Montag, 2. Oktober 2023

Die Wahrheit hinter Deutschlands Rekord-Stromimport

Focus  hier  30.09.2023

Mengen stark gestiegen

Deutschland importiert in diesem Jahr deutlich mehr Strom als in der Vergangenheit. Doch das zeigt keine Abhängigkeit vom Ausland, noch liegt es nur am Atomausstieg. Stattdessen ist Kohle teuer und ineffizient geworden. Die Lösung könnten die Erneuerbaren sein.

Die gestiegenen Stromimporte nach Deutschland sorgen weiterhin für politische Debatten. 
Vor allem Politiker von Union und AfD sehen diese als Gefahr für die deutsche Versorgungssicherheit, als Kostenproblem und als direkte Folge des deutschen Atomausstiegs, der Mitte April vollzogen wurde. Tatsächlich zeichnen Zahlen der Bundesnetzagentur und des Fraunhofer ISE, die Table.Media ausgewertet hat, aber teilweise ein anderes Bild.

Unstrittig ist, dass Deutschland in diesem Sommer sehr viel mehr Strom aus dem Ausland bezieht als jemals in der Vergangenheit:  Von Mai bis August wurden 17,8 Terawattstunden mehr Strom importiert als exportiert, während es im gleichen Vorjahreszeitraum noch einen Exportüberschuss von 0,6 Terawattstunden gab. Zwar gab es auch zuvor schon in einigen Sommern Netto-Importe, aber in weitaus geringerem Ausmaß. Im Winter dürfte sich die Bilanz wieder umdrehen, doch über ein ganzes Jahr gesehen dürfte Deutschland Netto-Importeur bleiben.

Dänemark statt Frankreich

Dass dabei vor allem Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen importiert wird, wie oft zu hören ist, ist dagegen nicht korrekt: Die Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen,  dass in diesem Sommer mit 4,8 Terawattstunden netto mit Abstand der meiste Strom aus Dänemark importiert wurde,  wo Windkraft die wichtigste Stromquelle ist. Aus Frankreich, wo Atomkraft dominiert, kam weniger als halb so viel Strom,  Importe aus Polen spielten praktisch keine Rolle .

Unzutreffend ist auch eine Schlussfolgerung, die oft aus dem Import-Überschuss gezogen wird:  So folgt daraus nicht, dass Deutschland zur Sicherung der Stromversorgung von Importen abhängig ist.  Tatsächlich haben allein die wetterunabhängigen Kohle-, Gas- und Biogas-Kraftwerke eine Gesamtleistung von über 88 Gigawatt; der Spitzenbedarf liegt an normalen Tagen bei 70 Gigawatt, der Höchstwert der letzten Jahre lag bei 81 Gigawatt. Auch ohne Importe steht theoretisch also jederzeit selbst bei Dunkelheit und Windstille mehr Strom zur Verfügung als benötigt wird.

Eine Frage des Preises

Dass dennoch Strom importiert wird, hat einen einfachen Grund:  Der importierte Strom ist günstiger als die Produktion im Inland.  Exakt berechnen lassen sich die Kosten nicht, weil die Verträge mit unterschiedlichem Vorlauf geschlossen werden und die genauen Preise nicht bekannt sind. Die Bundesnetzagentur hat die Importkosten aber näherungsweise ermittelt, indem sie die stündlich gehandelten Strommengen mit den stündlichen Preisen für eine Stromlieferung am Folgetag (dem sogenannten Day-Ahead-Preis) multipliziert hat.

Dabei zeigt sich, dass Deutschland von Mai bis September dieses Jahres für Stromimporte rund 2,4 Milliarden Euro bezahlt und durch Exporte rund 0,3 Milliarden Euro eingenommen hat. Insgesamt ergeben sich damit Kosten von 2,1 Milliarden Euro; im gleichen Zeitraum des Vorjahres lagen diese nur bei 0,7 Milliarden Euro.  Die Kosten pro Kilowattstunde importiertem Strom lagen dabei im Schnitt bei 10 Cent.  Und das ist weniger als die Produktionskosten in deutschen Kohlekraftwerken: In Steinkohlekraftwerken fielen im Juli nach Angaben des Fraunhofer ISE allein für Brennstoff und CO₂-Zertifikate pro Kilowattstunde über 14 Cent pro Kilowattstunde an; in Braunkohlekraftwerken sind es gut 12 Cent.

Der große Kohle-Einbruch

Ein Blick auf die Produktionsmengen, die das Fraunhofer-Institut auf der Seite  energy-charts.info  bereitstellt, zeigt denn auch,  dass die Produktion der deutschen Kohlekraftwerke in diesem Sommer extrem eingebrochen ist : Von Mai bis August lag sie um 26 Gigawattstunden niedriger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, was fast einer Halbierung entspricht.

Die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke führte im gleichen Zeitraum dagegen nur zu einem weitaus geringeren Rückgang der Stromproduktion um gut 10 Gigawattstunden. Dass trotz eines Gesamtrückgangs bei Kohle und Atom von 36 Gigawattstunden die Importe nur um 18 Milliarden Gigawattstunden zugenommen haben, liegt vor allem daran, dass gleichzeitig die  Produktion aus erneuerbaren Energien deutlich gestiegen und die insgesamt verbrauchte Strommenge stark zurückgegangen  ist.

Aufgrund der Kostenstruktur ist klar, dass es zu höheren Strompreisen geführt hätte, wenn Deutschland mehr Kohlestrom produziert hätte, statt Strom zu importieren.  Weniger eindeutig zu beantworten ist die Frage, wie sich ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke auf die Preise ausgewirkt hätte.  Weil AKWs vergleichsweise geringe Brennstoffkosten haben und keine CO₂-Zertifikate benötigen, sind die Grenzkosten von Atomstrom relativ gering.

Weil am Strommarkt aber stets das teuerste Kraftwerk, das zu einem Zeitpunkt benötigt wird, den Preis für den gesamten zu diesem Zeitpunkt gehandelten Strom bestimmt, wirken sich die niedrigeren Produktionskosten nur in geringem Umfang auf die realen Preise aus. Eine  Studie des Analyse-Instituts Enervis  hatte den Preis-Effekt der Laufzeitverlängerung im Frühjahr auf nur 0,2 Cent pro Kilowattstunde geschätzt;  andere Berechnungen  gingen von einem größeren Einfluss aus.

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