Mittwoch, 8. März 2023

"Keine Angst vor Verboten"

 Zeit  hier  Fünf vor acht / Eine Kolumne von Mark Schieritz  1. März 2023

Gas, Verbrennermotoren oder Zucker: Der Staat setzt Rahmenbedingungen für Produktion und Konsum. Verbote können für beide sehr hilfreich sein.

Den freien Markt gibt es nicht. Er ist Theorie. Eine liberale Fiktion. Ein Lehrbuchbeispiel.
In der Praxis gibt es: Regeln, Gesetze, Verbote, Förderrichtlinien. Unmengen davon.

Der Staat schreibt vor, wie viel Quadratmeter Grundfläche ein Einzelbüro mindestens haben muss (acht), wie viel Körperschaftssteuer ein Unternehmen bezahlen muss (15 Prozent des Gewinns) oder, zumindest indirekt, wie schnell ein Fahrzeug fahren können muss, damit es Autobahnen benutzen darf (60 Kilometer in der Stunde).

Und falls jemand denkt, das sei irgendwie eine deutsche Obsession: In den USA gilt ein Tempolimit, in Großbritannien wurde vor ein paar Jahren eine Sondersteuer für zuckerhaltige Getränke eingeführt und in der Schweiz gibt es eine Kitapflicht.

Das nur zum Hintergrund, wenn jetzt angesichts strengerer Regeln für Gasheizungen, Verbrennermotoren oder Süßigkeiten die "Verbotspolitik" (Unionsfraktion im Bundestag) der Ampel kritisiert wird, die die Freiheit des Marktes einschränke.
Verbote sind eines von vielen Instrumenten der Politik und erst einmal weder besonders rechts noch besonders links. In den USA wollen die Rechten Abtreibungen verbieten, nicht die Linken. Die spannende Frage ist deshalb nicht so sehr, ob etwas verboten oder reguliert wird – sondern was verboten oder reguliert wird. 

In Großbritannien scheint die Zuckersteuer zu funktionieren

In fast allen Industrieländern ernähren sich beispielsweise sehr viele Menschen sehr schlecht. Man könnte jetzt natürlich argumentieren: Na und? Jeder und jede soll so leben, wie er will, solange er oder sie die Konsequenzen trägt. Eigenverantwortung eben. Das allerdings wäre nicht nur zynisch, sondern auch unterkomplex, weil die Konsequenzen natürlich nicht jeder selbst trägt, sondern die Versichertengemeinschaft in der Form höherer Gesundheitsausgaben. Bei Kindern – und um die geht es beim geplanten Verbot für die Werbung für ungesunde Nahrungsmittel – greift das Argument ohnehin zu kurz: Sie sind definitionsgemäß nur begrenzt zu eigenverantwortlichem Handeln fähig. Deshalb sind es Kinder. Und keine Erwachsenen. 

Man kann ebenfalls lange darüber diskutieren, ob ein Verbot eine sinnvollere Maßnahme ist oder eine Steuer. Und ob man die Werbung verbieten sollte oder die Produktion. Aber darum geht es nicht. Der Unterschied zwischen Steuer und Verbot ist ein gradueller, kein kategorischer. In beiden Fällen geht es darum, den Gebrauch eines Produktes einzuschränken.

In Großbritannien scheint das mit der Zuckersteuer ganz gut funktioniert zu haben. Forscherinnen und Forscher der Universität Cambridge haben herausgefunden, dass die Anzahl der Übergewichtigen bei jungen Mädchen um acht Prozent gesunken ist. Das entspricht 5.324 Fälle weniger allein in dieser Altersgruppe. Der Rückgang war in sozial schwachen Gebieten am stärksten. Um damit ein Problem zu haben, muss man es schon gut finden, wenn arme Kinder dick sind. Aber dann hat man eher selbst ein Problem.

Der Markt sorgt dafür, dass sich Produktion und Konsum an neue Bedingungen anpassen

Die Weltgemeinschaft wiederum hat sehr gute Erfahrungen mit dem Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen gemacht. Zur Erinnerung: Das sind chemische Verbindungen, die die Ozonschicht angreifen und unter anderem in Kühlschränken verwendet wurden. Seit sie verboten sind, erholt diese sich. Wodurch unter anderem die Hautkrebsgefahr sinkt. Und es gibt bislang keine Massendemonstrationen für die Wiedereinführung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen. Oder die Rücknahme der Anschnallpflicht.

Das ist ja tatsächlich die Stärke des Marktes: Er sorgt dafür, dass sich Produktion und Konsum ganz hervorragend an neue Rahmenbedingungen anpassen. Diese Rahmenbedingungen aber setzt der Staat. Verbote gehören wie Steuern oder Subventionen dazu.

Sie sollten deshalb daran gemessen werden, ob sie ein sinnvolles Instrument zur Erreichung der dahinterliegenden politischen Ziele sind. Im Fall des Verbrennermotors ist das nicht unbedingt der Fall. Nach den Vorstellungen der EU soll er ab 2035 nicht mehr verbaut werden dürfen. Das klingt nach einer drastischen Vorgabe, doch die Industrie hat die Entscheidung längst getroffen: Die Zukunft gehört dem Elektroauto. Es verfügt im Vergleich mit dem Verbrenner über die effizientere Technologie und es ist staatlich großzügig gefördert worden (wie übrigens viele neue Technologien).

Ein Verbot kann in einer solchen Situation hilfreich sein, weil es allen Beteiligten signalisiert, in welche Richtung die Entwicklung geht. Auch den Zulieferfirmen, die ihre Produktion umstellen müssen. Es ist aber wahrscheinlich nicht mehr unbedingt nötig.

Die synthetischen Kraftstoffe, für die die FDP sich jetzt starkmacht, werden, wenn überhaupt, in einer Nische zur Anwendung kommen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn die Liberalen jetzt doch noch Ausnahmeregeln durchsetzen. Es wäre ein symbolischer Sieg ohne ökonomische Relevanz und hätte nicht viel mit Technologieoffenheit zu tun – aber umso mehr mit Politik für eine eng umgrenzte Zielgruppe. Der Fortschritt wird sich dadurch nicht aufhalten lassen. 

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