RND hier Frank-Thomas Wenzel 08.11.2024,
Mehr Schiene statt mehr Autobahn
Eine repräsentative Umfrage zeigt, dass den Bürgern ein Ausbau der Schiene enorm wichtig ist. Dagegen gibt es bei den Fernstraßen nur eine geringe Zustimmung für Neubauprojekte. Umweltschützer und der ADAC fordern von der Bundesregierung eine Änderung der Prioritäten.
Es ist ein Dauergezänk: Politiker, Experten, Natur- und Klimaschützer reden sich die Köpfe heiß, in welche Richtung es mit den Verkehrswegen weitergehen soll. Doch was will das Volk eigentlich? Antwort: Den Erhalt der Autobahnen und Bundesstraßen sowie einen Ausbau des Schienennetzes. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervor, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) exklusiv vorliegt.
Rund 2000 Frauen und Männer wurden Mitte Oktober im Auftrag des Umweltschutzverbands BUND befragt. Sie wurden nach den Verkehrsprojekten gefragt, die bei der derzeit knappen Haushaltslage vordringlich realisierst werden sollen. Die beiden Punkte „Erhalt des Autobahn- und Bundesstraßennetzes“ sowie „Neubau und Ausbau des Schienennetzes“ bekamen mit insgesamt 28 und 29 Prozent die Abstand größten Zustimmungsquoten.
Für „Neubau und Ausbau des Autobahn- und Bundesstraßennetzes“ sprachen sich nur 13 Prozent aus. Auffallend ist, dass unter jüngeren Menschen (zwischen 18 und 49 Jahren) der Anteil der Befürworter mit 16 bis 17 Prozent am größten ist. Mit wachsendem Alter nimmt dies spürbar ab. Unter den Bürgern zwischen 60 und 69 finden nur 7 Prozent mehr Fernstraßen gut.
Nur wenige CDU/CSU-Wähler wollen Autobahn-Ausbau
Auch die Verteilung nach politischer Präferenz ist markant. Erwartungsgemäß ist unter Grünen- und Linkspartei-Wählern mit jeweils 44 Prozent die Zustimmung zu einem Ausbau der Schieneninfrastruktur besonders hoch. Es folgen die Anhänger der SPD (30 Prozent) und die Freunde der Union (26 Prozent), der FDP (25 Prozent) sowie der AfD (22 Prozent). Aber bemerkenswert ist, dass auch im Mitte-rechts-Lager durch die Bank ein Erhalt der Autobahnen und Bundesstraßen eine erheblich höhere Priorität genießt als eine Erweiterung der Asphaltpisten.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (früher FDP, inzwischen parteilos) hat sich hingegen vielfach und vehement für mehr Straße stark gemacht - wie zum Beispiel die Verbreiterung der A5 zu einem Super-Highway mit zehn Fahrstreifen in Höhe von Frankfurt am Main oder der Bau der A20 im Norden der Republik.
BUND fordert neue Prioritäten
„Neu- und Ausbau bei der Schiene und Erhalt des Autobahn- und Bundesstraßennetzes sind die Gewinner der Umfrage. Hierauf soll sich die Bundesregierung nach dem Willen der Befragten konzentrieren“, sagte Jens Hilgenberg, Leiter Verkehrspolitik beim BUND, dem RND. Dass nur gut jeder und jede Zehnte mehr Fernstraßen als prioritär ansehe, sei ein eindeutiges Signal an Wissing und die Abgeordneten des Bundestags, die Prioritätensetzung bei der Verkehrsinfrastruktur grundlegend zu verändern.
Die nächste Gelegenheit dafür sei die anstehende Überprüfung des Bedarfsplans (BPÜ). Es handelt sich um die Liste der Verkehrsprojekte für die nächsten Jahre. Nach Informationen des RND ist die aktualisierte BPÜ den Abgeordneten des Bundestages am Wochenende zugestellt worden.
Projekte für 100 Milliarden Euro
Hintergrund: Wissing hatte Ende Oktober die lange erwartete Basisprognose für die Entwicklung des Verkehrs bis 2040 vorgestellt. Dabei gehen die Macher der Studie davon aus, dass insbesondere der Güterverkehr auf der Straße deutlich zunimmt – nämlich um ein Drittel. Beim sogenannten motorisierten Individualverkehr mit dem Pkw wird zwar ein leichter absoluter Rückgang und ein deutlicheres Minus beim Anteil am Verkehrsmix erwartet. Wissing wies aber bei der Präsentation der Ergebnisse eilig darauf hin, dass dies kein Stoppsignal für den Straßenneubau sei, da es gleichwohl gelte, Engpässe zu beseitigen.
Die Basisprognose dient dem Ministerium als Grundlage für die Bedarfsplanüberprüfung. Klar ist für Insider, dass die Projektionen einer Bestätigung für die geplanten Vorhaben bis 2030 gleichkommen. Dabei handelt es sich um mehr als 1000 Vorhaben, die nach aktuellem Stand rund 100 Milliarden Euro kosten werden.
Die BPÜ sollte eigentlich im zuständigen Ausschuss und im Plenum in den nächsten Wochen diskutiert werden – nach dem Ampel-Aus stehen dahinter nun aber Fragezeichen. Zugleich ist sicher, dass die nächste Bundesregierung das Thema aufgreifen und weiterführen muss.
ADAC: Neue Straßen nur, wo es unbedingt nötig ist
Hilgenberg moniert indes: „Während um jeden Euro für Kapazitätserweiterungen auf der Schiene oder die Reaktivierung stillgelegter Schienenstrecken hart gekämpft wird, stehen ganz selbstverständlich noch immer viele Milliarden für neue Autobahnen und Bundesstraßen in den Plänen.“ Das seien Vorhaben, die der Einhaltung von nationalen und internationalen Abkommen zu Natur- und Klimaschutz klar entgegenstünden.
Auch Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr beim ADAC, betont gegenüber dem RND: „Es steht fest, dass bis 2045 der Verkehr in Deutschland klimaneutral werden muss – bei gleichzeitig tendenziell wachsendem Güterverkehr.“ Bei den Straßen würden deutlich mehr Haushaltsmittel für Erhalt und vor allem für Brückensanierungen notwendig. Der Experte von der Autofahrerlobby fordert: „Wenn Straßen neu- oder ausgebaut werden, sollte sich der Bund auf gesamtwirtschaftlich besonders dringliche Vorhaben fokussieren, insbesondere auf wichtige Achsen und Engpässe des Straßengüterverkehrs.“ Zugleich solle der Ausbau der Schiene besonderes Gewicht bekommen.
Als „Auftrag an die Bundespolitik, den Neu- und Ausbau des Schienennetzes nicht weiter auf die lange Bank zu schieben“, bewertet Dirk Flege, Geschäftsführer des Verbändebündnisses Allianz pro Schiene, die Ergebnisse der Umfrage. Er sagte dem RND: „Die Menschen wünschen sich statt neuer Autobahnen mehr Platz auf der Schiene.“ Die Verkehrswende gelinge nur, wenn das jahrzehntelang geschrumpfte Schienennetz erweitert werde.
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