hier Zeit 1. November 2024,
Weltnaturgipfel in Kolumbien: Warum Gipfel wie dieser die Welt verändern
Von Dagny Lüdemann, Friederike Walch-Nasseri und Fritz Habekuß und Marie Kermer, Cali, Kolumbien
Ein Drittel der Erde soll bis zum Jahr 2030 unter Naturschutz gestellt oder zumindest nur noch so bewirtschaftet werden, dass die Natur erhalten bleibt. In einem historischen Abkommen hatten sich die Vereinten Nationen vor zwei Jahren in Montreal auf dieses 30/30-Ziel geeinigt. Jetzt, auf dem Weltnaturgipfel COP16 im kolumbianischen Cali, wird verhandelt, wie die Umsetzung aussehen kann: Wie genau soll das versprochene Geld für den Globalen Süden fließen? Und wer überwacht, dass Naturschutzgebiete nicht nur auf dem Papier existieren?
Kurz vor Schluss sieht es so aus, als wenn die Ergebnisse des Gipfels enttäuschen werden. Nur ein Bruchteil des versprochenen Geldes für Naturschutz in ärmeren Ländern wurde zugesichert. Viele Ziele bleiben vage und unkonkret. Dennoch sagen Menschen, die auf dem Gipfel sind: Diese Konferenz wird nicht vergeblich gewesen sein. Fünf von ihnen ziehen zum letzten Verhandlungstag ihre persönliche Bilanz.
"Nirgendwo sonst kommen die Probleme so klar auf den Tisch"
KM Reyes kämpft für den Regenwald der Palawan-Inseln auf den Philippinen.
Vor zwei Jahren hatten wir Grund zum Feiern. Der Vertrag von Montreal war bahnbrechend. Zum allerersten Mal wurden die Rechte Indigener so deutlich festgeschrieben. Doch es hapert an der Umsetzung.
Nur eines von vielen Beispielen: Der globale Fördertopf, aus dem der Löwenanteil des Geldes zum Erhalt von Biodiversität kommen soll, stellte 25 Millionen US-Dollar für indigene Völker in Aussicht. Nur zehn der mehr als 400 Organisationen, die sich um Geld beworben hatten, erhielten eine Zusage. 390 gingen leer aus und haben ihre Zeit verschwendet!
Während große Naturschutzorganisationen expandieren, kämpfen kleine, lokale Initiativen um ihre Existenz. Dennoch glaube ich an Konferenzen wie diese – nirgendwo sonst kommen die Probleme so klar auf den Tisch. Die COP16 in Cali ist eine wichtige Bühne. Die Zukunft des weltweiten Naturschutzes liegt nicht in der Konkurrenz um Fördermittel, sondern in der Zusammenarbeit.
"Die Finanzwelt begreift: Nur eine gesunde Natur bringt langfristig Wohlstand"
Florian Titze arbeitet als Berater für internationale Biodiversitätspolitik beim WWF.
Ich verstehe die Frustration, wie langsam die Dinge vorankommen. Ein Wunder, dass sich 196 Staaten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, überhaupt einig sind, dass wir unser Leben und Wirtschaften mit der Natur in Einklang bringen müssen. Alles begann 1992 mit der Rio-Konferenz. Heute haben wir ein Weltnaturabkommen, an dem alle Vertragsstaaten gemessen werden. Die COP16 in Cali stellt die Weichen, wie schnell und verbindlich das versprochene Geld für den Globalen Süden fließen wird, damit dort, wo die Natur am vielfältigsten ist, Regenwälder oder Korallenriffe erhalten bleiben.
Noch entscheidender ist der Finanzsektor, der riesige Geldströme lenkt. Werden Banken und Fonds verpflichtet, Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Investitionen einzurechnen, wird das viel verändern. Die Finanzwelt begreift zunehmend: Nur eine gesunde Natur bringt langfristig Wohlstand. Bis das verstanden wurde, brauchte es viele UN-Gipfel wie den in Cali.
"Auf UN-Ebene kann die Welt verhindern, alles zu verlieren"
Die Genetikerin Ricarda Steinbrecher vertritt die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler.
Wir brauchen tiefgreifende politische Entscheidungen. Ich hoffe, wir finden alle den Mut, zugrunde liegende Ursachen anzugehen und nicht nur Symptome mit Pflastern zu versehen. Zu oft erlebe ich, dass Erkenntnisse aus der Forschung nur gehört werden, wenn sie für die Entscheidungsträger nicht zu unbequem sind. Viele der COP16-Teilnehmer vertreten eine Lobby, auch Teile der angewandten Wissenschaft. Häufig werden neue Technologien als Lösung für die Biodiversitätskrise angepriesen, was ich kritisch sehe.
Andererseits kommen nur auf solchen UN-Treffen auch die kleinen Länder und die Verlierer der Krise zu Wort. Und die Zeit ist knapp. Weltnaturgipfel sind der einzige Ort, an dem ein globaler Richtungswechsel überhaupt möglich sein kann. Auf UN-Ebene kann die Welt verhindern, alles zu verlieren. Deshalb bin ich hier.
"Wir jungen Leute bringen den Fokus zurück"
Die Inderin Swetha Bhashyam bringt junge Aktivistinnen und Aktivisten mit NGOs, Unternehmen und Regierungen zusammen.
Seitdem ich für das Global Youth Biodiversity Network in der Jugenddelegation des UN-Gipfels bin, antworten auf einmal Menschen auf meine E-Mails, die sonst wohl denken würden, ich sei zu jung und unerfahren. In Cali dabei zu sein, ist eine große Chance, mit Regierungen und großen Organisationen Kontakte zu knüpfen. Junge Leute können hier mit ihren Ideen überzeugen. Das ist wichtig, da ältere Generationen manchmal so viele Interessen vertreten, dass sie aus dem Blick verlieren, was passieren muss, um die großen Krisen zu überwinden. Wir jungen Leute bringen den Fokus zurück. Schon die COP15 in Montreal war ein großer Erfolg für uns. In dem Abkommen steht alles, was wir davor gefordert hatten.
"Hier wird die Welt zum Dorf"
Daniela Guarás arbeitet für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in England.
Wir erleben auf solchen UN-Konferenzen, wie Staaten über Grenzen hinweg gemeinsam an einem Ziel arbeiten. Hier wird die Welt zum Dorf. Wenn nach tagelangen Debatten bis spät in die Nacht alle hungrig, übermüdet und angespannt sind, aber es trotzdem zusammen schaffen, etwas zu beschließen: So kann sich wirklich etwas verändern. Als sich in Montreal die ganze Welt nach tagelangen Verhandlungen endlich einig war und beschlossen hatte: Das Artensterben muss enden! Wir müssen die Natur weltweit besser schützen! Das war ein Moment, den vergisst man nicht.
Die 23 Targets von Montreal
Auf dem Weltnaturgipfel in Montreal einigen sich die Vertragsstaaten 2022 auf diese 23 Maßnahmen im Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework:
1) Bedrohungen für die Biodiversität reduzieren
2) Wiederherstellung von Ökosystemen
3) "30 × 30"-Ziel für Schutzgebiete
4) Das Artensterben stoppen
5) Nachhaltige Nutzung von Wildarten
6) Eindämmung invasiver Arten
7) Umweltverschmutzung reduzieren
Naturschutz und Nachhaltigkeit
8) Klimafolgen für die Biodiversität minimieren
9) Nutzen der Biodiversität für Menschen sicherstellen
10) Nachhaltige Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft
11) Städtische Biodiversität fördern
12) Grüne und blaue Infrastruktur ausbauen
13) Biodiversität in Planungsprozesse integrieren
14) Genetische Vielfalt bewahren
15) Schädliche Subventionen abbauen
16) Finanzierung für Biodiversität steigern
Finanzierung und Teilhabe
17) Unterstützung für Entwicklungsländer erhöhen
18) Kapazitätsaufbau fördern
19) Teilhabe indigener Völker sicherstellen
20) Wissen und Forschung stärken
21) Geschlechtergerechtigkeit in der Biodiversität
22) Schutz traditionellen Wissens
23) Geschlechtergleichstellung in Biodiversitätsmaßnahmen integrieren
Das komplette Framework gibt es hier zum Download. Es wird auf Arbeitsmeetings zwischen den COPs stetig weiter ausformuliert.
Erfahren Sie mehr über die Ergebnisse der COP16 in unserem Schwerpunkt zur Biodiversität und im Nachrichtenpodcast "Was jetzt?".
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