Sonntag, 1. Oktober 2023

»Der Westen muss aufhören, Afrika zu vergiften«

Spiegel hier Aus Naivasha und Limuru, Kenia, berichtet Heiner Hoffmann 24.09.2023

Pestizide in Kenia 

In vielen Ländern Afrikas werden großflächig Pestizide eingesetzt, die in Europa verboten sind. Firmen wie Bayer vertreiben sie weiter im Globalen Süden, trotz mutmaßlicher Gesundheitsgefahren. Doch der Widerstand wächst.

...In Deutschland allerdings ist es nicht mehr zugelassen, denn der enthaltene Inhaltsstoff Beta-Cyfluthrin wurde von der Europäischen Union vom Markt genommen, wegen potenzieller Gesundheitsschäden für Anwender und Anwohnerinnen sowie fehlender Datenlage hinsichtlich möglicher Gefahren für Konsumenten. Hier in Kenia allerdings wird das Insektizid made in Germany weiterhin verkauft und versprüht, so wie auf Judy Njengas Farm.

Denn bislang ist der Export solcher in der EU vom Markt genommenen Mittel nicht verboten, vor allem im Globalen Süden können sich Firmen wie Bayer oder BASF noch immer über kräftige Absätze freuen. »Das ist eine zynische Doppelmoral: Für Europäer erkennt man eine Gesundheitsgefahr, in Afrika allerdings sieht man kein Problem«, meint Timothy Njagi, Agrarexperte am kenianischen Tegemeo-Institut, das an der Egerton Universtität angesiedelt ist.

Die Route to Food Initiative der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Kenia hat gerade eine Studie zum dortigen Pestizideinsatz veröffentlicht, dafür wurden Anwendungsdaten aus dem Jahr 2020 ausgewertet. Das Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der in Kenia verwendeten Pestizide gelten als »highly hazardous«, also hochgefährlich. Und 44 Prozent der versprühten Mittel wären in der Europäischen Union aufgrund ihres Risikos für Mensch und Umwelt verboten. »Viele dieser Wirkstoffe sind nervengiftig, schädlich für die Fortpflanzung oder können das Erbgut schädigen. Darüber hinaus können sie auch die Artenvielfalt und die Wasserqualität in Kenia langfristig negativ beeinflussen«, sagt Pestizid-Expertin Silke Bollmohr vom INKOTA-Netzwerk, einem gemeinnützigen Verein, der nach eigenen Angaben auf globale Missstände aufmerksam machen will. Bollmohr ist Hauptautorin der Studie.

Auch zahlreiche Produkte deutscher Konzerne haben Bollmohr und ihre Kollegen in Kenia in den ausgewerteten Anwenderdaten gefunden, darunter das unter Landwirten beliebte Bayer-Produkt Thunder. Laut der Studie gehörte es im Jahr 2020 zu den fünf am breitflächigsten verwendeten Insektiziden in Kenia. Der Bayer-Konzern bestätigt auf SPIEGEL-Anfrage, dass Thunder in der EU nicht mehr zugelassen ist.

Die Inhaltsstoffe seien aber »sicher für Mensch und Umwelt, wenn sie gemäß der Anwendungshinweise verwendet werden. Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus.« Man wende weltweit einheitliche Sicherheitsstandards an, zum Teil seien diese strenger als die lokalen Vorschriften. Der Einsatz der Mittel in Afrika sei auch deshalb gerechtfertigt, weil man es dort mit anderen klimatischen Herausforderungen und einem besonderen Schädlingsdruck zu tun habe, wie etwa die Heuschreckenplage vor zwei Jahren gezeigt habe. Besonders giftige Produkte habe man aber bereits vom Markt genommen.

In Kenia hat die Studie der Böll-Stiftung jedenfalls eine hitzige Diskussion ausgelöst, war Thema in den großen Zeitungen, in den Fernsehnachrichten. »Ihr Tomatensalat, Ihr Eintopf könnten Sie ins Grab bringen«, lautete eine der Schlagzeilen. Landwirtin Judy Njenga kann die Aufregung verstehen: »Natürlich können diese Mittel gefährlich sein«, sagt sie. »Ich versuche, den Gebrauch zu reduzieren, aber was soll ich machen, ganz ohne die Pestizide komme ich nicht zurecht.«

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Tatsächlich wird der afrikanische Kontinent häufiger von Schädlingen heimgesucht als Europa. Gerade breitet sich der Herbst-Heerwurm aus, frisst sich durch die Maisfelder Kenias. »Kein Landwirt gibt seine Ernte freiwillig auf, sie nehmen lieber toxische Produkte, um ihr Einkommen zu retten«, sagt Agrarexperte Timothy Njagi. Von einem Verbot der mutmaßlich gefährlichen Pestizide hält er aber nichts: »Damit erzeugt man nur einen Schwarzmarkt. Wir sollten vielmehr Alternativen anbieten.« Biopestizide zum Beispiel, auf natürlicher Basis, möglichst kostengünstig hergestellt in Kenia.

....Bioprodukte seien kaum gefragt, berichtet Mwangi, die meisten wollten eine Chemiekeule. Auch das ist ein Problem in Kenia: Wenn Landwirte nicht mehr weiterwissen, fragen sie Agrarhändler um Rat. Doch die wollen an ihren Produkten verdienen, eine sanfte Lösung ist nicht in ihrem Geschäftsinteresse. Früher gab es Beauftragte der Regierung, die zu den Landwirten gefahren sind und vor Ort bei der Bekämpfung von Schädlingen beraten haben. Doch das System war zu teuer, wurde schrittweise zurückgefahren. Heute finden zwar noch Trainings zur Anwendung von Pestiziden statt, doch bezahlt werden diese häufig von der Industrie – also den Herstellern der Mittel, über deren Gefahren aufgeklärt werden soll.

..Doch in der kenianischen Politik wächst der Unmut über den Umgang mit Pestiziden im Land. Gladys Shollei ist stellvertretende Sprecherin des Parlaments, ein einflussreiches Amt, sie gehört der Regierungspartei an. Schon 2019 hat sie eine Petition eingebracht, mehr als 200 Produkte wollte sie damals verbieten lassen, erzählt sie, doch fast alle seien bis heute auf dem Markt. »Die Regulierungsbehörde liegt mit der Industrie im Bett, die sind völlig untätig. Sie müssen ersetzt werden«, sagt Shollei. Die Abgeordnete will den neuen Landwirtschaftsminister dazu bringen, härter gegen mutmaßlich schädliche Pestizide vorzugehen.

Auch gegen die deutsche Regierung richtet sich ihre Wut: »Die schicken uns ihre Mittel, die sie selbst nie nehmen würden. Wenn sie aber auf den Lebensmittelimporten aus Kenia Rückstände davon finden, werden die sofort abgelehnt. Diese Scheinheiligkeit ist unerträglich!« Teils hätten Farmer zwei verschiedene Felder, erzählt sie: eins für den Export, mit den milderen Mitteln. Und eins für den heimischen Markt, »da kommt das ganze Gift zum Einsatz«.

..Etwa 70 Kilometer von Naivasha entfernt kann man sehen, dass es auch ohne Pestizide ginge. Hier betreibt Sylvia Kuria Biolandwirtschaft, ihre Farm wirkt eher wie ein verwunschener Garten. Gräser und Blumen wuchern, unter Kompostabfällen werden Würmer gezüchtet, Solarpanele betreiben Wasserpumpen. Kuria trägt einen tief ins Gesicht gezogenen Sonnenhut und Gummistiefel, schnellen Schrittes läuft sie zwischen den Feldern entlang. Unentwegt klingelt ihr Telefon, sie koordiniert Treffen, während sie sich um defekte Wasserleitungen kümmert. Die Bäuerin ist zur Lobbyistin für grüne Landwirtschaft in Kenia geworden.

Ohne anzuhalten, erklärt sie ihr Konzept: Mehrere Sorten werden direkt nebeneinander angebaut, Zwiebeln und Karotten zum Beispiel, »die halten sich gegenseitig die Schädlinge vom Hals«. Sie erklärt, dass die überall blühenden orangefarbenen Blumen bestimmte Insekten anziehen, die wiederum Schädlinge vertilgen. Nach fast jeder Ernte pflanzt Kuria etwas Neues auf dem Feld, damit sich Insekten gar nicht erst an eine Pflanze gewöhnen können. Und wenn es gar nicht anders geht, kommt ein Biopestizid zum Einsatz.

»Ich will niemandem etwas vormachen, es war wirklich nicht einfach, das zu erreichen«, sagt die Landwirtin. Fünf Jahre habe sie gebraucht, um alles aufeinander abzustimmen, zwischendurch hat sie ganze Ernten verloren, ans Aufgeben gedacht. Es gibt bislang nur wenige Lehrbücher für biologische Landwirtschaft unter den klimatischen Bedingungen Afrikas. Trotzdem glaubt die 42-Jährige, dass Anbau ohne Pestizide auch auf großen Farmen möglich ist.

 »Wir müssen endlich aufhören, uns selbst zu vergiften«, sagt sie.
»Der Westen muss aufhören, Afrika zu vergiften.«

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