Sonntag, 10. November 2024

Wie die Deutschen sich das Verkehrs­system der Zukunft vorstellen

RND   hier  Frank-Thomas Wenzel  08.11.2024,

Mehr Schiene statt mehr Autobahn

Eine repräsentative Umfrage zeigt, dass den Bürgern ein Ausbau der Schiene enorm wichtig ist. Dagegen gibt es bei den Fernstraßen nur eine geringe Zustimmung für Neubau­projekte. Umwelt­schützer und der ADAC fordern von der Bundes­regierung eine Änderung der Prioritäten. 

Es ist ein Dauer­gezänk: Politiker, Experten, Natur- und Klimaschützer reden sich die Köpfe heiß, in welche Richtung es mit den Verkehrs­wegen weitergehen soll. Doch was will das Volk eigentlich? Antwort: Den Erhalt der Auto­bahnen und Bundes­straßen sowie einen Ausbau des Schienen­netzes. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungs­forschungs­instituts YouGov hervor, die dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) exklusiv vorliegt.

Rund 2000 Frauen und Männer wurden Mitte Oktober im Auftrag des Umwelt­schutz­verbands BUND befragt. Sie wurden nach den Verkehrs­projekten gefragt, die bei der derzeit knappen Haushalts­lage vordringlich realisierst werden sollen. Die beiden Punkte „Erhalt des Autobahn- und Bundes­straßen­netzes“ sowie „Neubau und Ausbau des Schienen­netzes“ bekamen mit insgesamt 28 und 29 Prozent die Abstand größten Zustimmungs­quoten.

Für „Neubau und Ausbau des Autobahn- und Bundes­straßen­netzes“ sprachen sich nur 13 Prozent aus. Auffallend ist, dass unter jüngeren Menschen (zwischen 18 und 49 Jahren) der Anteil der Befürworter mit 16 bis 17 Prozent am größten ist. Mit wachsendem Alter nimmt dies spürbar ab. Unter den Bürgern zwischen 60 und 69 finden nur 7 Prozent mehr Fernstraßen gut.

Nur wenige CDU/CSU-Wähler wollen Autobahn-Ausbau

Auch die Verteilung nach politischer Präferenz ist markant. Erwartungsgemäß ist unter Grünen- und Linkspartei-Wählern mit jeweils 44 Prozent die Zustimmung zu einem Ausbau der Schienen­infrastruktur besonders hoch. Es folgen die Anhänger der SPD (30 Prozent) und die Freunde der Union (26 Prozent), der FDP (25 Prozent) sowie der AfD (22 Prozent). Aber bemerkenswert ist, dass auch im Mitte-rechts-Lager durch die Bank ein Erhalt der Autobahnen und Bundesstraßen eine erheblich höhere Priorität genießt als eine Erweiterung der Asphalt­pisten.

Bundes­verkehrs­minister Volker Wissing (früher FDP, inzwischen parteilos) hat sich hingegen vielfach und vehement für mehr Straße stark gemacht - wie zum Beispiel die Verbreiterung der A5 zu einem Super-Highway mit zehn Fahrstreifen in Höhe von Frankfurt am Main oder der Bau der A20 im Norden der Republik.

BUND fordert neue Prioritäten

„Neu- und Ausbau bei der Schiene und Erhalt des Autobahn- und Bundes­straßen­netzes sind die Gewinner der Umfrage. Hierauf soll sich die Bundes­regierung nach dem Willen der Befragten konzentrieren“, sagte Jens Hilgenberg, Leiter Verkehrs­politik beim BUND, dem RND. Dass nur gut jeder und jede Zehnte mehr Fernstraßen als prioritär ansehe, sei ein eindeutiges Signal an Wissing und die Abgeordneten des Bundestags, die Prioritäten­­setzung bei der Verkehrs­infrastruktur grundlegend zu verändern.

Die nächste Gelegenheit dafür sei die anstehende Überprüfung des Bedarfsplans (BPÜ). Es handelt sich um die Liste der Verkehrs­projekte für die nächsten Jahre. Nach Informationen des RND ist die aktualisierte BPÜ den Abgeordneten des Bundestages am Wochenende zugestellt worden.

Projekte für 100 Milliarden Euro

Hintergrund: Wissing hatte Ende Oktober die lange erwartete Basis­prognose für die Entwicklung des Verkehrs bis 2040 vorgestellt. Dabei gehen die Macher der Studie davon aus, dass insbesondere der Güter­verkehr auf der Straße deutlich zunimmt – nämlich um ein Drittel. Beim sogenannten motorisierten Individual­verkehr mit dem Pkw wird zwar ein leichter absoluter Rückgang und ein deutlicheres Minus beim Anteil am Verkehrsmix erwartet. Wissing wies aber bei der Präsentation der Ergebnisse eilig darauf hin, dass dies kein Stopp­signal für den Straßen­neubau sei, da es gleichwohl gelte, Engpässe zu beseitigen.

Die Basis­prognose dient dem Ministerium als Grundlage für die Bedarfsplan­überprüfung. Klar ist für Insider, dass die Projektionen einer Bestätigung für die geplanten Vorhaben bis 2030 gleich­kommen. Dabei handelt es sich um mehr als 1000 Vorhaben, die nach aktuellem Stand rund 100 Milliarden Euro kosten werden.

Die BPÜ sollte eigentlich im zuständigen Ausschuss und im Plenum in den nächsten Wochen diskutiert werden – nach dem Ampel-Aus stehen dahinter nun aber Fragezeichen. Zugleich ist sicher, dass die nächste Bundes­regierung das Thema aufgreifen und weiter­führen muss.

ADAC: Neue Straßen nur, wo es unbedingt nötig ist

Hilgenberg moniert indes: „Während um jeden Euro für Kapazitäts­erweiterungen auf der Schiene oder die Reaktivierung stillgelegter Schienen­strecken hart gekämpft wird, stehen ganz selbstverständlich noch immer viele Milliarden für neue Autobahnen und Bundes­straßen in den Plänen.“ Das seien Vorhaben, die der Einhaltung von nationalen und internationalen Abkommen zu Natur- und Klimaschutz klar entgegen­stünden.

Auch Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr beim ADAC, betont gegenüber dem RND: „Es steht fest, dass bis 2045 der Verkehr in Deutschland klima­neutral werden muss – bei gleichzeitig tendenziell wachsendem Güter­verkehr.“ Bei den Straßen würden deutlich mehr Haushalts­mittel für Erhalt und vor allem für Brücken­sanierungen notwendig. Der Experte von der Autofahrer­lobby fordert: „Wenn Straßen neu- oder ausgebaut werden, sollte sich der Bund auf gesamt­wirtschaftlich besonders dringliche Vorhaben fokussieren, insbesondere auf wichtige Achsen und Engpässe des Straßen­güter­verkehrs.“ Zugleich solle der Ausbau der Schiene besonderes Gewicht bekommen.

Als „Auftrag an die Bundes­politik, den Neu- und Ausbau des Schienen­netzes nicht weiter auf die lange Bank zu schieben“, bewertet Dirk Flege, Geschäfts­führer des Verbände­bündnisses Allianz pro Schiene, die Ergebnisse der Umfrage. Er sagte dem RND: „Die Menschen wünschen sich statt neuer Autobahnen mehr Platz auf der Schiene.“ Die Verkehrswende gelinge nur, wenn das jahrzehntelang geschrumpfte Schienennetz erweitert werde.

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