die Erwartungen fast um das Doppelte. Das so eingenommene Geld ist explizit zweckgebunden und fließt in Gemeingüter wie Infrastruktur und Bildung, konkret zum Beispiel in kostenlose Schulmahlzeiten, Community Colleges und Straßenreparaturen. Die Millionäre flohen entgegen den Warnungen von Kritikern daraufhin nicht aus dem Bundesstaat – ihre Zahl stieg sogar.
Das Beispiel zeigt: Solche Maßnahmen stärken den Staat – und machen deutlich, dass Politik handlungsfähig ist. So ließe sich den Populisten der Wind aus den Segeln nehmen, die mit Blick auf die Mehrheiten nicht ganz zu Unrecht behaupten, sie könne es nicht.
Selbstkritisch – und das gilt sowohl für Medienschaffende als auch für Privatpersonen – bedeutet das: Wir müssen den Teufelskreis billiger Stimmungsmache durchbrechen und dürfen öffentlich wie privat nicht länger über jedes Stöckchen springen, das uns Populisten hinhalten. Stattdessen liegt es an uns, ihrem Agenda Setting nicht auf den Leim zu gehen, einmal tief durchzuatmen und über echte Lösungen zu sprechen, anstatt uns vom tagespolitischen Klein-Klein vereinnahmen zu lassen.
Für die politischen Verantwortlichen, allen voran die SPD, heißt das: Jetzt ist der Moment, Rückgrat zu beweisen. Es verdient Anerkennung, dass Lars Klingbeil erstmals den Mut gezeigt hat, überhaupt über eine fairere Lastenverteilung zu sprechen. Doch bei einem Signal darf es nicht bleiben – sonst droht die Partei, wie schon in den Koalitionsverhandlungen, in zentralen Fragen der Verteilungspolitik erneut einzuknicken.
Tut sie das, ebnet sie nicht nur den Weg in die eigene Bedeutungslosigkeit, sondern öffnet auch der AfD angesichts der ungerechten Lastenverteilung weitere Türen.
Doch das muss nicht so kommen: Wer jetzt klar und glaubwürdig für Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit einsteht, kann Vertrauen zurückgewinnen – und zeigen, dass Politik aktiv gestalten kann, statt nur Besitzstände zu verteidigen.
Nach der Bundestagswahl ist vor der Bundestagswahl.
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