Freitag, 3. März 2023

Wie eine Fünf-Prozent-Partei die Klimaziele torpediert

SPIEGEL Klimabericht hier Freitag, 3. März 2023  Susanne Götze

Das Wichtigste zum größten Thema unserer Zeit 

Auf die Frage, wie Demokratie funktioniert, antwortet man meist mit dem Mehrheitsprinzip. Wer die meisten Stimmen bei einer Wahl bekommt, regiert, hat mehr Macht, gibt die großen Linien vor. Deutschland macht gerade vor, wie es auch anders gehen kann: Eine der kleinsten Parteien im Deutschen Bundestag, die FDP, torpediert gleich auf mehreren Ebenen erfolgreich jeden klimapolitischen Fortschritt. Nicht weil sie Mehrheiten hat, sondern weil sie es kann. Und weil es die Koalitions-Kolleginnen mit sich machen lassen.

Bei der Sonntagsfrage von Infratest dimap liegen die Liberalen bei sechs Prozent, bei Umfragen aus dieser Woche sogar gleichauf mit der LINKEN bei nur noch fünf Prozent. Fünf Prozent! Innerhalb von 15 Monaten hat es der Juniorpartner der Ampelkoalition geschafft, bundesweit ganze acht Prozentpunkte zu verlieren, aus mehreren Landtagen zu fliegen und aus Landesregierungen auszuscheiden. Bei Neuwahlen müsste die Partei fürchten, aus dem Bundestag zu fliegen.

Die FDP müsste eigentlich alles tun, um die Koalition zu pflegen – aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Liberalen tun alles, um überholte Positionen gegen die Partner durchzukämpfen, sogar entgegen bereits zugesagter Verabredungen.

Nicht zu Unrecht bezeichnen wütende Grüne die FDP-Politik als »irrational« oder einen »durchsichtigen Versuch, sich nach mehreren verlorenen Wahlen auf Kosten der europäischen Klimaziele zu profilieren«, wie es Sebastian Bock, Geschäftsführer der Organisation Transport & Environment (T&E) Deutschland gegenüber dem SPIEGEL formulierte. Drei Beispiele:

1. Verbot der Neuzulassung von Dieselautos und Benzinern ab 2035

Die geplante EU-Verordnung, die ab 2035 ein Verbot für neue fossile Verbrenner-Autos vorsieht, steht kurz vor dem Ziel. Das Europäische Parlament hatte das Verbot im Februar beschlossen. Demnach sollen Autohersteller die CO2-Emissionen der verkauften Neuwagen um hundert Prozent bis 2035 senken – dies bedeutet ab diesem Zeitpunkt ein Produktions- und Verkaufsverbot für Benziner und Diesel. Die EU-Länder müssen das nur noch formal absegnen.

Aber seit dieser Woche wackeln die Mehrheiten – auch dank Deutschland. Die FDP hat einen Rückzieher gemacht und will die Verordnung blockieren. Die Begründung ist fadenscheinig: So habe die EU-Kommission bislang noch keinen Vorschlag dazu vorgelegt, wie nach 2035 etwa mit E-Fuels betankte Fahrzeuge zugelassen werden können. Dies war vergangenes Jahr Teil der Einigung gewesen, mit der die FDP zu einer Zustimmung innerhalb der Bundesregierung bewegt werden konnte. Allerdings hat die EU-Kommission auch nie behauptet, vor der Abstimmung einen Vorschlag zu machen. Der SPIEGEL hat mit Diplomaten und Beobachtern in Brüssel gesprochen: Die meisten halten die Forderungen der FDP für eine Nebelkerze. Wenige Tage vor der Abstimmung solch eine Kehrtwende hinzulegen, sei politisches Theater. »Sie hatten Monate Zeit, sich zu beschweren oder mehr einzufordern«, so ein Insider.

Wenn die Partei eine Enthaltung der Bundesregierung durchsetzt, könnte sie faktisch die Abstimmung in Brüssel torpedieren. Dann würde die Bundesregierung an der Seite von Italiens neuer Rechtsregierung und einigen Osteuropäern das vielleicht wichtigste Klimaprojekt des Europäischen Green Deal kippen.

Sollte das Verbrenner-Aus kippen, sind die Klimaziele in Gefahr: Laut Transport & Environment (T&E) würde das Verbrenner-Aus fast zwei Gigatonnen CO₂ bis 2050 einsparen, das entspräche aktuell dem gesamten Ausstoß des europäischen Straßenverkehrs von drei Jahren.

2. Verbot von Gasheizungen

Seit dieser Woche gibt es noch eine Klima-Initiative, mit der sich die FDP zu profilieren versucht: Bereits ab 2024 wollen Wirtschaftsminister Habeck und Bauministerin Geywitz den Einbau von neuen Gasheizungen verbieten. Dafür soll das Gebäudeenergiegesetzes (GEG) geändert werden. SPD und Grüne ziehen an einem Strang, die FDP will das Vorhaben blockieren. Deren Sprecher Michael Kruse sprach (S+) diese Woche von einer grünen »Verschrottungsorgie von Heizungen«, was »weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll« sei.

Ebenso wie im Verkehrssektor wurde im Gebäudesektor noch recht wenig einspart, auch die Klimaziele werden hier regelmäßig gerissen. Im Jahr 2021 wurde die laut Klimagesetz zulässige Jahresemissionsmenge um zwei Millionen Tonnen überschritten.

3. Der Autobahn-Streit

Am längsten tobt schon der Streit um die Planungsbeschleunigung im Verkehrsbereich. Im vergangenen Herbst hatte der SPIEGEL den Entwurf für ein Planungsbeschleunigungsgesetz publik gemacht. Dem hing sogleich eine Liste an: 46 Projekte, bei denen nicht nur instandgesetzt, sondern auch neu und ausgebaut werden soll.

Darunter finden sich viele umstrittene Vorhaben zum Autobahnbau. Das wiederum widerspricht dem Koalitionsvertrag, nach dem es einen Klimacheck von Straßenbauprojekten geben soll – und die Sanierung aber nicht der Neubau priorisiert werden solle.

Auch hier ist die FDP wieder auf der Klima-Bremse: mehr Autobahnen für den Individualverkehr statt der Stärkung von öffentlichem Nahverkehr und nachhaltigen Lösungen wie etwa Carsharing. Solche Konzepte wären aber ein entscheidender Beitrag zu der Einhaltung der Klimaziele im Verkehr. So schreibt der SPIEGEL in der lesenswerten Titelstory »Vom Fetisch zum Feindbild« (S+) : »Die Zahl der hierzulande zugelassenen Autos wächst weiterhin schneller als die Bevölkerung, 580 Autos waren zuletzt pro 1000 Bundesbürgern registriert.«

Der letzte Strohhalm der fossilen Lobby

Die FDP ist in der Ampelkoalition aufgrund ihrer Piositionen zum Ansprechpartner für all jene Lobbys geworden, die durch den Klimaschutz ihr Geschäftsmodell in Gefahr sehen oder Angst haben, dass die lange angekündigte Energie- und Verkehrswende nun tatsächlich umgesetzt wird. Während die vergangenen 30 Jahre Klimaschutz mit unverbindlichen Zielen, Anreizen und laschen Regeln gemacht wurde, gibt es nun erstmals konkrete Fristen für das Auslaufen fossiler Technologien. Das versetzt einige in Alarmbereitschaft. Doch ohne solche Maßnahmen geht es nicht – die Zeit für das Ausprobieren von netten Lösungen ist vorbei. Der Grund ist das Klimagesetz: Die rechtsverbindlichen Klimaziele müssen bereits in weniger als acht Jahren erreicht werden – auch im Verkehrs- und Gebäudesektor. Um es leicht abgewandelt mit den Worten von Andrea Nahles zu sagen: Klimaschutz ist eben kein Ponyhof.

Außerdem wissen die Beteiligten schon lange, dass es verbindliche Klimaziele gibt und die auch eingehalten werden müssen. Sie klammern sich aber an den letzten Strohhalm der fossilen Verzögerungsstrategie: die FDP.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen