01.07.2022 |
Wenn einer eine Reise tut, dann hat er viel zu erzählen. In diesem Sommer sind es viele Ärger-Geschichten. An Flughäfen herrscht das Chaos, weil Airlines Flüge streichen. Es mangelt an Personal an den Sicherheitsschleusen und der Gepäckabfertigung. Für die Flüge, die tatsächlich abheben, müssen die Passagiere Stunden vorher am Schalter stehen. Die Deutsche Bahn ist leider keine echte Alternative. Mehr als ein Drittel der Fernzüge ist verspätet. Baustellen und Planungsfehler, wie derzeit etwa auf der Gäu- und Schwarzwaldbahn, verlängern die Fahrzeiten, teils sogar über Monate und möglicherweise Jahre. Das Auto ist die verlässliche Bank – aber nur, wenn der Staat nicht über Nacht eine Autobahnbrücke wegen Einsturzgefahr sperren muss oder der Sprit deutlich über 2 Euro pro Liter kostet. Deutschland hat ein Problem mit der Mobilität.
Der Mann, der das Problem lösen muss, ist Volker Wissing. Der Bundesverkehrsminister hat nicht nur die Aufgabe, Brücken und Gleise instand setzen zu lassen und Flughäfen mit Arbeitskräften zu versorgen, sondern seinen Bereich auf Klimaschutz zu trimmen. Der Liberale war in Berlin ein halbes Jahr auf Tauchstation gegangen. Der 52-Jährige, so scheint es, hat sich all seine Kraft für die vergangenen Tage aufgespart. Zunächst präsentierte er den von ihm eingefädelten Deal für das Flughafenpersonal aus der Türkei, dann kümmerte er sich um den Pakt für die Schiene und die Zukunft des Autos. Während Ersterer schnell wirken kann, ist bei den beiden Letzteren Geduld gefragt. Verbesserungen tragen erst nach einigen Jahren Früchte, wenn etwa eine stark befahrene Bahnstrecke ertüchtigt ist. Damit das schneller gelingt, soll die Bahn solche Streckenabschnitte in Korridore gliedern und wie in Österreich in einem Rutsch grundsanieren. Bisher ist das aber nur ein Vorschlag. Wissing steht aber unter Zeitdruck, weil sein Sektor bislang zu wenig für den Klimaschutz tut. Verfehlt der Verkehr seine CO2-Einsparziele, muss der Minister mit harten Maßnahmen gegenhalten. Dann könnten zum Beispiel das Tempolimit auf Autobahnen kommen oder die Fahrverbote am Sonntag, gegen die sich die FDP mit aller Kraft stemmt.
Das will er ändern und hat deshalb in Berlin mehrere Hundert Leute in einer alten Fabrikhalle versammelt. Die Ziegelsteine sind weiß getüncht, der Beton der Deckenkonstruktion unverputzt, auf der Bühne stehen grüne Zimmerpflanzen im hölzernen Regal. Wer in Berlin etwas Neues präsentieren will, zeigt sich genau in diesem Ambiente. „Wir stehen gut da“, sagt Wissing und stellt heraus, dass Deutschland nach den Niederlanden in Europa das zweitbeste E-Ladenetz hat. Doch für das, was gebraucht wird, ist es viel zu dünn. In jeder zweiten Gemeinde in Deutschland gibt es noch keine öffentliche Ladesäule für E-Autos. 2030 sollen auf Deutschlands Straßen 15 Millionen E-Autos unterwegs sein, um den CO2-Ausstoß zu senken. Heute sind es inklusive Hybrid-Autos 1,3 Millionen. In weniger als zehn Jahren muss sich ihre Zahl mehr als verzehnfachen. Damit das überhaupt möglich ist, muss das Netz massiv wachsen. Wenn Deutschland in dem bisherigen Tempo weitermacht, wird das nicht gelingen. „Warum haben wir so wenig Ladeinfrastruktur, obwohl wir uns so stark engagiert haben?“, fragt Wissing selbstkritisch.
Derzeit stehen 62 000 öffentliche Ladepunkte verteilt in der ganzen Republik. Nach Berechnungen des Verbandes der Autoindustrie (VDA) kommen pro Woche 250 hinzu. Für das 15-Millionen-Ziel müssten es aber laut VDA 2000 sein. Um das Tempo zu steigern, hat Wissing einen Masterplan Ladenetz schreiben lassen. Sowohl die Autobranche als auch die Energiewirtschaft haben große Zweifel daran, ob der Plan den Ausbau beschleunigen kann. „Von den 19 000 Liegenschaften des Bundes ist keine einzige im Flächen-Tool der Leitstelle Ladenetz verzeichnet“, beklagt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae. Ihre Mitgliedsunternehmen, die Energieversorger, können nur alle fünf Jahre anmelden, wie stark sie das Stromnetz ausbauen wollen, und bekommen diese Investitionen über die Netzentgelte der Verbraucher bezahlt. Die zurückliegende Meldung ist abgeschlossen und damit vor dem Masterplan. „Fünf Jahre sind eine Ewigkeit in diesem dynamischen Markt“, meinte Andreae.
VDA-Chefin Hildegard Müller wurde noch deutlicher: „Ich bin schon beunruhigt über die Situation, wo wir stehen.“ Die EU hatte ihrer Branche am Tag zuvor ein faktisches Verbrenner-Verbot beschert, das Wissing nicht verhindern konnte. Für die europäischen Konzerne heißt das, dass sie auf Gedeih und Verderb auf E-Autos setzen müssen.
(Anmerkung: die Autobranche schien aber doch froh zu sein, dass nun endlich eine gemeinsame Regelung zustande gekommen ist, an die sie sich halten können)
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