Standard hier Interview Philip Pramer 1. Februar 2025,
Transformationsforscherin Göpel: "Populisten haben die Zukunft für sich besetzt"Trump und Konsorten versprechen Befreiung durch Rückschritt, sagt die Transformationsforscherin Maja Göpel. Der Wandel zu einer gerechteren Gesellschaft sei dennoch nicht verloren
Es ist eine überraschende Wende im politischen Diskurs: Ausgerechnet jene Kräfte, die noch vor kurzem eine Rückkehr zu alter Ordnung predigten, besetzen nun die Zukunft für sich. Donald Trump verspricht eine radikale Umgestaltung der US-Institutionen, Tech-Milliardäre wie Elon Musk träumen von der Mars-Kolonisierung und Europas Rechtspopulisten stilisieren sich zu Vorreitern des Wandels.
Maja Göpel beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Die Politökonomin, die mit Unsere Welt neu denken 2020 einen Bestseller über die sozial-ökologische Transformation schrieb, sieht darin mehr als nur eine rhetorische Verschiebung. DER STANDARD traf Göpel vor dem Wiener Ball der Wissenschaften, bei dem sie einen Vortrag hielt. Im Interview analysiert die Transformationsforscherin und Honorarprofessorin der Leuphana-Universität in Lüneburg in Deutschland, wie die Sehnsucht nach einfachen Antworten den Populisten in die Hände spielt – und warum der Kampf um die Deutung der Zukunft längst nicht entschieden ist.
Trump inszeniert sich nicht mehr als Bewahrer der alten Ordnung, sondern als radikaler Erneuerer.
STANDARD: Unsere Welt neu denken heißt Ihr bisher erfolgreichstes Buch. Nun sieht es so aus, als würde die Welt neu gedacht – nur anders, als Sie es sich erhofft haben. Trump ist wieder Präsident, rechtspopulistische Parteien erstarken in Europa, die Klimadiskussion ist ins Hintertreffen geraten.
Göpel: Bis vor kurzem waren die populistischen Parteien – gerade die rechtspopulistischen – in die Vergangenheit gewandt. Sie versprachen eine alte Normalität, die nichts mit diesen in ihren Augen komischen ökologischen, diversen, frauengetragenen Zukunftsversprechen zu tun hat. Aber vor rund 18 Monaten ist da etwas gekippt. Plötzlich schaffen die Populisten es, die Zukunft für sich zu besetzen. Das Alte wird nun mit allem gleichgesetzt, was wir noch vor kurzem als progressiv bezeichnet hätten. Das Destruktive, dieses Kaputtmachen wird als Befreiungsschlag und als Weg in die Zukunft dargestellt. Dabei sieht dieses Gesellschaftsbild vom Inhalt her trotzdem sehr alt aus: Männer sind wieder stark, Rücksichtslosigkeit ist wieder okay, und mit dieser Öko-Ideologie soll man ihnen erst gar nicht mehr kommen.
STANDARD: Die gesellschaftliche Stimmung scheint also gekippt zu sein. Wie konnte das passieren?
Göpel: Bis zum Ausbruch der Pandemie waren wir an einem Kipppunkt in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation. Es wurde mehr Mitbestimmung gefordert, Umweltschutz wurde wichtiger. Dann kamen die Krisen, der Angriffskrieg gegen die Ukraine, und die politische Handlungsfähigkeit wurde stark herausgefordert. Nichts eignet sich besser als eine Krisensituation, um einen Veränderungsprozess infrage zu stellen. Das Vertrauen darin, dass die Politik die Absicht und Fähigkeit hat, diese Probleme zu lösen, ging verloren – und wurde auch systematisch unterminiert durch diejenigen, die die Unübersichtlichkeit für ihre Interessen genutzt haben, seien es Geschäftsinteressen oder das Ziel, in Demokratien systematisch Misstrauen zu säen. In diese Situation hinein kam dann das Versprechen: Wir machen einfach alle Regeln weg und den Staat klein, dann wächst die Wirtschaft wieder, und wir sind alle wieder frei.
STANDARD: Was hat es mit diesem Freiheitsbegriff auf sich?
Göpel: Das ist nur der halbierte Liberalismus. Nach dem Motto: Ich habe die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, ohne in irgendeiner Weise für die Konsequenzen dieser Entscheidung verantwortlich zu zeichnen. Die Tech-Milliardäre, die jetzt Trump unterstützen, stellen die technologische Entwicklung etwa als so wichtig und notwendig dar, dass die Kollateralschäden völlig in Ordnung seien. Die Zukunft klappt nur mit KI, technologisch können wir alles ersetzen, und schließlich fliegen wir zum Mars. Das hat etwas Verachtendes für all das Lebendige, was diesen Planeten ausmacht, aber nicht zu der endlosen Beschleunigungs- und Produktivitätslogik des technisch Möglichen passt.
STANDARD: Warum ist diese Erzählung der Zukunft so verlockend?
Göpel: Einerseits ist es sicher Überforderung. Vielen Menschen wird alles zu komplex, zu viel. Wenn dann jemand sagt: "Du musst nur an dich selbst denken und ans Geldverdienen, der Rest ist egal", dann wirkt das wie ein Befreiungsschlag. Der andere Grund ist eine Art Kapitulation: Viele glauben nicht mehr daran, dass wir gemeinsam Lösungen finden können. Und wenn ohnehin alles untergeht, will man wenigstens oben schwimmen.
STANDARD: Trump hat bereits – wie zuvor der argentinische Präsident Javier Milei – mit dem Kahlschlag in öffentlichen Institutionen begonnen. Auch Kickl spricht von einem angeblichen "Deep State". Warum ist der Staat zum Feindbild der Populisten geworden?
Göpel: Man muss solche Framings wie "Deep State" oder auch "Bürokratiemonster" frontal aufspießen. Denn in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes: Der Staat verkörpert genau das, was diese Bewegungen ablehnen: verbindliche Regeln für alle statt das Recht des Stärkeren. Sie wollen das Vertrauen und die Handlungsfähigkeit der Regierungsinstitutionen zerstören, die ihrer Machtausübung noch entgegenstehen könnten.
STANDARD: Gibt es nicht, gerade in der EU, tatsächlich zu viele Regulierungen?
Göpel: Administrativ haben wir tatsächlich eine Überladung: Man muss Dokumente oft in Papierform einreichen statt digital, oft an vier, fünf Stellen gleichzeitig, jede Regierungsebene hat noch mal eigene Varianten. Da muss man sicher einiges verschlanken und vereinheitlichen – aber auf der Basis von Richtungssicherheit: Wir wollen die Zielmarken der Dekarbonisierung, der Zirkularität der Wirtschaft und die soziale Seite eines Wohlfahrtsstaates erhalten, nur dynamischer werden. Das Motto "Weniger ist besser" hilft nicht bei Strukturwandel.
STANDARD: Was meinen Sie mit Richtungssicherheit?
Göpel: Dass alle politischen Instrumente die Lösungen zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele erleichtern und ihnen nicht weiter entgegenstehen. Das tun ja viele Subventionen oder Steuerstrukturen oder Standards noch. Dabei geht es nicht darum zu sagen, so muss der Deckel von der Flasche aussehen, sondern zu sagen: Euer Recyclingziel bis dahin ist so und so, dann ist der Anreiz gesetzt, dass auch die Teile wieder zurückkommen. Dann aber natürlich auch den Nachweis einfordern und im Zweifel diejenigen sanktionieren, die Ziele nicht erreichen – insbesondere wenn es Wettbewerber durchaus können. Das wäre konsequentes "Management by Objectives".
STANDARD: Was wäre ein Beispiel dafür?
Göpel: Die EU-Flottenwerte für CO2-Emissionen bei Autos, die gerade massiv als "Bürokratiemonster" angeschossen werden. Dabei ist es der technologieoffenste Ansatz überhaupt: Der Durchschnitt aller verkauften Autos eines Herstellers muss einen bestimmten CO2-Grenzwert einhalten. Es ist völlig egal, wie das Unternehmen dieses Ziel erreicht. Wenn es die Grenzwerte nicht schafft, hat das nichts mit Bürokratie zu tun, sondern mit Managementversagen oder damit, dass am Markt vorbei entwickelt wurde. Es geht nur darum, einen bestimmten Emissionsstandard nicht mehr unterschreiten, und die Regulierung ist eingeführt worden, weil die Selbstverpflichtungen nicht zu ausreichenden Veränderungen geführt haben. Wir sind eine Ingenieursrepublik – wieso nehmen wir uns da nicht selbst ernst?
STANDARD: Die Situation scheint festgefahren. Wie kommen wir da wieder heraus?
Göpel: Ich sehe einen Auftrag bei den sogenannten Eliten – den wirtschaftlichen, politischen, intellektuellen. Sie sind dringend aufgerufen, eine bestimmte Grundstruktur von demokratischen, transparenten Aushandlungsprozessen zu verteidigen. Für mich hat das Harrison Ford in seinem Unterstützervideo auf den Punkt gebracht: "Kamala Harris will protect your right to disagree with her." Bei Trump sehen wir das Gegenteil – wer nicht seiner Meinung ist, wird angegriffen, er rächt sich mit den Mitteln eines Präsidenten, die einer Verfassung dienen sollen.
STANDARD: Aber was sollen diese Eliten nun konkret tun?
Göpel: Bei vielen Familienunternehmen sehen wir gerade diese schwierige Entscheidung: Investiere ich weiter in den Standort, in die Mitarbeiter, in langfristige Entwicklung? Oder gehe ich den Weg ins "Family Office", in die Vermögensverwaltung, wo ich schnell aussteigen kann, wenn es kritisch wird? Wir brauchen dringend dieses Commitment zu einer Region, ein Signal, dass auch die weiter dabei sind, die aus-checken könnten.
STANDARD: Wie wirkt sich das auf die Wirtschaft aus?
Göpel: Selbst McKinsey warnt mittlerweile, dass das Global Balance Sheet, eine Art weltweite Vermögensbilanz, aus der Balance kippt. Wir nutzen Vermögen immer weniger, um produktive wirtschaftliche Dynamik freizusetzen – mehr zur Wertsteigerung bei bestehenden Anlagegütern, also Asset-Inflation. Wir wissen, Menschen brauchen Zugang zu Wohnraum, Land, Gesundheitsversorgung, Energie und Bildung. Statt aber die Qualität oder die Menge dieser Güter zu vergrößern, werden so die Nutzungsgebühren hochgefahren.
STANDARD: Messen wir Wohlstand falsch?
Göpel: Ja, die Debatte ist leider sehr verengt. Das BIP sagt nichts über die ökologische Zerstörung, die Verteilung oder die Lebensqualität derjenigen, die ganz wenig vom Wachstum bekommen. Ein Beispiel: Wenn wir einen Regenwald abholzen, taucht im BIP nur der Holzertrag auf – nicht aber der Verlust der Wasserspeicher im Boden oder der Biodiversität, die einen ganz zentralen Mehrwert darstellen. Eckart von Hirschhausen hat mal ausgerechnet: Ein Glas Honig würde etwa 300.000 Euro kosten, wenn man den Bestäubern Mindestlohn zahlen würde. Diese Wertschöpfung aus den Ökosystemen nehmen wir ganz selbstverständlich in Anspruch. Aber im BIP taucht sie nicht auf.
STANDARD: Was wären bessere Indikatoren?
Göpel: Das Bruttoinlandsprodukt ist zwar ein guter Indikator dafür, ob wirtschaftliche Dynamik zu erwarten ist. Aber mehr eigentlich nicht. Deshalb brauchen wir ergänzende Indikatoren. Zum Beispiel Naturkapital-Bestände – da gibt es einen G7-Beschluss, den viele Länder immer noch nicht umgesetzt haben. Oder die Verteilungseffekte vom Zugewinn, um das Vertrauen wieder aufzubauen, anstatt einfach zu sagen: "Wenn der Kuchen größer wird, kommt schon irgendwie überall was an." Das hat sich als Irrtum erwiesen.
STANDARD: Als eine Lösung schlagen Sie in Ihrem aktuellen Buch ein "Erfolgs-Dashboard" für Regierungen vor. Das klingt ein bisschen nach Regierungs-PR.
Göpel: Es geht nicht um PR, sondern um mehr Transparenz. Die Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sollten ja für jede Regierungskoalition gelten. Dafür braucht es messbare Indikatoren und transparente Erfolge. Einige Medien machen das bereits vor: Sie haben einen Energiemonitor aufgebaut und zeigen nicht nur die Investitionen in Erneuerbare Energien, sondern auch die konkreten Fortschritte bei den Ausbauzielen. Das schafft Vertrauen und zeigt: Wir kommen voran.
STANDARD: Angesichts all dieser Herausforderungen – haben Sie noch Zuversicht für die Zukunft?
Göpel: Hannah Arendt hat einen wichtigen Satz gesagt: Das Gute hat nie komplett gewonnen – aber das Böse auch nicht. Das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen. Während es in der Natur echte Kipppunkte gibt, von denen es kein kurzfristiges Zurück mehr gibt, gilt das für gesellschaftliche Entwicklungen nicht. Der soziale Wandel ist viel schneller möglich – und damit bleibt die Zukunft immer offen für Veränderung. (Philip Pramer, 1.2.2025)
Maja Göpel (48) forscht als Politökonomin und Transformationsforscherin mit Schwerpunkt auf transdisziplinärem Denken und hat sich seit 2019 zunehmend auf Wissenschaftskommunikation spezialisiert. Die Honorarprofessorin an der Leuphana-Universität Lüneburg war von 2017 bis 2020 Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und ist unter anderem Mitglied des Club of Rome. Kürzlich erschien ihr neuestes Buch Werte im Brandstätter-Verlag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen