Standard hier Lisa Nimmervoll 31. Jänner 2025,
Sie wollen keinen "Volkskanzler" Kickl, sondern die Zweite Republik retten
Eine Gruppe hochrangiger ehemaliger Politikerinnen und Politiker sieht in Blau-Schwarz und besonders in FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Gefahr für die Zweite Republik an sich. Sie fordert Mut zu Alternativen, die es noch immer gebe
Sie wählten einen symbolträchtigen Platz für ihren Appell: Vor dem Stein der Republik, der zum Mahnmal gegen Krieg und Faschismus gehört, warnten Freitagvormittag Persönlichkeiten, die die Zweite Republik in hohen und höchsten Ämtern und Funktionen mitgeprägt haben, vor einer FPÖ-ÖVP-Regierung. Auf dem granitenen Kunstwerk, das 1988 von Bildhauer Alfred Hrdlicka gefertigt wurde, sind Teile der Unabhängigkeitserklärung eingraviert. Die "Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs" war am 27. April 1945 von den drei Gründungsparteien der Zweiten Republik – SPÖ, ÖVP und KPÖ – unterzeichnet worden.
80 Jahre später sind drei Parteien – ÖVP, SPÖ und Neos – gescheitert, eine Regierung zu bilden, und die Volkspartei verhandelt mit der FPÖ über eine Koalition unter FPÖ-Chef Herbert Kickl. Das müsse verhindert werden, waren sich Bundespräsident a. D. Heinz Fischer (SPÖ), Ex-EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP), die Gründerin des Liberalen Forums Heide Schmidt, Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ), Ex-Volksanwältin Terezija Stoisits, Ex-ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath sowie Verfassungsjurist Heinz Mayer einig. Organisiert wurde der Auftritt von der Initiative "Ein Versprechen für die Republik", dem Republikanischen Club – Neues Österreich und der Initiative "Saubere Hände – Stoppt Korruption“.
Keine Retropolitik
Fischer skizzierte eingangs, was sie eine: Sie alle wollten verhindern, dass die Zweite Republik, auch wenn diese "nicht ohne Schwächen und Fehler" sei, "einem beträchtlichen Risiko ausgesetzt" werde. Sie habe "eine zweite Chance verdient", denn: "Wir wollen weiter eine offene Gesellschaft und keine illiberale Demokratie. Wir wollen freie Medien und auch keine Retropolitik, was die Rolle der Frauen betrifft – und wir wollen insbesondere keinen Volkskanzler Kickl, der Österreich dann ja zu einer Volksrepublik machen würde."
Was das bedeuten würde, beschrieb Heide Schmidt so: "Die FPÖ hat das Zeug dazu, die Demokratie zu zerstören." Die LiF-Gründerin hält den Medienbereich für ein zentrales Feld bei der "schleichenden Abschaffung der Demokratie". Wenn unabhängige Medien "ausgehungert" und ideologisch genehme gestärkt würden, sei die für die Demokratie unerlässliche Kontrolle bedroht: "Das wäre für lange Zeit ein irreparabler Schaden", zumal in einer "Zeit der Vernetzung der Rechten über alle Grenzen".
Über Grenzen hinausdenken und Politik machen will auch Franz Fischler, der die "fundamentale" Notwendigkeit betonte, "gerade jetzt Europa zu stärken". Viele Problemlagen, von Sicherheit über Wohlstand bis zur Klimakrise, seien national nicht lösbar. Darum wären "Reformverweigerer" in der EU "sehr gefährlich". Mit Blick auf seine Partei sagte der ehemalige EU-Kommissar, wenn die ÖVP "nicht jegliche Glaubwürdigkeit verlieren möchte", dann müsse in einem Koalitionsprogramm mit der FPÖ stehen, dass es für jeden Beschluss von Ministern in einem europäischen Rat oder des Kanzlers im EU-Rat einen Regierungsbeschluss geben müsse.
Verantwortungsethik
Der zweite ÖVP-Repräsentant auf dem Podium, Bankenvertreter Ikrath, sieht denn auch "eine zweite Chance für die ÖVP" gekommen, die zwar "ihre Ethik der Verantwortung irgendwo gänzlich abgegeben hat", jetzt aber Nein zu einem "Volkskanzlertum" unter Kickl sagen müsse, auch und vor allem, um den Rechtsstaat als eine der Stützen der liberalen Demokratie zu schützen.
Anschober, der als Grüner zwölf Jahre auf Landesebene und im Bund mit der ÖVP regiert hat, wies die Lesart, dass es keine Alternative mehr zu Blau-Schwarz gebe, zurück: "Das ist einfach falsch." Schon davor hatte SPÖ-Politiker Lacina darauf hingewiesen, dass über 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler eben nicht die FPÖ gewählt hätten.
Auch Stoisits will die "Sorge und Bedrängnis" derer ernst genommen wissen, die Kickl nicht gewählt haben oder das gar nicht konnten, weil sie zu jung sind oder zu alt und vielleicht immobil – oder gar kein Wahlrecht haben, aber hier leben. Für sie ist klar: "Es hängt von der ÖVP ab. Kickl wird nur Kanzler, wenn die ÖVP es zulässt." Ihr Parteikollege Anschober erwartet daher, "dass wieder Bewegung entsteht und es für Alternativen eine Chance gibt."
Die zählte der Verfassungsjurist auf: Minderheits-, Beamten-, Expertenregierung oder ÖVP/SPÖ mit vorübergehender Duldung von Neos und/oder Grünen: "Aber man muss es wollen." Und es brauche Verhandler, die "das Gesamtinteresse vertreten und nicht nur Parteiinteressen". Das sei Demokratie: kompromissbereit zu sein. Er hoffe immer noch darauf, sagte Heinz Mayer, denn sollte die FPÖ ins Kanzleramt kommen, "dann gibt es die Zweite Republik nicht mehr". Und er schloss die Klammer zum monumentalen Stein der Republik, um zu verdeutlichen, was es zu verlieren gibt. Vor 80 Jahren sei es drei Parteien, die einige Jahre davor noch in einem Bürgerkrieg aufeinander geschossen hätte, gelungen, die Grundlagen für die Zweite Republik zu schaffen: "Das war ein heroischer Tag, den man nicht hoch genug schätzen kann."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen