Mittwoch, 6. Oktober 2021

Spannende Aussichten, darf man sich auf gute Ergebnisse freuen?

Süddeutsche Zeitung   hier

Kommentar von Constanze von Bullion

Sauber und fair bleiben, das sollen die neuen Regeln der Regierungsfindung sein. Das ist erstaunlich - und ein Problem für die Konservativen.Was zählt, ist Anstand. Mit dieser eher altmodischen Haltung haben Generationen von Eltern in Deutschland ihren Nachwuchs großgezogen. Es ist eine durch und durch konservative Haltung, genauer gesagt: Sie war es mal. Denn zu den erstaunlichsten Phänomenen dieser Tage und der Regierungsbildung in Berlin gehört die Art, wie die einst rebellischen Grünen, aber auch Liberale sich des Anstands bemächtigt haben als Instrument des Machtgewinns.
Die Union, ausgerechnet, ist an ebendiesem Instrument gescheitert, zumindest vorerst.


Sauber bleiben, fair und aufrichtig - so lauten die neuen Spielregeln, die Grüne und FDP zu Beginn der Sondierungen für ein Regierungsbündnis aufgestellt haben. Statt wie 2017 bei den Jamaika-Gesprächen rechts und links aus Sitzungen herauszuschwatzen, wurde diesmal ein Schweigegelübde vereinbart wie im Kloster. Die Parteien hielten sich weitestgehend daran, bis auf die Union, aus der jede Menge Details vertraulicher Gespräche durchgestochen wurden, mehrfach und offensichtlich in der unanständigen Absicht, dem eigenen Anführer Armin Laschet jede Regierungsbildung und das Führen der eigenen Partei zu verunmöglichen. Der Plan könnte aufgehen.

Es ist ein Punktsieg - für die Strategie wertschätzender Kommunikation

Nur dass Bosheit diesmal eben nicht Trumpf ist auf der Suche nach einer neuen Bundesregierung.
CDU und CSU sind erst einmal aus dem Spiel. Dafür haben Grüne und Liberale angekündigt, zunächst mit der SPD ein Ampel-Bündnis auszuloten. Das ist besonders für die FDP eine mutige Entscheidung. Für die Grünen aber ist es ein diplomatischer Punktsieg. Er geht zu guten Teilen auf das Konto von Robert Habeck, der seit Jahren eine Strategie wertschätzender Kommunikation verfolgt, die politische Widersacher umarmt, statt sie niederzumähen. Das kann man belächeln, betulich finden, bei Habeck oft auch pathetisch. Aber es hat sich in den letzten Tagen als effektives Fangnetz erwiesen.

Die Entscheidung, als Erstes eine Ampel zu sondieren, ist eine Chance für Deutschland, verkrustete Sprech- und Denkmuster aufzubrechen, auch jungen Wählergruppen mehr Gehör zu verschaffen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Grünen auch weiter den Ton setzen können in den bevorstehenden Dreiergesprächen mit Liberalen und SPD. Denn wo eine Partei wie die FDP das politische Lager wechseln muss, sich also hineinbegibt in rote und grüne Denkhöhlen, werden erhebliche Zugeständnisse an die Liberalen nötig sein, um sie auch dauerhaft zu gewinnen. Den Preis für eine Ampel würden nicht nur Grüne, sondern auch Sozialdemokraten zu zahlen haben. Er könnte schmerzhaft hoch werden. Die Differenzen sind enorm.

Da ist vor allem die ungelöste Frage, woher die Milliarden kommen sollen, mit denen dem Land die ambitionierteste Modernisierungskur der vergangenen Jahrzehnte finanziert werden soll - beim Klimaschutz, beim Umbau von Industrie und Verkehr, bei der Digitalisierung, der Beschleunigung träger Verwaltung oder bei Integration und Bildungsgerechtigkeit. Überhaupt, das Soziale - es dürfte die Verhandlungsfolterkammer einer Ampel werden. Da hilft es wenig, dass FDP-Chef Christian Lindner schon sachte zu habecken beginnt und die "Möglichkeiten sozialer Sensibilität" preist. Grün-gelben Neusprech übt aber auch Annalena Baerbock. Die Grünen-Chefin kündigt neuerdings gern die gemeinsame Transformation der "Marktwirktschaft" an, ganz so, als gäbe es bei der Haltung zu staatlicher Fürsorge und freien Marktkräften nicht maximalen Dissens zwischen Rot, Grün und Gelb.

Dinge schönzureden, das führt Partner zusammen

Versöhnlich zu reden führt zusammen, und Anstand hilft bei der Vertrauensbildung. Wenn eine Ampel-Regierung aber mehr werden soll als eine kurzlebige Hipsterformation, müssen zum rhetorischen Geschick jetzt handwerkliche Fertigkeiten kommen. Das Land wüsste auch gern mal von der SPD, was sie sich eigentlich unter Innovation vorstellt. Den Geist von Aufbruch verströmt die Sozialdemokratie schon seit den Ostverträgen von Willy Brandt nicht mehr. Die Agenda 2010 war das letzte große Reformwerk der Partei, für viele in der SPD ein Riesenreinfall. Danach kam nicht mehr viel, die Jahre der großen Koalition waren für die SPD ideengeschichtliches Ödland.

Eine Neuaufstellung ist da jetzt nötig, nicht nur beim Zukunftsthema Klima, auch personell. Denn der große Schweiger Olaf Scholz wird nicht zum Steuermann werden können in Deutschland, wenn er sich nicht in Bewegung setzt und zügig Persönlichkeiten präsentiert, die glaubwürdig für einen Generationswechsel stehen. Kevin Kühnert gehört zu ihnen, auch eine Frau vom Format einer Andrea Nahles. Bei der FDP fehlen jüngere Wortführerinnen jeder Sorte, bei den Grünen Menschen aus Einwandererfamilien in der ersten Reihe. Denn auch das ist ein noch einzulösendes Versprechen für ein erneuertes Deutschland: dass Vielfalt endlich selbstverständlich wird und die Gesellschaft sich verabschiedet vom Mief einer Zeit, in der Zugehörigkeit sich von der Hautfarbe ableitet. An Arbeit jedenfalls wird es da nicht fehlen.

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