Samstag, 9. Oktober 2021

Vorsicht, Energiepreis-Populismus

 aus dem SPIEGEL-Klimabericht 

Von Kurt Stukenberg, stellvertretender Ressortleiter Wissenschaft
Die Preise für Strom und Gas sind in den letzten Wochen rasant gestiegen. Für die Klimapolitik ist das eine schlechte Nachricht. Der Wochenüberblick zur Klimakrise. 

wenn die Energiepreise steigen, merkt das jeder. Wer abends mit dem Auto in den Feierabend fährt, zahlt an der Tankstelle drauf. Dreht man dann, zu Hause angekommen, die Heizung auf, kostet das mehr. Genauso wie der Abend vor dem Fernseher, das Duschen, das Kochen.

Wenn nun also, wie in den letzten Wochen, die Preise für Gas, Heizöl und Strom immer weiter steigen, kann das vor allem für diejenigen, die wenig finanziellen Spielraum haben, zu einem echten Problem werden. Und damit dann auch für das Gelingen der Klimaschutzpolitik.

Damit meine ich nicht nur den Effekt, dass bei höheren Kosten etwa für Gas der Betrieb der besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke wieder attraktiv werden könnte. Vielmehr drohen politische Diskussionen.

Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox hatte der Preis für Haushaltsstrom zuletzt ein Rekordhoch erklommen. 30,54 Cent pro Kilowattstunde waren es Ende September – so viel wie noch nie. Vor einem Jahr lagen die Kosten noch bei 28,65 Cent. In den vergangenen zwölf Monaten habe sich Strom damit um 6,6 Prozent verteuert. Bei den Großhandelspreisen sieht es noch schlimmer aus, laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) haben sich die Preise seit Jahresbeginn verdoppelt. Und das dürfte, abgemildert zwar und zeitversetzt, auch bei den Endkunden ankommen

Ganz ähnlich ist die Lage am Gasmarkt: In Deutschland etwa sind die Speicher kurz vor dem Winter vergleichsweise leer und die Kosten hoch. Der Gaspreis lag im August 177 Prozent über dem Vorjahresniveau, der für Öl 64 Prozent. Hinzu kommt, dass seit Jahresbeginn in Deutschland die CO2-Abgabe fällig wird, so verteuert sich auch der Spritpreis je Liter um rund zehn Cent.

Und hier kommt der Klimaschutz ins Spiel. Zuletzt im Bundestagswahlkampf zeigte sich, wie empfindlich weite Teile der Politik auf klimaschutzbedingte Energiepreiseröhungen reagieren. Als Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock aufzeigte, dass sich die Preise an den Zapfsäulen nach oben entwickeln werden, wenn die Pläne zur CO2-Bepreisung umgesetzt werden, war der Aufschrei in Berlin groß – selbst unter denen, die genau diese Preissteigerung beschlossen hatten.

»Es drohen Energiepreise des Grauens«

Eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Bundesregierung beim Klimaschutz besteht darin, die Preise für fossile Energien so zu erhöhen, dass sie sich mehr dem annähern, was sie die Gesellschaft etwa in Form der nachgelagerten Kosten durch Umwelt- und Klimazerstörung auch wirklich kosten. Außerdem würde so ein Anreizsystem gesetzt, das umweltschädliches Verhalten verteuert, klimafreundliches dadurch attraktiver macht. Besonders gut gelingt das mit einem CO2-Preis.

Wenn die Preise nun aber erheblich steigen, bevor eine neue Bundesregierung überhaupt ihre Arbeit aufgenommen hat, könnte das zur Hypothek für die Klimapolitik werden, weil Debatten über überlastete Konsumenten drohen. Der Chef des Verbraucherzentrale-Bundesverbands, Klaus Müller, warnte schon: »Es drohen Energiepreise des Grauens.«

Ich höre es schon von Titelseiten fragen »Wie viel Klimaschutz können wir uns noch leisten?«

Schon jetzt fordern laut einer Umfrage für Verivox drei Viertel der Deutschen von der nächsten Bundesregierung schärfere Maßnahmen gegen den Preisanstieg. Dafür würde jeder Dritte (31 Prozent) sogar an der Atomkraft festhalten – das seien elf Prozentpunkte mehr als noch vor drei Jahren.

Selbst eine ermattete Union wäre in der Opposition in der Lage, eine Kampagne loszutreten, dass eine weitere Erhöhung von CO2-Preisen in höchstem Maße unsozial und verbraucherfeindlich seien. Und wir erinnern uns: Die berühmte »Gelbwestenbewegung« in Frankreich entstand, als Präsident Emmanuel Macron höhere Steuern insbesondere auf Diesel durchsetzen wollte – auch darauf würde bei einer solchen Kampagne wieder einmal verwiesen werden. Ich höre es schon von Titelseiten fragen: »Wie viel Klimaschutz können wir uns noch leisten?«

Umso wichtiger ist, dass in den Ampel-Sondierungsgesprächen festgehalten wird, dass höhere CO2-Preise mit einem »Energiegeld« oder einer »Klimadividende« flankiert werden, wie es Grüne und FDP fordern, sodass die Einnahmen pauschal an die Bürger zurückfließen. Denn: Gute Klimaschutzpolitik funktioniert nicht ohne eine gute Sozialpolitik, auch daran kann man die Regierungspartner in spe bei dieser Gelegenheit noch mal erinnern.

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