Handelsblatt hier Stefan Weber 03.11.2024
Verkehr: Was Deutschland von der Fahrrad-Infrastruktur anderer Länder lernen kannDas Fahrrad kann einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Im Vergleich zu anderen Ländern nutzen die Deutschen es allerdings selten.
Kopenhagen: Die dänische Hauptstadt ist bei Radfahrern sehr beliebt. Zwei Handzeichen sind nötig, um sich in Kopenhagen als Radfahrer sicher durch den Verkehr zu bewegen. Beim Abbiegen zeigt der ausgestreckte Arm an, wohin es gehen soll. Ganz so wie in Deutschland. Was hierzulande dagegen nicht üblich ist: die Hand zu heben, wenn die Absicht besteht, langsamer zu fahren oder zu stoppen.
In Dänemarks Hauptstadt geht es nicht ohne dieses Signal. Andernfalls würde es jeden Tag zu vielen Unfällen kommen. Kopenhagen ist Europas Fahrrad-Hauptstadt. Zur Rushhour am Morgen sind in der Region laut aktuellem Radreport der Stadt fünfmal mehr Zweiräder unterwegs als Autos. An großen Kreuzungen stehen sie in Zweier- und Dreierreihen und warten auf Grünlicht: Jugendliche auf dem Weg zur Schule oder auch Geschäftsleute unterwegs ins Büro.
Die Fahrspuren für Radler sind breit, bestens präpariert und gut sichtbar markiert. Auf Hauptverbindungen gibt es eine grüne Welle für Zweiradfahrer, und mit den „Supercykelstier“ genannten Radschnellwegen soll bis zum Jahr 2025 ein Wegenetz von mehr als 400 Kilometern auch außerhalb des Zentrums entstehen. Kein Wunder, dass jeder zweiter Kopenhagener das Fahrrad als sein bevorzugtes Verkehrsmittel bezeichnet.
So weit ist Deutschland noch lange nicht. Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) beträgt der Anteil des Fahrrads an allen Verkehrsmitteln im bundesweiten Schnitt aktuell 13 Prozent. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Bundesländern und Kommunen. Vorreiterstädte wie Münster oder Oldenburg weisen eine Quote von 47 Prozent beziehungsweise 43 Prozent auf. Das sind Ausnahmen.
In traditionell fahrradfreundlichen Ländern wie den Niederlanden und Belgien werden flächendeckend mehr als 40 Prozent der Wege mit dem Zweirad zurückgelegt. Und wenn die Deutschen schon einmal aufs Rad steigen, dann meist nur für kurze Wege. Lediglich vier Kilometer beträgt die durchschnittliche Streckenlänge, die sie mit reiner Muskelkraft oder Elektrounterstützung bewältigen.
Verkehrspolitiker sind sich einig: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung kommt dem Fahrrad große Bedeutung zu. „Wenn vor allem Pkw-Fahrten ersetzt werden, hilft der Radverkehr, die klimapolitischen Ziele zu erreichen – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene“, heißt es im Nationalen Verkehrswegeplan 3.0. In diesem Konzept hat die Bundesregierung ihre Pläne formuliert, wie sie den Fahrradverkehr attraktiver und sicherer machen und die Zahl der mit Bikes zurückgelegten Kilometer deutlich erhöhen möchte.
In Städten können nach Schätzung von Experten 14 Prozent der Treibhausgase und Luftschadstoffe reduziert werden, wenn der Radverkehrsanteil um zehn Prozentpunkte zulasten des Autos erhöht wird. Auch beim Fahren mit einem Pedelec sind die Emissionen, die bei der Herstellung des Akkus entstehen, nach etwa 165 Kilometern beglichen, wenn ein Pedelec statt eines Pkw genutzt wird.
Klimaexperten haben ausgerechnet, dass sich bis 2030 drei bis vier Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen lassen, wenn es gelingt, Bundesbürger häufiger zum Umstieg auf das Rad zu bewegen und sie im Schnitt sechs Kilometer pro Strecke zurücklegen.
13 % beträgt der Anteil des Fahrrads
am Gesamtverkehr in Deutschland,
in den Niederlanden sind es mehr als 40 Prozent
am Gesamtverkehr in Deutschland,
in den Niederlanden sind es mehr als 40 Prozent
Quelle: ADFC
Der ADFC hält dies sogar für eine konservative Schätzung. Das Potenzial des Radverkehrs für den Klimaschutz sei höher, meint der Lobbyverband. „Deutschland kann bis 2035 ein weltweit führendes Fahrradland werden, in dem die Menschen gerne und sicher fast die Hälfte der alltäglichen Wege auf dem Rad zurücklegen. Es ist erwiesen, dass das Fahrrad enormes Potenzial zur Verbesserung der Klimabilanz hat, da es ein Drittel der Verkehrsemissionen im Nahbereich einsparen kann“, betont Frank Masurat, Bundesvorsitzender des ADFC.
Im Idealfall lassen sich, sagt er, in jedem Jahr 19 Millionen Tonnen CO2 einsparen – vorausgesetzt die Radwege werden in den nächsten Jahren erheblich ausgebaut, Schnittstellen mit Bus und Bahn geschaffen und von den Kommunen ein fahrradfreundliches Umfeld gestaltet.
Wenn Meinungsforscher fragen, warum Verkehrsteilnehmer nicht das Fahrrad nutzen, rangiert häufig eine Antwort weit oben: eine mangelhafte Fahrradinfrastruktur. Die Radwege seien in einem mangelhaften Zustand und sehr oft nicht vom Autoverkehr getrennt. Das verstärkt das Unsicherheitsgefühl auf dem Rad. Zudem, so wird beklagt, ist die Radmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln oft nur eingeschränkt möglich.
Auch wenn sich viele Menschen
eine zeitgemäße Radinfrastruktur wünschen,
nimmt die Zustimmung, beispielsweise für die Umwandlung
von Parkraum zugunsten von Radinfrastruktur,
vor der eigenen Haustür teils rapide ab.
eine zeitgemäße Radinfrastruktur wünschen,
nimmt die Zustimmung, beispielsweise für die Umwandlung
von Parkraum zugunsten von Radinfrastruktur,
vor der eigenen Haustür teils rapide ab.
Gerd Landsberg.bis 2023 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Im Fahrradklima-Test, in dem der ADFC alle zwei Jahre Radfahrer befragt, gaben zuletzt 80 Prozent an, dass es ihnen wichtig ist, an einer Straße getrennt vom Autoverkehr unterwegs zu sein. Solche Radwege nachträglich in eine bestehende, vom Autoverkehr dominierte Infrastruktur zu integrieren, ist schwierig. „Öffentlicher Straßenraum ist ein knappes und bisweilen hart umkämpftes Gut. Auch wenn sich viele Menschen eine zeitgemäße Radinfrastruktur wünschen, nimmt die Zustimmung, beispielsweise für die Umwandlung von Parkraum zugunsten von Radinfrastruktur, vor der eigenen Haustür teils rapide ab“, stellt Gerd Landsberg fest, bis 2023 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
Aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen in Städten und Gemeinden gibt es bei der Radinfrastruktur nicht die eine, für alle passende Lösung. Kompromisse sind notwendig, etwa wenn Radverkehrsführungen im Mischverkehr aufgrund begrenzten Straßenraums und fehlender Alternativen erforderlich sind. Vor allem aber sind hohe Investitionen nötig, um Deutschland zum Fahrradland zu machen. Die Förderung der Infrastruktur erfolgt gemeinsam durch Bund, Länder und Kommunen. Doch der Bund hat sein Budget drastisch gekürzt und viele Kommunen müssen aufgrund einer angespannter Haushaltslage andere Prioritäten setzen.
Wichtig ist aus Sicht des ADFC, dass eine gute Infrastruktur nicht Stückwerk einiger engagierter Kommunen bleibt, sondern ein möglichst dichtes Netz aus sicher, intuitiv und komfortabel nutzbaren Wegen geschaffen wird. Dazu gehört in urbanen Räumen und Metropolregionen auch der Bau von Radschnellwegen. Diese Fahrwege sind überdurchschnittlich breit, gut beleuchtet und lassen sich häufig ohne Stopp schnell durchfahren. Somit sind sie vor allem für Pendler interessant.
Doch die Entwicklung solcher Routen kommt nur schleppend voran. Beispiel Radschnellweg Ruhr, eine in der Planung rund 110 Kilometer lange Route quer durch das Ruhrgebiet. 14 Jahre nach der Eröffnung des ersten Teilabschnitts in Essen sind bis heute erst weniger als 20 Kilometer fertiggestellt. In dieser Zeit wären in Kopenhagen hunderte Kilometer „Supercykelstier“ entstanden.
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