Perspective daily hier Désiree Schneider 20. August 2025
3 Gründe, warum die Lage nach dem ergebnislosen Plastikgipfel gar nicht so schlecht ist.
Die weltweite Plastikverschmutzung beenden – kein geringeres Ziel hatte das Treffen der Vereinten Nationen in Genf, das vergangene Woche zu Ende ging.
10 Jahre Vorbereitung, 3 Jahre Verhandlungen und das Ergebnis?
Vertreter:innen aus über 180 Ländern fanden keinen gemeinsamen Nenner für ein globales Plastikabkommen. Ein rechtlich bindender Vertrag – ähnlich dem Pariser Klimaabkommen – sollte Produktion, Chemikalienbeimischung sowie Abfallmanagement und Recycling von Kunststoffen regeln.
Der Frust über das nicht zustande gekommene Abkommen stand vielen Politiker:innen, Beobachter:innen und Umweltschützer:innen ins Gesicht geschrieben. Immerhin war der 10-tägige Plastikgipfel in der Schweiz bereits eine Verlängerung der ursprünglich finalen Verhandlungsrunde im südkoreanischen Busan, die im Dezember 2024 ebenfalls ergebnislos blieb.
»Das Plastikabkommen ist gescheitert«, titeln die Medien.
Doch ist dem wirklich so?
»Erfahrene Verhandler:innen haben von Anfang an gesagt, dass der Zeitrahmen ambitioniert ist. So ist es nicht verwunderlich, dass es auch im 6. Anlauf zu keiner Einigung kam«, sagt Melanie Bergmann gegenüber dem Science Media Center. Die Tiefseeforscherin arbeitet am Alfred-Wegener-Institut vor allem zu den Auswirkungen von Mikroplastik in den Meeren und begleitet die deutsche Delegation seit Beginn der Verhandlungen im Jahr 2022. Sie war in Genf vor Ort.
Nach so viel Zeit und Mühe, die Tausende Menschen in die Verhandlungen gesteckt haben, und offensichtlichen Hinhaltetaktiken von ölproduzierenden Staaten, die ein wirksames Plastikabkommen sabotieren wollen, ist der Frust verständlich.
Im Gegenteil: Sie haben bereits viel bewirkt.
Hier sind 3 Gründe.
1. Kein Abkommen ist besser als ein schwacher Vertrag!
In diesem Punkt sind sich viele Umweltschützer:innen, Forscher:innen und so manche:r Politiker:in einig: Kein Plastikabkommen ist besser als eines mit Schlupflöchern, das einen ambitionierten Anschein macht, aber nichts bewirkt. Das sieht auch Moritz Jäger-Roschko, Experte für Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace, so: »Ein schwaches Abkommen wäre schlimmer als keines – es würde Stillstand als Fortschritt verkaufen.«
Auf der UN-Vollversammlung im Jahr 2022 einigten sich rund 180 Länder der Welt darauf, gemeinsam die Plastikflut in Angriff zu nehmen. Das Hoffnungsvolle an diesem Beschluss: Das Abkommen soll den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen abdecken, von der Produktion bis zum Nutzungsende der Produkte.
Doch an genau diesem Vorsatz sägte eine Koalition ölfördernder Länder seit Beginn der Verhandlungen. Saudi-Arabien, Iran, Bahrain, China, Russland und andere Länder mit großen petrochemischen Industrien haben sich zu einer »Gruppe der Gleichgesinnten« zusammengeschlossen.
Sie lenkten den Fokus der Gespräche immer wieder bewusst auf das Recycling und Abfallmanagement und stellten sich gegen ein Abkommen, das die Produktion und Zusatzstoffe im Plastik einschließt. Ein Beispiel ihrer Taktik: Geht es in Gesprächen um Einwegplastik-Verbote, hängen sie sich an dem Punkt auf:
»Einwegplastik-Produkte dürfen nicht verboten werden, weil sie beispielsweise in der Medizin unersetzbar sind.« Das stimmt, aber genau dafür werden die Gespräche geführt – um zu erörtern, wo auf Plastik verzichtet werden kann und wo nicht.
Und diese Taktik hatte Erfolg, denn die Vereinten Nationen arbeiten mit einem Konsensprozess. Alle Länder müssen die Ergebnisse tragen können, bevor es weitergeht.
Kunststoffe sind eine Gefahr für die menschliche Gesundheit – vom Mutterleib bis zum Grab
Ein internationales Forschungsteam hat Anfang August eine Studie veröffentlicht, die den Forschungsstand rund um Plastik zusammenfasst. So werden mehr als 16.000 Chemikalien in Kunststoffen verwandt, die meisten sind Forschenden unbekannt. Von dem Plastik, das bereits im Umlauf ist, wird weniger als 10% recycelt. Kleinste Plastikpartikel sind überall zu finden – in jedem Menschen und den tiefsten Meeresschichten – und sie stehen im Zusammenhang mit Fehlgeburten, Geburtsfehlern, Herzerkrankungen und Krebs.
Ein wirksames Abkommen muss jedoch die Plastikproduktion reduzieren, gefährliche Chemikalien und unnötiges Einwegplastik verbieten, Mehrweg fördern und den Globalen Süden fair bei den Kosten für die Müllbeseitigung und dem Aufbau von Kreislaufsystemen unterstützen. Dafür gab es in Genf keinen Konsens.
Und trotzdem: Die Verhandlungspartner:innen sind dem Ganzen erstmals einen wichtigen Schritt nähergekommen – was ein guter Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen ist. Dazu mehr im nächsten Punkt.
2. Die Mehrheit möchte ein »ambitioniertes« Abkommen und kann vorausgehen!
Der vergleichsweise kleinen Gruppe der Gleichgesinnten steht eine Gruppe von inzwischen rund 130 Ländern gegenüber, der sogenannten »Koalition der Willigen«. Sie setzt sich für ein Abkommen ein, das die Plastikproduktion begrenzen, Einwegplastik verbieten sowie Wiederverwendung und -verwertung erleichtern und verbessern möchte.
Innerhalb dieser Gruppe gibt es mehr als 70 Länder, die die »weltweite Plastikverschmutzung bis 2040 beenden wollen«. Was genau sie damit meinen, ob sie neue Verschmutzung verhindern oder auch Plastikmüll aus dem Meer fischen wollen, bleibt offen. Viele Inselstaaten, Länder aus Südamerika und Afrika sowie die Europäische Union sind Teil dieser »hochambitionierten Koalition«. Doch überraschenderweise gehören auch große ölproduzierende Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Kanada dazu.
Obwohl die große Mehrheit aller Länder weltweit für ein »ambitioniertes« Plastikabkommen ist, kam es wegen des Konsensprozesses der Vereinten Nationen in den Verhandlungen zu keinem Ergebnis. Daher fordern viele Beobachter:innen, den konsensbasierten Ansatz aufzugeben und stattdessen zum Beispiel über den Vertrag und seine Unterpunkte abstimmen zu lassen.
Wie es mit den Verhandlungen weitergeht, ist zwar offen. Dass es weitergeht, ist jedoch wahrscheinlich. Uganda beantragte bereits eine neue Verhandlungsrunde zu einem späteren Zeitpunkt. Bis dahin haben die progressiven Länder laut Tiefseeforscherin Melanie Bergmann Zeit, die sie gut nutzen können. Sie könnten Bande schmieden und sich strategisch besser aufstellen, um wirklich ein wirksames Abkommen zu bekommen. »Auch in der Zeit zwischen den Verhandlungen könnte mit Diplomatie viel erreicht und könnten zeitgemäßere Formate für Gespräche gefunden werden«, sagt die Beobachterin.
Die Gruppe der Willigen aus rund 130 Ländern ist sich nämlich bei Weitem nicht in allen Punkten einig. Doch wenn sie weitere gemeinsame Nenner finden, können sie in den nächsten Verhandlungsrunden ihren Vorsprung ausbauen, den sie in Genf aufgebaut haben.
Denn dort haben es die ambitionierten Länder erstmals geschafft, von der Strategie der Ölgruppe abzurücken und über das »Wie« statt über das »Ob« zu sprechen. Also über echte Inhalte.
Außerdem hofft die EU, einen überraschenden Akteur aus dem Lager der Abkommen-Bremser auf ihre Seite zu ziehen: China. Mehrere Delegierte und Beobachter:innen haben laut dem US-amerikanischen Medium Politico festgestellt, dass China Maßnahmen gegenüber offen ist, die schrittweise problematische Kunststoffprodukte abschaffen würden. China sei der weltweit größte Verbraucher und Produzent von Kunststoffen und habe, um eine nationale Umweltkrise einzudämmen, bereits teilweise eigene Beschränkungen für die Herstellung, den Verkauf und die Verwendung von Einwegkunststoffen eingeführt.
Laut Raimund Bleischwitz, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung, ist die Verständigung mit China und Indonesien als Hauptproduzenten von Plastik und Plastikabfällen nun besonders wichtig. Beide hätten »hohe Ambitionen« für ein Plastikabkommen signalisiert, das den kompletten Lebenszyklus von Kunststoffen abdecke. Sie an Bord zu bekommen, sei ein Game Changer.
Und selbst wenn die nächsten Verhandlungsrunden ebenfalls ins Leere führen, hat Tiefseeforscherin und Beobachterin Melanie Bergmann Hoffnung:
Auch in den Verhandlungen zum Landminenabkommen – dem Ottawa Treaty – konnte kein Konsens erzielt werden. Die vertragswilligen Parteien setzten die Verhandlungen außerhalb des UN-Prozesses fort und kamen zu einer Einigung. Kurz darauf traten auch die wenigen vertragsunwilligen Länder wie die USA und Russland bei.
Das Plastikabkommen ist zwar um einiges komplexer als das Landminenabkommen, doch vom Prinzip her kann die Koalition der Willigen etwas Ähnliches ins Rollen bringen.
3. Dank der Verhandlungen bewegt sich endlich etwas in der Politik!
»Trotz des ausgebliebenen Durchbruchs haben die Verhandlungen eine bemerkenswerte internationale Mobilisierung ermöglicht«, sagt Aleke Stöfen-O’Brien. Sie arbeitet als Assistenzprofessorin an der World Maritime University im schwedischen Malmö und war als Beobachterin vor Ort in Genf. Die Verhandlungen selbst hätten starke wissenschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Netzwerke geschaffen, die weit über den Verhandlungstisch hinauswirkten.
Wie recht sie hat. Seit Verhandlungsstart des Plastikabkommens steht das Thema Plastikverschmutzung wieder auf vielen politischen Agenden weltweit. Es gibt mehr Forschungsvorhaben, die verschiedene Aspekte der Plastikverschmutzung untersuchen, darunter ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt und mögliche Lösungen.
Auch auf nationaler, politischer Ebene hat sich vieles getan, was nicht zu unterschätzen ist. Noch nie gab es so viele nationale Verbote für die Herstellung, das Inverkehrbringen oder Benutzen von Einwegplastikprodukten wie Plastiktüten. Besonders in Afrika und Südamerika gingen viele Länder voran.
Ein anderes Beispiel: China hatte seit 1992 fast die Hälfte des weltweiten Plastikmülls aufgenommen, bis es 2018 ein Importverbot verhängte. Länder wie Thailand und Indonesien sind nachgezogen und nehmen seit diesem Jahr keine Plastikmüllimporte mehr an.
Ab Ende Mai nächsten Jahres dürfen die 27 EU-Mitgliedstaaten ihren Plastikmüll zudem nicht mehr außerhalb der wohlhabenden Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) exportieren. Damit werden Plastikmüllexporte nach Afrika sowie in große Teile Asiens und Südamerikas verboten. Das ist gut, denn dann müssen wir uns selbst um unseren nur schwer recycelbaren Müll und um eine bessere Wiederverwertung kümmern. Oder noch besser: Wir stellen unser Wirtschaften so um, dass wir weniger Müll produzieren.
Ein ebenfalls wichtiger Punkt: Die Verhandlungen zum Plastikabkommen wurden maßgeblich von den Ländern des Globalen Südens initiiert und dominiert. Der Entwurf, der während der Verhandlungen am meisten diskutiert wurde und die Stoßrichtung für die Gruppe der Willigen vorgegeben hat, stammte von Peru und Ruanda.
»Die Dynamik, die die Zivilgesellschaft und indigene Völker im Laufe des Verhandlungsprozesses zum Plastikabkommen aufgebaut haben, ist unbestreitbar«, schreibt das Umweltbündnis Gaia. Gaia steht für Global Alliance of Incinerator Alternatives (auf Deutsch: Globaler Zusammenschluss für Alternativen zu Verbrennungsanlagen) und setzt sich aus über 1.000 Initiativen, Nichtregierungsorganisationen und Aktivist:innen zusammen, hauptsächlich aus dem Globalen Süden.
Vor nicht allzu langer Zeit wurde die Plastikverschmutzung laut Gaia weitgehend als Problem allein für die Abfallwirtschaft angesehen. Heute sei wissenschaftlich klarer denn je, was zur Lösung dieser Krise erforderlich sei, das öffentliche Bewusstsein und die Besorgnis seien so groß wie nie zuvor. »Mehr denn je sind die Voraussetzungen für einen tiefgreifenden Wandel gegeben, mit oder ohne Plastikabkommen«, schreibt die Gruppe.
Die Verhandlungen in Genf haben gezeigt, dass Widerstände groß sind – aber auch, dass der politische Wille zur Veränderung wächst und Verursacherländer dabei sind, Verantwortung zu übernehmen. Ein globales Abkommen mag noch nicht erreicht sein, doch die Richtung stimmt: Der Wandel hat längst begonnen. Und je mehr Staaten vorangehen und verbindliche Regeln einfordern, desto schneller bekommen wir einen echten Kurswechsel im Umgang mit Plastik hin.
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