Hamburg ist weit weg und natürlich eine Großstadt, aber das aufgezeigte Problem ist auch uns nicht fremd. Auch in engen Dorfstraßen wird man als Fahrradfahrer oftmals bedrängt.
Zeit hier Von Annika Lasarzik, 20. August 2025
Ich bin kein Störfaktor!
Als Radfahrerin wird man ständig belehrt, bedrängt und beschimpft.
Grund dafür ist auch die Infrastruktur unserer Städte, die Verkehrsteilnehmer gegeneinander ausspielt.
Ich bin ein wandelndes Ärgernis, eine Provokation auf zwei Rädern. Kaum bin ich in Hamburg mit dem Fahrrad unterwegs, werde ich belehrt, bedrängt, angehupt oder ignoriert. Jetzt im Sommer passiert mir das besonders oft. Als wäre mein Rad kein Verkehrsmittel, sondern ein Störfaktor.
So wie neulich auf dem Weg zur Arbeit: "Muss das sein?", rief mir eine Frau im Alten Elbtunnel zu, als ich über die mittig verlaufende Fahrradstraße radelte und klingelte, weil sie auf ebendieser spazierte. Als wäre es dreist von mir, meinen Weg zu nutzen und Kollisionen vermeiden zu wollen. Wenige Minuten später fuhr ich an den Landungsbrücken vorbei – der Radweg verläuft dort kurz vor einer Kreuzung eingekeilt zwischen Autospuren auf der Straße. Ein Autofahrer überlegte sich offenbar spontan, doch nach rechts abzubiegen und schnitt mir den Weg ab. Kein Blinker, kein Schulterblick. Nach diesem Schreckmoment fuhr ich besonders langsam weiter, auf einem dieser handtuchbreiten Radwege aus den Nullerjahren, eingequetscht zwischen Straße und Gehweg. Denn die Pflastersteine sind holprig, und es sind Sommerferien, an der Hafenkante flanieren viele Touristen. Wieder klingelte ich mir den Weg frei, wieder kassierte ich empörte Blicke.
Und auf dem Rückweg endete mein Radweg abrupt vor einer Baustelle. Statt einer Umleitung stand dort nur ein kleines Schild – sinngemäß der Hinweis, sich irgendwie zwischen den Autos durchzuschlängeln. Ich erinnerte mich an die Radfahrerin, die hier vor einem Jahr von einem Lastwagen überfahren wurde, und zögerte kurz. Als die Straße frei war, fädelte ich mich ein. Das nächste Auto drängte sich dicht hinter mich, ich trat fester in die Pedale – nur weg hier. Kurz darauf führte der Radweg direkt durch eine Bushaltestelle, ich musste hart bremsen, ein Passant schimpfte los.
Ich bin die, die nervt. Die sich durchschlängelt, die auf ohnehin engen, schwer übersichtlichen Wegen plötzlich auftaucht, auf Straßen, die nicht für sie gedacht sind. Die für die einen zu schnell und für die anderen zu langsam fährt. Die irgendwie immer im Weg ist. Und dass ich nerve, schleudern mir Menschen unverhohlen entgegen. Ich werde angehupt, höre Motoren aufheulen, die mir sagen sollen: "Fahr schneller!" Ich ernte finstere Blicke und genervte Sprüche. "Boah, diese Radfahrer!"
Fahrradfahren: Ich bin kein Störfaktor!
Verstehen Sie mich nicht falsch: In Hamburg radelt es sich heute durchaus angenehmer als früher. Fahrradstraßen, Fahrradparkhäuser, geschützte Radwege: All das klang vor 15 Jahren noch nach Utopie. Heute ist es längst Realität, wenn auch eher punktuell. Die Wege werden besser, natürlich. Aber an sehr vielen Stellen ist der Verkehr noch immer so angelegt, dass man als Radfahrerin das Gefühl hat, nur geduldet, nicht gewollt zu sein. Man fährt eingezwängt zwischen Autos und Parkplätzen, rüttelt über Kopfsteinpflaster, muss seine Spur immer wieder aufs Neue suchen.
Noch immer erscheint das Fahrrad vielen als Fremdkörper im System
Ein Miteinander im Verkehr – ganz ehrlich: Das gibt es nicht. Der Ton wird vielmehr rauer, der Egoismus größer. Noch immer erscheint das Fahrrad vielen als Fremdkörper im System. Auf eine Art ist es das auch: Unsere Städte wurden für Autos gebaut, jetzt gerät dieses Gefüge in Bewegung – das sorgt für Reibung. Es ist dieser Frust, den ich als Radfahrerin täglich zu spüren bekomme, von allen Seiten. Auch von anderen Radfahrern.
Denn natürlich gibt es sie, diese rücksichtslosen Radler, die bei Rot über Kreuzungen fahren, die ohne Not über Gehwege rasen, andere abdrängen und sich waghalsig in Kurven stürzen. Ich sehe sie auch und ärgere mich. Trotzdem finde ich es immer wieder überraschend, wie viel Raum die Klagen über "Fahrradrowdys" einnehmen, wie sehr bei ihnen die Schuld gesucht wird. Kaum sind Berichte über Radunfälle öffentlich, wird in den Kommentarspalten – nicht selten süffisant – spekuliert. Ob die Ampel wohl rot war, ob Kopfhörer im Spiel waren.
Dass die Statistik längst zeigt, dass Radfahrende bei schweren Unfällen meist nicht die Verursacher sind – geschenkt. Man scheint sich geeinigt zu haben: Die rüpeligen Radfahrer sind das größte Problem. Dabei lenkt diese Erzählung nur vom Eigentlichen ab. Statt zu fragen, wie es so weit kommen konnte – dass Menschen ohne Knautschzone bis heute kaum geschützt sind, dass in dicht besiedelten Vierteln Parkplätze mehr wert sind als sichere Wege –, führen wir Ersatzdebatten. Fingerzeigen statt Lösungen. Jeder gegen jeden. Dabei müssten wir eigentlich über viel tieferliegende Themen sprechen. Zum Beispiel darüber, wie leicht es unsere Infrastruktur macht, Radfahrer zu hassen. Der Straßenraum ist so gebaut, dass Verkehrsteilnehmer gegeneinander ausgespielt werden – besonders die Schwächsten. Radfahrende und Fußgänger kommen sich immer wieder in die Quere, weil Wege zu eng sind, weil Radspuren fehlen oder kaum erkennbar sind.
Unsere Sozialisierung in der Autogesellschaft sitzt tief. Einige Autofahrer verhalten sich, als gehöre ihnen die Straße allein. Mal eben den Radweg zuparken, mal schnell ohne Schulterblick die Fahrertür aufreißen, sich dicht an einem Rad vorbeischlängeln und einem die Vorfahrt nehmen – all das habe ich lange hingenommen. Nicht, weil ich es nicht bemerkt hätte. Sondern weil ich selbst das Prinzip längst verinnerlicht hatte: Die Straße gehört den Autos. Ich war die Störerin, die sich einzufügen hatte – möglichst leise, möglichst unsichtbar. Nach dem Motto: Sei froh, dass du hier überhaupt fahren darfst. Und wenn mir dann doch mal jemand meinen Platz einräumte, mir die Vorfahrt ließ, den nötigen Abstand hielt – dann nickte ich sogar noch freundlich. Dankbar, etwas zu bekommen, das mir zusteht.
Aber ich habe keine Lust mehr, mich ständig wegzuducken, nur weil andere sich in ihren Autos für unangreifbar halten. Ich bin kein Störfaktor. Ich bin Verkehrsteilnehmerin!
Und jetzt?
Ich möchte nicht aus Trotz auf jede Regel pfeifen und wie manch andere ohne Rücksicht durch den Verkehr preschen. Und auf keinen Fall möchte ich das Radfahren aufgeben. Es gibt kaum etwas, das mich so schnell wieder zu mir bringt wie die Fahrt durch den Hafen nach Feierabend. Ich muss nie auf eine verspätete S-Bahn warten, ich stehe nicht im Stau, ich suche nicht lange einen Parkplatz. Und wenn ich fahre, spüre ich meinen Körper, ich lüfte meine Gedanken, ich sehe die Stadt, die Häuser, die Menschen, die Elbe, fühle mich der Stadt mehr verbunden. Fahrradfahren in Hamburg, es gibt mir ein Gefühl von Freiheit.
Wer oft in Städten mit dem Rad fährt, für den wird es zwangsläufig zum Politikum
Als ich herzog, bin ich nicht aus moralischen Gründen vom Auto aufs Rad umgestiegen. Nur: Wer in Hamburg oft Rad fährt, für den wird das Radfahren zwangsläufig zum Politikum. Weil einem erst dann bewusst wird, wie irrsinnig ungerecht der Straßenverkehr angelegt ist.
Wer will, dass der Verkehr fließt und diejenigen durchkommen, die wirklich aufs Auto angewiesen sind, muss anerkennen: Es braucht Veränderung. Und es geht nicht nur darum, Radwege besser auszubauen. Oft würde es schon helfen, Radwege konsequent einzufärben, Lücken zu schließen oder sie klar zu beschildern. Sichere Fahrradwege, die niemandes Leben gefährden, sind kein Nice-to-have für Freizeitsportler, sondern das bare minimum in einer modernen Stadt.
Solange wir so tun, als könnten wir auf ewig so weitermachen wie bisher, zwingen wir uns gegenseitig in einen Dauerkrieg um jeden Meter Asphalt. So lange sind Radfahrer nur geduldet. Das aber macht unsere Straßen nicht nur gefährlicher, sondern auch feindseliger.
Am Ende bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterzufahren – vorsichtig, vorausschauend, weil ich auf zwei Rädern nun einmal verletzlicher bin als die Menschen hinter dem Steuer. Aber das heißt nicht, dass ich mich kleinmachen muss.
Ich bin es leid, mich fürs Radfahren zu rechtfertigen, jedes Hupen und Schimpfen einfach zu schlucken. Ich will mich behaupten – und mir die Freude am Radfahren nicht nehmen lassen. Denn trotz allem: Es gibt kaum etwas Schöneres, als frei und leise durch die Stadt zu rollen.
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