Gerade eben erst kam die schlechte Nachricht aus Brüssel bzgl der Taxonomie.
Sven Giegold sieht aber offensichtlich gleichzeitig Fortschritte für den Klimaschutz in der EU, und der müsste sich ja bestens auskennen. Hoffen wir, dass er das richtig einordnen kann. Ich muss gestehen: Ich bin etwas skeptisch momentan, zu viele Verwässerungen schlagen mir auf`s Gemüt.
Auch in der Süddeutschen Zeitung war vom Klimapaket zu lesen hier
Er schreibt:
Immer wieder gibt es in der europäischen Politik Momente, bei denen Großes passiert, aber keiner kriegt es mit. Genau so erging es mir nach Abschluss des Rates der Umweltminister*innen in Luxembourg am vergangenen Mittwoch. Nach einem dreitägigen Verhandlungsmarathon hat das bisher größte Klimapaket der EU die entscheidende Hürde genommen. Seit vielen Monaten habe ich auf diesen Erfolg hingearbeitet.
Ein Riesenerfolg für den Klimaschutz!
In Luxemburg waren
wir mit unseren Minister*innen Steffi Lemke und Robert Habeck sowie über 30
Expert*innen vor Ort. Jetzt ist es geschafft! Doch die deutsche Öffentlichkeit
erhält davon praktisch keine Kenntnis. Es gibt in unserem Land nach diesem
wegweisenden Beschluss nur ein Thema: Ist das Verbot der Zulassung neuer Autos
mit Verbrennungsmotoren nun endgültig oder gibt es nun doch noch ein
Schlupfloch? Alle unsere Versuche (als Bundesregierung!) die Medien von der
überragenden Bedeutung des gesamten Klimapakets zu überzeugen, scheitern. Daher
hier der Versuch einer Aufklärung.
Das Paket an
beschlossenen Klimagesetzen liefert nun die konkreten Maßnahmen in
Energieerzeugung, Verkehr, Landnutzung, Gebäuden, usw., um die grundsätzlich
bereits beschlossenen -55% Treibhausgasminderung europaweit tatsächlich und
verbindlich zu erreichen. Es ist gemessen an der enthaltenen Emissionsminderung
das größte EU-Klimapaket ever! Gegenüber den bisherigen Klimabeschlüssen der EU
erreichen wir fast eine Verdoppelung der jährlichen Klimaschutzanstrengung bis
2030. Und das nicht nur in vagen Absichtserklärungen sondern unterfüttert mit
verbindlichen gesetzlichen Maßnahmen. Als nächstes kommt dann die Arbeit an
Maßnahmen zum 2040er Klimaziel!
Verschärfte Minderungsziele für alle Staaten
Die neue
EU-Klimaschutzverordnung (ESR) setzt für alle Mitgliedstaaten verbindliche und
ambitionierte Treibhausgasminderungsziele. Für Deutschland ist die Minderung
fast identisch mit den Zielen des Bundesklimaschutzgesetzes nach dem Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts.
Verschärfter Klimaschutz durch Emissionshandel
Der Emissionshandel
(ETS) wird jetzt auf 61% Minderung gegenüber 2005 ausgerichtet – statt bislang
auf 43%. Darüber hinaus werden die Zertifikate jetzt jedes Jahr um 4,2%
gekürzt, statt bisher 2,2%. Das heißt, die Unternehmen müssen ihre Emissionen
etwa doppelt so schnell reduzieren wie bislang vorgesehen. Durch die einmalig
stärkere Reduktion des Zertifikateangebots (Rebasing) um 117 Mio t im Jahr 2024
erhöhen wir das Ambitionsniveau schon zu Beginn deutlich. Das wirkt Jahr für
Jahr fort, da das Cap dann jedes Jahr entsprechend niedriger liegt. Das
Rebasing wirkt so, als hätten wir mit der verstärkten Kürzung der Zertifikate
um 4.2% statt 2.2% bereits im Jahr 2021 begonnen. Der
ETS wird weiterhin gestärkt durch eine Reform der so genannten Marktstabilitätsreserve,
die überschüssige Zertifikate auch in Zukunft mit einer Rate von 24% aus dem
Markt nimmt. Das ist zwar „nur“ so schnell wie bisher, aber damit auch doppelt
so schnell wie eigentlich für die kommenden Jahre vorgesehen und sehr wichtig
für eine robuste Preisentwicklung. Der ETS für den Luftverkehr wird gestärkt
und der internationale Schiffsverkehr muss erstmals auch Emissionsrechte
kaufen. Um das zu erreichen, waren einige Zugeständnisse nötig, die die
Gesamtambition aber nicht ernsthaft absenken. Insbesondere die freie Zuteilung
von Zertifikaten für Industriesektoren wurde verlängert, um die Wirksamkeit des
Grenzausgleichsmechanismus ernsthaft testen zu können.
Ausweitung des Emissionshandels
Der
EU-Emissionshandel wird auf die Sektoren Gebäude- und Verkehr ausgeweitet.
Künftig gilt der Emissionshandel nicht nur für Industrie und Energieproduktion,
sondern auch in den Sektoren, die beim Klimaschutz bisher hinterher hinken.
Damit bekommen künftig 75% aller EU-Treibhausgasemissionen einen Deckel, nicht
wie bisher nur 40%. Das marktwirtschaftliche Klimaschutzinstrument
Emissionshandel wird zum zentralen Instrument des europäischen Klimaschutzes.
In Deutschland gibt es eine Bepreisung von CO2 bereits. Das soll jetzt in ganz
Europa kommen. Damit der CO2-Preis ärmere Bevölkerungsgruppen nicht
überfordert, haben wir Schutzsysteme zur Preisstabilisierung eingebaut.
Klimasozialfonds
59 Mrd. Euro der
Einnahmen aus dem Emissionshandel für Gebäude und Verkehr kommen über sechs
Jahre künftig in einen europäischen Klimasozialfonds. Davon werden gut 18
Milliarden Euro in die ärmeren Mitgliedsländer umverteilt. Daraus können die
Staaten Bürger*innen und Regionen beim Umstieg auf Klimafreundlichkeit helfen
oder auch ärmere Bevölkerungsgruppen vor höheren CO2-Preisen schützen.
Gleichzeitig wird die Höhe des Klimasozialfonds nach oben gedeckelt, um das
Ausmaß der Umverteilung planbar zu machen. Gemeinsame Klimapolitik und
europäische Solidarität kommen durch den Klimasozialfonds zusammen.
LULUCF: Klimafreundliche Landnutzung
Erstmals wird es verbindliche
europäische Regeln für die klimafreundliche Nutzung von Land geben. Unter dem
Wortungetüm LULUCF wird Europa ein Gesetz bekommen, um überall in unserem Boden
mehr Humus zu speichern. Die Chancen für den Erhalt unserer Moore und
naturnaher Wälder werden europaweit besser!
Erneuerbare Energien: Beschleunigter Ausbau
Das Ausbauziel für Erneuerbare
Energien in 2030 haben wir von 32% auf 40% europaweit angehoben. Und wichtiger
noch: Der Ausbau der Erneuerbaren wird als im "europäischen öffentlichen
Interesse" erklärt. Damit gibt es überall öfter grünes Licht bei
Genehmigungsverfahren.
Energieeffizienz: Erstmals verbindlich
Erstmals bekommt Europa ein
verbindliches Energieeffizienzziel. Bei Gebäudedämmung und effektiver
Energieverwendung außerhalb der Industrie ging es viel zu langsam voran. Das
wird sich nun ändern. Energieeffizienz wird verbindlich.
Durchbruch für emissionsfreie Autos
Ab 2035 werden in Europa keine PKWs
mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen. Es gilt Emissionsstandard Null. Damit
vollzieht der Gesetzgeber, was im Markt längst geschieht. Das Verbrenner-Aus
ist jedoch nur ein kleiner - und in Deutschland völlig überschätzter - Teil des
Pakets. Durch gemeinsamen Einsatz der Bundesregierung wurde dem Verbrenner-Aus-Gesetz
ein unverbindlicher Erwägungsgrund angefügt. Danach wird die EU-Kommission
einen weiteren Gesetzesvorschlag machen, um nur mit E-Fuels betankbare Autos
auch ab 2035 zulassbar zu machen. Ob dieses Gesetz dann von Europaparlament und
Rat der Mitgliedsländer tatsächlich beschlossen wird, ist offen. Noch
ungewisser ist, ob E-Fuels jemals einen substantiellen Marktanteil bei PKWs
erreichen werden. Denn die Herstellung von E-Fuels ist viel ineffizienter als
die direkte Nutzung von erneuerbarem Strom in einer Batterie.
Europa geht beim Klimaschutz voran
Insgesamt verschärfen wir die
Treibhausgasminderung der EU bis 2030 von bisher -40% gegenüber 1990 auf rund
-57%. Europa geht mit diesem Paket weit in Führung gegenüber etwa China und den
USA. Das ist entscheidend für die globalen Klimaabkommen. Und:
Zukunftsindustrien und -arbeitsplätze werden in Europa entstehen!
Eindrücke hinter den Kulissen
Das Paket wurde letzten Mittwoch -
gegen 2.30 Uhr morgens - nach langen Verhandlungen mit breiter Mehrheit der
Mitgliedsstaaten beschlossen. Nord und Süd, West und viele Länder des Ostens
haben mitgemacht bei starkem Klimaschutz mit sozialem Ausgleich. In der Nacht
haben unsere Expert*innen bis 4 Uhr morgens Party gemacht. Nicht weil die
Verhandlung endlich durch war, sondern: Unsere 30 anwesenden Expert*innen
feierten, weil wir wirklich etwas für unseren Planeten und unsere Kinder
geschafft haben.
Bei diesem Klimapaket war Deutschland nicht im europäischen
Bremserhäuschen.
Nur durch Deutschland
und einige weitere ambitionierte Staaten haben wir nun ein anspruchsvolles
Klimapaket. Das ist alles andere als selbstverständlich. Denn seit der
Coronakrise steht der Klimaschutz in vielen Staaten nicht mehr im Mittelpunkt
der Politik. In vielen EU-Ländern gilt spätestens seit dem Überfall Russlands
auf die Ukraine: Jetzt gibt es drängendere Probleme. Bei den Verhandlungen im
Rat der Mitgliedsländer war das bei vielen Details spürbar. In etlichen
Dossiers gab es kaum noch Staaten, die mehr Ambition forderten, aber viele die
weniger wollten und sich in den Verhandlungen auf ihre Sonderinteressen
konzentrierten. Deutlich zu merken war der fehlende Druck von Fridays for
Future seit den Coronabeschränkungen, die Massendemonstrationen lange
erschwerten. Erst die Proteste vor der Europawahl 2019 und die grünen Erfolge
der Wahl haben die Vorschläge der EU-Kommission zum “Green Deal” samt des
Klimapakets “Fit for 55” möglich gemacht. Doch dann ging es im Ambitionsniveau
rückwärts.
Zwar ist der
Klimaschutz weiterhin in vielen europäischen Ländern Topthema für die
Wählerinnen und Wähler. Doch das übersetzt sich nicht unbedingt in die von
drängenden Problemen dominierte Politik vieler Regierungen. Gerade der Krieg,
die Inflation und die drohende Energieknappheit haben auf den Klimaschutz eine
ambivalente Wirkung. Einerseits ist die Abhängigkeit von fossilen
Energieimporten ist jetzt für alle wirtschaftlich und sozial spürbar.
Andererseits kosten manche Klimaschutzanstrengungen kurzfristig Geld und Mühe.
In mehreren Ratsformationen haben wir als deutsche Bundesregierung versucht zu
erreichen, dass die EU das Ambitionsniveau im Fitfor 55-Paket, z.B. bei
Energieeffizienz und Ausbau der Erneuerbaren, noch weiter steigern soll. Das
scheiterte jeweils am Widerstand anderer Mitgliedsstaaten - trotz der
Energiekonflikte mit Russland. Immerhin erzeugte die Lage den notwendigen Druck
doch noch zu einem anspruchsvollen Abschluss der Verhandlungen zu kommen.
Erstmals bei einem großen Umweltpaket ist die Position des Rates
der Mitgliedsländer insgesamt ambitionierter als des Europaparlaments.
Ja, es gibt viele
kleine Extrawürste im Ratstext. Vor allem mussten wir im Rahmen des
Emissionshandels - auf Basis von Vereinbarungen in der Koalition - für die
Industrie weniger strenge Regeln vereinbaren. Aber nur der Rat weitet den
Emissionshandel auf Verkehr und Wohnen aus und finanziert damit den sozialen
Ausgleich. Das Europaparlament hat sich das nicht getraut und wollte
Privathaushalte bei Wohnen und Verkehr keinen CO2-Preis zumuten. Damit wäre der
EU-Emissionshandel hinter verschiedenen nationalen CO2-Bepreisungssystemen
zurückgeblieben, darunter dem deutschen. Bei der Durchsetzung der Verbreiterung
des Emissionshandels spielte Deutschland eine entscheidende Rolle. Am Anfang
standen wir hier mit Dänemark alleine, am Ende hat hier der Klimaschutz
gewonnen.
Viele der Expert*innen aus den Bundesministerien für Wirtschaft
und Klimaschutz (BMWK) sowie dem Bundesumweltministerium machen im Klimaschutz
einen Wahnsinnsjob mit viel Kompetenz & Idealismus.
Sie könnten oft im
Privatsektor mehr verdienen, haben sich aber für Dienst am Gemeinwohl
entschieden. Mit ihnen haben wir diesen Erfolg fürs Klima geschafft! Es ist für
mich ein Privileg jede Woche als Staatssekretär die Projektgruppe zu leiten,
die die Positionierung Deutschlands im Rat der EU vorbereitet. Das BMWK ist bei
den meisten Klimagesetzen federführend, doch letztlich müssen wir uns mit den
anderen Ministerien abstimmen. Um Konflikte schneller zu klären, haben wir -
auf Vorschlag des Kanzleramts - eine eigene etwa monatlich tagende
Staatssekretärskonferenz gegründet, die ich leite. Nicht nur dort hat uns das
Kanzleramt an allen entscheidenden Stellen unterstützt.
Damit das Klimapaket
in Kraft treten kann, müssen Rat der Mitgliedsländer und Europaparlament sich
noch einigen. Das wird sicher nicht einfach, aber die größte Hürde ist mit der
Einigung im Rat genommen. Das ist gerade auch ein Verdienst der französischen
Ratspräsidentschaft, die dem EU-Klimapaket Priorität eingeräumt hat! Ich bin
guter Hoffnung, dass aus beiden Verhandlungspositionen im Trilog-Verfahren oft
die klimapolitisch stärksten Punkte durchkommen. Es kann noch besser werden!
So groß der Erfolg auch ist. Wir brauchen weiter Druck von Klimawissenschaft
& Klimabewegung.
Um unseren Planeten
zu retten, müssen wir noch entschiedener handeln. Denn auch mit diesem Paket
sind wir in Europa noch nicht auf 1,5 Grad Pfad, sondern noch ein gutes Stück
davon entfernt. In der Regierung kämpfen wir für das politisch Mögliche. Bitte
macht uns weiter Druck!
Mit erfreuten,
europäischen Grüßen aus Berlin
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