Der SPIEGEL-Leitartikel von Maria Fiedler 03.01.2024
Höhenflug der AfD
Zu Beginn des Superwahljahrs haben die etablierten Parteien keine Strategie gegen den Höhenflug der AfD. Das muss sich ändern, sonst nimmt die Demokratie Schaden.
Man kann von Glück reden, dass an diesem Sonntag noch nicht Landtagswahl in Sachsen ist. Die AfD, die im Freistaat als gesichert rechtsextrem gilt, kam in einer an Neujahr veröffentlichten Umfrage auf 37 Prozent. Die SPD lag bei drei Prozent – und die FDP bei nur einem Prozent.
Die neue Erhebung nährt die schlimmsten Befürchtungen für das Superwahljahr 2024. Es droht ein Sieg der AfD bei allen drei Landtagswahlen im Osten und ein Erstarken der extremen Rechten in der EU. Es droht vor allem ein Schaden für die Demokratie.
Obwohl klar ist, was auf dem Spiel steht, wirken die anderen Parteien lethargisch. Seit Monaten liegt die AfD in bundesweiten Umfragen bei über 20 Prozent. An diesen Zustand hat sich die Bundespolitik offenbar gewöhnt. Eine Strategie, wie ein AfD-Sieg bei den anstehenden Wahlen im Osten verhindert werden soll, gibt es bei der politischen Konkurrenz nicht. Dabei müssten angesichts solcher Umfragen im Willy-Brandt-Haus und den anderen Parteizentralen Krisenstäbe tagen.
Wenn die AfD stärkste Kraft würde, hätte sie politische Macht.
Doch vor allem in der Ampelkoalition scheint für die Wahlen 2024 zu gelten: Augen zu und durch, es wird schon noch mal reichen. Man beruhigt sich damit, dass die Gefahr überschaubar ist, solange die AfD nicht die absolute Mehrheit holt und die Brandmauer hält.
Das ist naiv, und die Annahme ist auch falsch. Wenn die AfD stärkste Kraft würde, hätte sie politische Macht. So stünde ihr das Vorschlagsrecht für das Amt des Landtagspräsidenten zu. Holt sie mehr als 33 Prozent, kann gegen sie die Verfassung nicht mehr geändert werden. Und die Mehrheitsbildung wird schwierig bis unmöglich. Mit wem sollte die CDU in Sachsen eine Regierung bilden? Mit einer Drei-Prozent-SPD sicher nicht.
Vertrauenskrise der etablierten Parteien
Es kann nicht die Lösung sein, sich diesem Schicksal zu ergeben. Wahr ist: Viele Wähler sind derart von der AfD überzeugt, dass man sie kurzfristig nicht zurückholen kann. Warnungen vor dem Rechtsextremismus der Partei beeindrucken sie nicht. Jetzt aber geht es darum zu verhindern, dass jene, die bislang nur in Umfragen mit der AfD liebäugeln, tatsächlich zu ihren Wählern werden.
Die AfD muss um fast jeden Preis offensiv bekämpft werden
Die Politik muss sich den Ursachen des AfD-Erfolgs stellen. Die sind vielfältig. Eine der wichtigsten ist, dass viele Menschen den etablierten Parteien nicht mehr zutrauen, die Probleme des Landes zu lösen. Sie fühlen sich politisch ohnmächtig und nicht repräsentiert. Der Dauerstreit der Ampel beschleunigt diese Entfremdung.
Doch was ist nötig, um Vertrauen zurückgewinnen?
Erstens: Verlässlichkeit. Wer tut, was er angekündigt hat, gilt als vertrauenswürdig. Wer dagegen wie die Ampel dazu ermuntert, aufs Elektroauto umzusteigen, und dann von einem Tag auf den anderen die Förderung streicht, verunsichert die Bürger und verspielt Vertrauen.
Zweitens: Verständlichkeit. Politik muss sich erklären. Wenn in der Energiekrise Atomkraftwerke abgeschaltet werden und die Bürger das Gefühl bekommen, das geschehe aus ideologischen Gründen, dann ist das schädlich. Wenn gefundene Kompromisse nicht erklärt, sondern von denen madig gemacht werden, die sie beschlossen haben, trägt das nicht zum Verständnis bei.
Drittens: Ergebnisse. Es bringt nichts, dauernd über ein Problem zu sprechen, wenn sich nichts ändert. Bestes Beispiel ist die Migration. Die Ampel hat lange gezögert, bevor sie sich zum Handeln entschloss und die CDU hat so getan, als stünde der Kontrollverlust kurz bevor. Genutzt hat das vor allem der AfD. Jetzt gibt es Erfolge, für die die Bundesregierung offensiver werben müsste: Georgien und Moldau sind sichere Herkunftsstaaten, die EU hat sich auf einen Asylkompromiss verständigt.
Liefern hilft – das gilt auch auf Landesebene. Der CDU-geführte Berliner Senat hat in der Silvesternacht mit einer massiven Polizeipräsenz ein Chaos wie im Vorjahr verhindert. Das festigt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.
Viertens: Präsenz zeigen. Es ist gerade im Osten ein großes Problem, dass den Parteien die Mitglieder davonlaufen und sie an vielen Orten nicht mehr vertreten sind. Jeder AfD-Stammtisch, jede blaue Hüpfburg auf dem Marktplatz stößt in diese Lücke. Langfristig können die Parteien nur Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie wieder wachsen, indem sie neue Mitglieder anwerben und Frauen und Männer für die Arbeit vor Ort gewinnen. Es hilft, wenn die Menschen Parteien nicht nur aus dem Fernsehen kennen, sondern der Bäcker um die Ecke in der FDP ist und die nette Nachbarin in der SPD.
Fünftens: den Bürgern etwas zutrauen. Die Politik, allen voran Kanzler Olaf Scholz, will den Bürgerinnen und Bürgern nichts zumuten – aus Angst, dass sich das sonst an der Wahlurne rächt. Ein Beispiel ist der Klimaschutz. Doch wer ständig verspricht, der Staat werde alles richten, wird die Menschen enttäuschen. Die sind bereit, Belastungen zu akzeptieren, wenn man ihnen erklärt, warum diese notwendig sind. Dafür muss man die Wähler aber ernst nehmen.
Weniger als neun Monate sind es noch bis zu den Landtagswahlen im Osten. Bis dahin lässt sich nicht alles Vertrauen zurückgewinnen, das in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist. Aber die Parteien können zumindest damit anfangen.
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