WirtschaftsWoche hier KOMMENTAR von Henrike Adamsen 03.11.2024
Lindners „Wirtschaftswende“: Das FDP-Reformpapier ist eine Zumutung für junge Menschen
Die FDP will die Klimaziele abschwächen. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, die Argumente lassen ökonomischen Sachverstand vermissen. So wird die Partei für die junge Generation unwählbar.
Die FDP inszeniert sich gerne als Partei der Leistungsbereiten und Verantwortungsträger. In der Klimapolitik will die Partei Ambitionen und Ehrgeiz nun aber deutlich herunterschrauben, so steht es im am Freitag öffentlich gewordenen Grundsatzpapier „Wirtschaftswende für Deutschland“.
Die Bundesrepublik soll sich demnach auf dem Weg zur Klimaneutralität fünf Jahre mehr Zeit lassen. Die Dekarbonisierung soll allein der Europäische Emissionshandel voran treiben, zusätzliche Sektorregeln und Förderprogramme, wie die Klimaschutzverträge, sollen abgeschafft werden.
Der Grund für die Abkehr vom strengeren Klimaschutz: Sie behindere Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit. Hätte man nur mehr Zeit, ließe sich die Transformation kostengünstiger umsetzen. Die vielen Förderprogramme würden zu viele staatliche Ausgaben binden. Außerdem laufe man Gefahr, dass andere EU-Mitgliedsländer Trittbrett fahren, wenn sich Deutschland zu sehr anstrengt.
Schaut man sich die Vorschläge aber genauer an, wird klar: Die Argumente für weniger Klimaschutz überzeugen nicht, auch nicht aus wirtschaftlicher Perspektive. An manchen Stellen führen sie bewusst in die Irre. Sie würden de facto zu einem Ende der Klimapolitik in Deutschland führen. Für die Generationengerechtigkeit ist das Grundsatzpapier eine Katastrophe.
Es gibt keinen deutschen „Sonderweg“
Zuerst kritisiert die FDP den deutschen „Sonderweg“, weil Deutschland fünf Jahre früher klimaneutral sein will, als der Rest der EU. Das stimmt nicht. Schweden will auch bis 2045 klimaneutral sein, Finnland sogar schon 2035. Darüber hinaus gilt in der Europäischen Klimapolitik das „Effort Sharing“ – jedes Land trägt zu den Klimazielen so viel wie möglich bei.
Deutschland ist nicht nur mit Abstand der größte Verursacher von Emissionen in der EU, sondern auch die größte Volkswirtschaft. Hat die ökonomische Logik „The polluter pays“ – „der Verursacher zahlt“ – weiter Bestand, ist Deutschlands ehrgeizige Rolle angebracht.
Das Grundsatzpapier kritisiert auch, dass Klimapolitik zu einem Wertverlust von fossilen Anlagen führt, von Kohlekraftwerken, Verbrennerautos und Gasheizungen. Dabei ist das genau das Ziel der Klimapolitik und vor allem auch des Emissionshandels, für den sich die FDP so leidenschaftlich einsetzt. Wenn hohe CO2-Preise das Heizen mit Gas wirtschaftlich unattraktiv machen, senkt das den Wert dieser Heizung. Das ist der unschöne, aber unvermeidbare Teil der Transformation.
Christian Lindner argumentiert weiter, nationale Klimaziele seien wirkungslos, es gäbe ja schließlich europäische Vorgaben. In diesem Sinne könnte man auch für die Abschaffung nationaler Schuldenregeln plädieren, es gibt ja auch die europäischen Fiskalregeln. Aber auch das stimmt nicht, denn die nationalen Klimaziele sind nur die Übersetzung europäischer Klimaziele auf die Mitgliedsländer.
Der Emissionshandel allein reicht nicht aus
Das Kernproblem in der Argumentation von Christian Lindner ist jedoch folgendes: Er tut so, als würde der Emissionshandel ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Als seien alle zusätzlichen Energieeffizienzstandards, Heizungsvorgaben und Subventionen für grünen Stahl Ballast, der die Transformation teurer macht, als sie sein müsste.
Dazu Wirtschaftsnobelpreisträger Daron Acemoglu: „Wenn Klimaschutz einen schnellen Wandel hin zu sauberen Technologien erfordert, muss eine CO2-Steuer komplementiert werden mit Subventionen oder anderen Anreizen, die ihre Innovation und ihren Einsatz in die richtige Richtung führen.“
Mit anderen Worten: Wir haben über Jahrzehnte so viel Geld in einen fossilen Kapitalstock gesteckt, in Infrastruktur, Maschinen und Forschung, der fossile „Lock-in“ ist so groß, dass der CO2-Preis als einziges klimapolitisches Instrument nicht ausreicht, um die Transformation in der Geschwindigkeit umzusetzen, die nötig ist.
Deswegen spricht sich auch der Sachverständigenrat für Klimaschutzverträge und für komplementäre Maßnahmen aus: fossile Subventionen abschaffen, Stromnetze, Ladesäulen, Wasserstoffnetze aus- und aufbauen, Forschungsgelder umlenken.
Das heißt nicht, dass Klimaschutz als Ausrede dienen soll, alles doppelt und dreifach zu regulieren. Den Kohleausstieg hätte man nicht politisch terminieren, sondern dem Emissionshandel überlassen können. Das hätte das Vertrauen in dieses Instrument steigern können. Doch die FDP setzt dieses Vertrauen mit ihrem Vorstoß nun aufs Spiel. Das ist eine Zumutung für alle, die ihre Zukunft noch vor sich haben.
Süddeutsche Zeitung hier Kommentar von Michael Bauchmüller 4.11.24
Lindners „Wirtschaftswende“ schadet der Wirtschaft
Der FDP-Vorsitzende will mit seinem Reformpapier auch die deutsche Klimapolitik neu ausrichten. Doch das schafft kein neues Wachstum
Was er Wende nennt, kann man auch als Rolle rückwärts bezeichnen
Klimaschutz, so hat das Christian Lindner vor Jahren mal festgestellt, sei „eine Sache für Profis“. Damals gingen noch Schülerinnen und Schüler zu Zehntausenden auf die Straße, aber deren Ideen fand der FDP-Chef nicht ausgereift. Jetzt, fünf Jahre später, können sie nachlesen, wie sich der „Profi“ Lindner die Sache vorstellt. Die deutsche Klimapolitik will er, kurz gefasst, einstampfen.
Das jedenfalls geschähe, würde sein „Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit“, seine angebliche „Wirtschaftswende“, jemals Wirklichkeit. Alle Regeln rund um die effiziente Nutzung von Energie will er abschaffen, ob in Gebäuden oder im Verkehr. Er möchte die Förderung erneuerbarer Energien einstellen und das dafür nötige Stromnetz „grundsätzlich überprüfen“. Von einem fixen Termin für den Kohleausstieg will er nichts wissen, stattdessen soll in Deutschland wieder mehr Erdgas gefördert werden, auch per Fracking. Was Lindner da propagiert, ist keine Wende, sondern eine Rolle rückwärts.
Dass sein Kurs diese Preise weiter steigen ließe, verschweigt Lindner geflissentlich
Liberaler, der er ist, sollen die Kräfte des Marktes die Sache richten. Der Ansatz hat durchaus einiges für sich, jedenfalls in der Theorie. Schließlich gibt es schon einen europäischen Emissionshandel, mit dem der Einsatz fossiler Energie von Jahr zu Jahr teurer wird. Und dann sollen von 2027 an auch die Emissionen im Verkehr und für Heizungen einem solchen Markt unterworfen werden. Steigende Preise, so jedenfalls steht es in den ökonomischen Lehrbüchern, mobilisieren die Märkte – in diesem Fall zu klimafreundlichen Alternativen.
In der politischen Praxis mobilisieren steigende Preise derzeit vor allem die Lobbyisten. Über kaum etwas klagt die deutsche Industrie derzeit so wie über hohe Energiepreise. Dass sein Kurs diese Preise weiter steigen ließe, verschweigt der Profi Lindner in seinem Papier geflissentlich. Die sogenannten Klimaschutzverträge, mit denen die Industrie beim Abschied von fossiler Energie unterstützt werden soll, will er nämlich kassieren.
Nicht anders agiert er gegenüber Privatleuten. Fördermittel für den Umstieg etwa auf saubere Heizungen absenken, die Preise für fossile Energie über einen Emissionshandel aber steigen lassen – das hält keine Regierung lange aus. Ein Klimageld, mit dem Haushalte an den Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung beteiligt worden wären, hat der zuständige Finanzminister Lindner erfolgreich auf die lange Bank geschoben. Doch ein Emissionshandel ohne soziale Flankierung, ohne Unterstützung beim Abschied von fossiler Energie kann nicht funktionieren – egal ob in der Industrie oder im Heizungskeller.
Tatsache ist doch: Die Märkte der Zukunft sind nicht fossil
Faktisch laufen Lindners Tun und Forderungen darauf hinaus, der deutschen Klimapolitik auch die letzten Zähne zu ziehen. Doch anders, als sein Papier schon in der Überschrift vorgaukelt, schafft das weder neues Wachstum noch Generationengerechtigkeit. Die Märkte der Zukunft sind eben nicht fossil, wie auch der Volkswagen-Konzern gerade schmerzhaft spüren muss. Und wären sie es doch, schränkte das die Freiheiten künftiger Generationen massiv ein, wie schon das Bundesverfassungsgericht weise feststellte.
Wie jeder Bundesminister hat natürlich auch Christian Lindner zu Amtsantritt geschworen, Schaden vom deutschen Volke zu wenden. Wenn er dieser Tage neue Opferzahlen aus Spanien hört oder Bilder von der Flutkatastrophe dort sieht, sollte er über diesen Passus seines Eids noch mal verschärft nachdenken.
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