Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 05.03.2023
Antriebstechnik: Die Autoindustrie hat sich von Verbrennungsmotoren für den europäischen Markt längst verabschiedet. Einzig die FDP fordert eine Zukunft für Verbrenner. Warum? Ein Erklärungsversuch.
Zum Einstieg eine Quizfrage. Wer hat das gesagt und wann?
»Wir müssen die verschiedenen Energieträger dort einsetzen, wo sie am effizientesten sind. Das ist beim Pkw der E-Antrieb.«
»Auf absehbare Zeit werden wir aber nicht genug E-Fuels haben, um die jetzt zugelassenen Pkw mit Verbrennungsmotor damit zu betreiben.«
Wenn Sie jetzt an Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen gedacht haben, liegen sie falsch. Es war der Mann, der diese Woche mit einem weiteren Satz für große Unruhe gesorgt hat:
»Es gibt einen klaren Arbeitsauftrag an die EU-Kommission: Die Nutzung von klimafreundlichen E-Fuels in Pkw zu ermöglichen, und zwar sowohl für die Bestandsflotte als auch für Verbrennungsmotoren, die nach 2035 neu zugelassen werden.«
Die ersten beiden Sätze hat Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor gut einem Jahr dem »Tagesspiegel« gesagt. Den dritten Satz sagte er diese Woche der »Bild«-Zeitung.
Ist das noch derselbe Mann?
Der Volker Wissing von 2023 ist also offenbar ein anderer als der von 2022.
Recht hat der Wissing von 2022: Sogenannte E-Fuels, also Kraftstoffe, die aus CO₂ und – sonst sind sie nicht klimaneutral – erneuerbar gewonnenem Strom hergestellt werden, werden auf absehbare Zeit teuer und sehr selten bleiben.
Autos mit E-Fuels zu betreiben ist eine unfassbar ineffiziente Art aus vorläufig ohnehin knappem Ökostrom Mobilität zu machen . Schon die Aufgabe, bis 2035 genügend E-Fuels zur Verfügung zu haben, um auch nur die dann ja immer noch riesige Bestandsflotte von Verbrenner-Pkw zu betanken, ist eine Herkulesaufgabe. Zumal E-Fuels anderswo dringender gebraucht werden, vor allem in der Schiff- und Luftfahrt – auch das wusste der Volker Wissing von 2022 noch. Containerschiffe und Langstreckenjets kann man nämlich derzeit definitiv nicht elektrifizieren. Autos schon.
Woran liegt das?
Der Volker Wissing von 2023 will all das nicht mehr wissen. Warum?
An der Automobilindustrie kann es eigentlich nicht liegen, denn die hat, wie in dieser Kolumne vor zwei Wochen schon aufgeführt, den Umstieg auf E-Mobilität längst beschlossen.
Neuwagen folgender Marken wird es ab spätestens 2030 in Europa nur noch als E-Autos geben – bei vielen liegt das Umstiegsdatum noch früher: Alfa Romeo, Audi, Bentley, Citroën, Fiat, Ford, Jaguar, Lancia, Mercedes, Mini, Opel, Peugeot, Renault, Rolls-Royce, Vauxhall, Volvo. Bis 2035 kommen dann noch Hyundai, der weltgrößte Autohersteller Toyota und der zweitgrößte dazu: VW.
Tatsächlich sind E-Autos schon jetzt das einzige Antriebssegment, das global noch wächst.
Pkw-Verkäufe haben Bloomberg Intelligence zufolge schon 2017 ihren Gipfelpunkt erreicht . Nur noch Verkäufe von Autos mit E-Antrieb wachsen, allein im Jahr 2022 um 50 Prozent (noch ein Viertel davon hybride, doch der Anteil schrumpft). Chinas E-Auto-Verkäufe, die meisten davon vollelektrisch, verdreifachten sich 2021 und verdoppelten sich 2022.
Der Verbrenner stirbt, ob die FDP das will oder nicht
Ich bin in den vergangenen Tagen mehrmals gefragt worden, wozu es denn dann überhaupt ein Verbot in der EU brauche.
Die Antwort wusste der Volker Wissing von 2022 noch: »Wenn wir den Umstieg forcieren, schaffen wir auch unsere Klimaziele«.
Wenn Sie jetzt sagen, gut, Wissing ist offenbar ein Wendehals, dem kann man sowieso nichts glauben, hören Sie vielleicht auf den größten deutschen Automobilkonzern: Als das EU-Parlament im Sommer 2022 das Ende des Verbrennungsmotors beschloss, freute man sich bei VW ausdrücklich , dass jetzt »Planungssicherheit für die Unternehmen und Verbraucher« geschaffen werde.
Oder vielleicht glauben Sie dem ältesten Automobilhersteller überhaupt, Mercedes: Dort begrüßte man die EU-Entscheidung ebenfalls, vor allem aus diesem Grund: »Der Beschluss nimmt die Politik in die Pflicht, für die erforderliche Infrastruktur zu sorgen.«
Oder Sie glauben dem Chef von Audi. Der hat dem SPIEGEL gerade gesagt: »In der politischen Diskussion sehen wir das Risiko, dass der klare Beschluss der EU zum Verbrenner-Ausstieg 2035 wieder infrage gestellt wird. Das birgt die Gefahr einer Hängepartie, und die wäre für die Autoindustrie fatal.« Stichwort Planungssicherheit.
Das Geld muss die Richtung ändern, und zwar schnell
Das ist der entscheidende Punkt: Die Umstellung der europäischen Mobilität ist eine große Aufgabe, die es erfordert, dass gewaltige Kapitalströme ihre Richtung ändern und jede Menge neue Infrastruktur entsteht, man sich auf Standards verständigt und so weiter. Da hilft es, wenn man wirklich sicher sein kann, dass sich alle einig sind und das Gleiche tun. Und es schadet, wenn man parallele Infrastrukturen plant – zumal, wenn diese für jeden Laien erkennbar widersinnig sind.
Denn das, was Wissing und sein Parteichef Christian Lindner jetzt wollen, ist einfach nicht umsetzbar: Ja, man kann Motoren bauen, die nur mit E-Fuels und nicht mit CO₂-Sprit aus Rohöl fahren, wie Wissing und Lindner das auch nach 2035 noch wollen (ohne zu sagen, wer diese Autos eigentlich bauen soll). Dann kann man diese speziellen E-Fuels aber nicht mehr in klassische Verbrennungsmotoren füllen . Und wenn es diese Extrasorten nicht gäbe – wer sollte dann bitte kontrollieren, wer was tankt und verbrennt?
Jeder Diesel von heute könnte auch jetzt schon verfügbaren E-Diesel verbrennen. Will die FDP also künftig E-Fuel-Sorten für alte Verbrenner, E-Fuel-Sorten für neue Verbrenner (nach 2035 gebaut) und zusätzlich eine nagelneue Ladeinfrastruktur für E-Autos?
Ist Porsche schuld?
Warum also werfen Wissing und Christian Lindner jetzt lauter Nebelkerzen? Es ist viel darüber spekuliert worden, dass das mit Porsche zu tun haben könnte, denn der heutige VW-Chef Oliver Blume, der bis letzten Herbst nur Porsche-Chef war, hatte offenbar während der Koalitionsverhandlungen engen Kontakt zu FDP-Chef Lindner. Und Porsche ist in Chile an einer Fabrik für E-Fuels beteiligt. Die wird aber, das hat Stefan Hajek von der »Wirtschaftswoche« diese Woche auf Twitter vorgerechnet , selbst, wenn sie wie geplant ihren Output um den Faktor 4230 (!) steigert, nur genug E-Fuels für ein Zehntausendstel (!) der europäischen PKW-Flotte herstellen. Hajek kommentiert das Verhalten der FDP so: »Teile der einstigen Wirtschaftspartei haben offenbar das Rechnen verlernt.«
Tatsächlich glaubt offenbar auch VW-Chef Oliver Blume rein gar nicht an E-Fuels für Neuwagen nach 2035. Das berichteten jedenfalls drei SPIEGEL-Kollegen im Januar . Porsche braucht die E-Fuels, damit alte 911er auch nach 2035 noch eine glaubhafte Perspektive haben. Das ist alles. Der Elektro-Taycan von Porsche verkauft sich übrigens schon jetzt besser als der 911er.
Warum also will der Volker Wissing von 2023 plötzlich etwas, das weder sinnvoll ist, noch im Interesse der Automobilindustrie? Für die Antwort gibt es zwei Kandidaten.
Die Ölbranche lässt weiter lügen
Der erste ist die Ölbranche: Die versucht derzeit verzweifelt und mit teils sehr unlauteren Methoden, E-Autos schlechtzumachen. Warum ist klar: Sie will den unglaublich lukrativen, wenn auch für die Zukunft der Menschheit selbstmörderischen Absatzmarkt Mobilität auf keinen Fall verlieren. Lobbyeinrichtungen der Ölbranche wie das von Koch Industries finanzierte »Heartland Institute« in den USA oder die Murdoch-Medien agitieren deshalb derzeit mit großem Aufwand und viel Desinformation gegen E-Mobilität .
Falls Sie in letzter Zeit gehört haben sollten, dass E-Autos in ihrem Lebenszyklus gar nicht wirklich weniger CO₂ ausstoßen als Verbrenner: Das ist einfach gelogen , und zwar auch schon auf Basis des heutigen Strommixes. Und je mehr Strom erneuerbar erzeugt wird, desto besser wird die Bilanz. Es ist eine Menge Desinformation zu diesem Thema im Umlauf. Richtig ist allerdings: Weniger Autos wären ganz generell besser. Und 2,5-Tonnen-SUVs sind auch mit E-Motor widersinnig und wenig zielführend.
Es ist ganz einfach Verzweiflung
Vielleicht handeln Wissing und Lindner also im Auftrag der Ölbranche, mit dem Kalkül: Am Ende werden die neuen Verbrenner dann doch mit Sprit aus Öl betankt, weil es den anderen einfach nicht gibt.
Plausibler erscheint mir aber eine andere Erklärung. Es gibt Umfragen, denen zufolge eine knappe Mehrheit der Deutschen das Ende des Verbrenners mit Argwohn sieht. Meine Vermutung ist deshalb: Die aktuell in Umfragen bei sechs Prozent liegende FDP versucht mit ein bisschen Realitätsverweigerung in Sachen Verbrennungsmotoren populistisch Punkte bei den Verbrennungsnostalgikern zu machen.
Vor lauter Angst, bei der nächsten Bundestagswahl aus dem Parlament zu fliegen, so wie zuletzt in Berlin und Niedersachsen. Bei weiteren Landtagswahlen verzeichnete die Partei unter Christian Lindner jeweils gewaltige Verluste . Nur noch ein Prozent des Wahlvolkes hält die FDP für am besten geeignet, Deutschlands Probleme zu bewältigen .
Die Partei also, die anderen so gern »Ideologie« vorwirft, handelt demonstrativ ideologisch: »Verbote sind immer schlecht«. In Wahrheit aber agiert Lindners FDP einfach vernunftwidrig populistisch, auf der Suche nach Stimmen. Deshalb blockiert die Kleinpartei jetzt nicht mehr nur die unbedingt notwendigen Klimareformen der Bundesregierung – sondern auch die gesamte EU.
Das wird ihr nicht helfen, aber es schadet der europäischen Wirtschaft, der EU und schlimmstenfalls dem Klima.
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