Dienstag, 2. Januar 2024

Hunderte von Möglichkeiten: Aufhören zu jammern, Komfortzone verlassen und Krisen gestalten. Dann wird es was mit 2024.

 Frankfurter Rundschau  hier  01.01.2024, Michael Herl ist Autor und Theatermacher.

Viele halten mögliche Erfolge der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen für bedrohlich. Es bedarf noch einiges, um allzu positive Resultate der immer rechtsextremistischer werdenden Partei zu verhindern.

Eigentlich könnten wir dieses 2024 doch einfach überblättern. Könnten es uns schenken – wenn wir nicht schon zu Weihnachten genügend Überflüssiges bekommen hätten. Jetzt im Ernst. Die Messe ist doch gelesen, der Drops gelutscht. Wie soll dieses Jahr denn noch die Kurve kriegen?

Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind doch quasi schon entschieden. Die AfD wird gewinnen, so oder so. Und ob sie nun 20, 25 oder 30 Prozent der Stimmen erhält, bestimmt letztlich nur den Grad der Entsetzlichkeit.

Friedliche Dauerlösungen der Konflikte in der Ukraine und dem Nahen Osten sind in weiter Ferne, und die Umwelt hat sowieso schon verloren. Der Klimawandel ist unaufhaltsam. Wie sollen wir ihn verhindern, wenn wir nicht mal in der Lage sind, ein paar Schilder mit der Aufschrift „130“ an unsere Autobahnen zu stellen? Das alles ist kein Pessimismus, sondern das Ergebnis einer Fehlerkette, die wir jahrzehntelang sehenden Auges aufgebaut haben. Wir haben’s verbockt. Schluss. Aus.

Doch wie weiter? „Wenn es anstrengend wird in der Demokratie, dann gibt es bessere Ratgeber als Wut und Verachtung“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache, und „weiter kommen wir immer nur gemeinsam, und nicht, wenn jeder sich in seine Lebenswelt zurückzieht.“

Die Rede wurde als realitätsfernes Süßholzgeraspel beschimpft, und diese Kritik ist nicht unberechtigt. Andererseits: Was ist sie, die Realität? In Deutschland leben 84 Millionen Menschen, in der Europäischen Union 448 Millionen und auf der ganzen Welt etwa acht Milliarden.

Würden die alle sich nicht in Städten ballen und würde Nahrung gerecht verteilt, gäbe es für alle genügend Platz und Essen. Beides ist nicht der Fall, und das wird sich mit Sicherheit nie ändern. Das sind die Fakten, auf den einfachsten aller Nenner heruntergebrochen. Was sagt uns das? No future?

„Gerade wird die Welt der nächsten 100 Jahre geschmiedet, im Guten wie im Schlechten. Da will ich dabei sein“, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid in einem lesenswerten Gespräch im Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ in der aktuellen Ausgabe.

Will meinen? Wenn die Kacke schon am Dampfen ist, möchte ich das riechen? Das wäre die negative Deutung. Positiv gesehen könnte man sagen: Gerade ist alles spannend, und ich darf es erleben.

Gewiss, das ist elitär. Eine Mutter mit fünf verhungernden Kindern in Somalia wird das sicherlich anders sehen, ebenso ein Bauer auf seinen vertrockneten Feldern in Peru oder ein Soldat bei minus vier Grad im Schützengraben vor der ukrainischen Stadt Bachmut.

Doch wir sind weder in Somalia noch in Peru oder Bachmut, sondern in einem der wohlhabendsten Länder der Erde. Bei uns muss niemand hungern oder frieren und wird im Krankheitsfall bestens versorgt. Und gerade diese komfortable Situation ermöglicht es uns, nein, verpflichtet uns, für alle jene zu kämpfen, denen es schlechter geht. Bei uns um die Ecke oder weit weg am anderen Ende der Erde.

Denn dieses 2024 schreit danach, eben nicht überblättert zu werden, sondern oben beschriebene Zustände als Herausforderung zu sehen. Als Auftrag, an einer Veränderung aktiv mitzuhelfen. Wie? Zuerst mal mit dem Jammern aufhören. Dann die Komfortzone verlassen – und schon stolpern Sie über Hunderte von Möglichkeiten.

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