Sonntag, 3. November 2024

Was, wenn die Märkte für unsere Produkte verschwinden?

Dieser Artikel gilt nicht nur für Österreich...

Standard hier  Renate Graber András Szigetvari, 3. November 2024

Längste Flaute in Österreichs Geschichte

Österreichs Wirtschaft wächst seit mehr als zwei Jahren nicht. Viele erklären das mit hohen Lohnkosten und teurer Energie. Doch die Anzeichen mehren sich, dass die Gründe ganz woanders liegen könnten

Immer wieder kreischen die Fräsen, die den Stahl bearbeiten, laut auf. Gabelstapler flitzen durch die riesige, 10.000 Quadratmeter große Halle. Die Luft ist erfüllt vom metallischen Geruch der Kühlmittel. Peter Ornetzeder lässt sich von der Betriebsamkeit nicht ablenken, er führt seinen Besucher von einer Arbeitsstation zur nächsten. Rund 130 Mitarbeiter produzieren hier, in der Werkshalle des oberösterreichischen Industrieunternehmens Miba in Laakirchen, spezielle Komponenten, die für den Antrieb von Schiffen, Lokomotiven und Windrädern benötigt werden. Büchsen werden sie genannt, erklärt Werksleiter Ornetzeder.

"Enorme" Nachfrage
Mit den Bauteilen für Windräder und anderen Einzelteilen für die Übertragung von Energie will das Unternehmen heuer rund 60 Millionen Euro an Umsatz machen. Das Geschäft schnurrt. Drei der rund neun Meter langen Fertigungsanlagen stehen in der Werkshalle, zwei sind mit Transportbändern versehen. Warum? Es geht ab Richtung Suzhou, unweit von Schanghai, in China, wo Miba gerade dabei ist, ein zweites Werk zu eröffnen.

"Die Nachfrage nach unseren Komponenten ist enorm", sagt Ornetzeder und berichtet begeistert von "eiffelturmhohen Windrädern", die China gerade im Meer aufstelle und für die Miba nun vor Ort produzieren werde.

Eisiger Wind für die Autobauer
Das chinesische Engagement kommt für Miba zu einer günstigen Zeit. Der 1,2 Milliarden Euro Umsatz schwere Konzern der Familie Mitterbauer ist nämlich unter anderem einer von Österreichs großen Kfz-Zulieferern.

Und denen, und da wären wir wieder beim Wind, bläst ebendieser derzeit eiskalt entgegen. Am augenscheinlichsten ist das in Deutschland: Der VW-Konzern hat gerade eine seit Mitte der 1990er-Jahre geltende Beschäftigungsgarantie aufgekündigt, im Raum stehen drei Werksschließungen und der Abbau von Zehntausenden der insgesamt 120.000 Beschäftigten im Land. Österreich mit seiner Zulieferindustrie hat sich angesteckt. Doch es geht bei weitem nicht nur um die Krise der Automobilindustrie.

Österreichs Wirtschaft steckt in einer Rezession. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Wirtschaftsleistung 2023 und 2024 zwei Jahre hintereinander sinken. Die Erholung im kommenden Jahr dürfte schwach ausfallen. Der Industrie, eigentlich ein Wachstumsmotor, brechen die Aufträge weg. Im Handel und in der Immobilienbranche fallen Unternehmen derzeit wie Dominosteine um, auch die Baubranche kämpft mit der Flaute. Viele Experten machen dafür einerseits konjunkturelle Erschwernisse verantwortlich. Denn wegen der hohen Zinsen investieren Unternehmen derzeit wenig. Dieses Problem sollte sich entschärfen, wenn die Kreditkosten wieder zurückgehen, so die Erwartung und Hoffnung. Viele Konsumentinnen und Konsumenten sind noch wegen der Nachwirkungen der Inflationskrise verunsichert und halten sich deshalb beim Einkauf zurück – auch das sollte vorübergehen.

Dazu kommt aber eine Reihe an hausgemachten Problemen, die von Fachleuten identifiziert werden. Die Schlagworte: hohe Lohnkosten, hohe Steuern und Abgaben auf Arbeit, dazu teuer gewordene Energie. Und das zieht nicht so schnell vorüber. Die Therapievorschläge dagegen zielen darauf ab, Österreichs internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Also: Steuern senken, Arbeit entlasten, Bürokratie abbauen.

Die Krise reicht tiefer
Aber: Stimmen diese Diagnosen überhaupt? Was, wenn die Ursachen der gegenwärtigen Krise viel tiefer reichen? So lassen sich Belege dafür finden, dass ein tieferer Strukturwandel eingesetzt hat, der unser Wohlstandsmodell gehörig ins Wanken bringen könnte. Was, wenn gar nicht die Lohnkosten oder die hohen Abgaben bestimmend sind und nicht einmal die Bürokratie und auch nicht die trübe Konjunktur – sondern wenn einfach die Märkte für Österreichs Produkte verschwinden? Oder anders gesagt: wenn wir die falschen Produkte für die Weltmärkte produzieren und anbieten? Was also, wenn der Wind nach der vermeintlich vorübergehenden Flaute nicht mehr zurückkommt?

Auffallend ist, dass es in Europa zwei Länder gibt, die sich seit 2019 besonders schlecht entwickeln: Deutschland und Österreich. Die Länder performen beim Wachstum über die vergangenen fünf Jahre am schwächsten (siehe Grafik). Sogar die einst so krisengebeutelten Südländer wie Portugal und Griechenland wachsen deutlich dynamischer.

Schon das ist ein Indiz dafür, dass Österreichs Krise so hausgemacht nicht sein kann. Denn die hierzulande oft kritisierten inflationsbedingt hohen Lohnsteigerungen gab es in Deutschland nicht. Was es bekanntermaßen aber gibt, ist eine extreme wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder. Fast ein Drittel der heimischen Exporte geht nach Deutschland, vor allem Autoteile und Maschinen. Pro Jahr wurden zuletzt Güter im Wert von 58,5 Milliarden Euro zum Nachbarn ausgeführt. Das entspricht mehr als zehn Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung. Von Deutschland aus werden sehr viele österreichische Produkte in die Welt verteilt. Und genau da hakt es nun.

Wozu deutsche Verbrenner kaufen?
Sinnbildlich für die Entwicklung ist auch hier wieder die Kfz-Industrie. Lange Jahre hat die deutsche Automobilindustrie bestens davon gelebt, ihre Verbrenner am größten Automobilmarkt der Welt, in China, zu verkaufen. Die Kernmarke VW setzt mehr als ein Drittel ihrer Fahrzeuge weltweit allein in China ab.

Doch genau dieser allerwichtigste Markt verändert sich gerade für die deutschen Weltkonzerne VW, BMW und Mercedes. Im vergangenen Jahr haben die deutschen Autobauer um 600.000 weniger Neuwagen in China verkauft also noch 2019. Ihr Marktanteil ist binnen zweier Jahre von 25 auf unter 20 Prozent abgerutscht. Besonders bei VW ist der Einbruch dramatisch. Der Grund: Chinesische E-Auto-Bauer wie BYD, Geely und Co verdrängen die deutschen Verbrenner. Viele hängen immer noch der Hoffnung an, dieses Geschäft werde wieder zurückkehren.

Aber warum sollte das so sein? Zwar durchlebt auch China gerade eine Phase der wirtschaftlichen Schwäche. Aber selbst wenn die Konjunktur dort wieder anspringt und die Konsumenten mehr Autos kaufen, spricht wenig dafür, dass deutsche Unternehmen davon profitieren werden. Die chinesischen E-Autos sind qualitativ hochwertig und günstiger als die Verbrenner der Deutschen. "Es gibt immer weniger Platz für deutsche Unternehmen", analysiert Alexander Brown vom Mercator Institute for China Studies in Berlin. Der Umbruch sei gekommen, um zu bleiben.

Verkürzte Sichtweise
Das fällt natürlich auch auf Österreichs Zulieferindustrie zurück, die weniger Komponenten nach Deutschland verkaufen kann. Studien des Forschungsinstituts Wifo zeigen zwar, dass die Kfz-Zulieferer keine überragende Rolle in der heimischen Industrielandschaft spielen. Auf sie entfallen demnach nur sieben Prozent der gesamten Sachgütererzeugung. Aber diese Sichtweise ist verkürzt.

Einer, der das spürt und auch so sieht, ist Georg Hemetsberger. Er ist Vorstandsvorsitzender des Eisenwerks Sulzau-Werfen in Salzburg. Das Unternehmen, das seine Ursprünge voller Stolz bis ins Jahr 1770 zurückverfolgt, produziert Walzwerkswalzen. Hinter diesem etwas sperrigen Namen verbergen sich viele Tonnen schwere Maschinen, mit denen Stahlerzeuger Autobleche produzieren.

Hemetsberger erzählt, dass zwar die Geschäfte in den USA gut gehen, dem Hauptexportland für das Pongauer Unternehmer. Die Verkäufe der Maschinen nach Deutschland leiden aber. Die Stahlindustrie fragt weniger von den Maschinen nach, weil ihr die Aufträge von den Automobilherstellern fehlen.

Strukturwandel
Auch eines der österreichischen Vorzeige-Börseunternehmen, der Stahlerzeuger Voestalpine, dürfte den Strukturwandel bereits spüren. Die Aktien des Unternehmens sind heute um fast 40 Prozent weniger wert als noch vor drei Jahren. Warum zweifeln die Aktionäre an dem Konzern? Ein Grund ist, dass die Stahlpreise gesunken sind. Vermutlich bedeutsamer dürfte aber sein: "Die Voestalpine macht rund 30 Prozent ihrer Umsätze im Automotive-Sektor", sagt Michael Marschallinger, der das Unternehmen für die Erste Group beobachtet. Ein wesentlicher Abnehmer des Voest-Stahls sei die kriselnde deutsche Automobilindustrie.

Das Auto ist eben mehr als nur irgendein beliebiges Konsumgut: Die Produktion von Verbrennern ist so materialintensiv, dass der Wirtschaftszweig massiv in andere Branchen ausstrahlt.

Beim Wandel geht es aber gar nicht nur um Stahl und Autos. Längst dürfte auch die Maschinenindustrie in dem Strukturwandel angekommen sein. Den Grund dafür beschreibt die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik so: Chinas Staatschef Xi Jinping forciere seit gut zehn Jahren eine Strategie, um China in technologisch sensiblen Bereichen der Wirtschaft unabhängig von Importen aus dem Westen zu machen. "Während des Prozesses zur Industrialisierung Chinas wurden Maschinen aus Deutschland gebraucht und importiert", sagt Weigelin-Schwiedrzik.

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Tischler braucht man immer
Der frühere Chef der Erste Bank und Aufsichtsratsvorsitzende der Erste Stiftung, Andreas Treichl, erklärt es so: Länder wie Deutschland oder Österreich seien in Bereichen wie der Kfz-Industrie auch deshalb immer gut gewesen, weil das mit den Finanzierungsstrukturen von Banken zusammengepasst habe. "Neue Industrien wie Biotechnologie oder Künstliche Intelligenz eignen sich für diese Finanzierungsformen hingegen nicht mehr, allein weil Banken für ihre Kredite Sicherheiten brauchen", sagt Treichl. "Stahl und Aluminium kann man verpfänden, Künstliche Intelligenz nicht." Weil es eben keinen Kapitalmarkt für diese "Postindustrie-Industrie" gebe, seien viele Industrien bereits abgewandert, in Märkte eben, wo es diese Finanzierung gebe.

Und was, wenn Österreich steckenbleibt, also die alten guten Geschäfte mit Autos und Maschinen nicht anziehen und der Einstieg in neue Hochtechnologiesparten nicht gelingt? Dann bleibe Österreich nichts anderes übrig, als auf seine traditionellen Stärken zu setzen, etwa auf Tourismus und Handwerk, rät beziehungsweise ätzt Treichl: "Dann los und ab in diese Richtung." Gute Tischler werde man jedenfalls immer brauchen.

Gute Hoteliers wohl auch. Die Berge bleiben ja da.

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