Dienstag, 29. August 2023

Der Begriff „Liebe“ wurde in letzter Zeit von „Querdenker*innen“ gekapert. Zeit, ihn zurückzuerobern.

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„Querdenker“ und Egoismus: Liebe zerstört unsere Demokratie

Kaum ein Wort hat sich in den letzten Monaten so verdächtig gemacht wie das Wort Liebe. Dabei ist an der Liebe erst einmal nicht viel auszusetzen: Sie hält uns bei Laune, tagtäglich auf Trab und den Laden hier im Großen und Ganzen am Laufen – auch im intergenerationellen Sinn.

Doch in den letzten Monaten wurde deutlich: Es gibt ein Problem. „Liebe“ steht auffällig oft auf Plakaten, die auf „Querdenker“-Demos herumgetragen werden. Auf denen sind auch viele Rechte und Neonazis.

„Für Wahrheit, Frieden und Liebe“ ging man in Karlsruhe auf die Straße.

Für „Frieden Freiheit Liebe“ in Berlin.

Aus kiebigen Kehlen krakeelt

„Liebe“ forderten sie in der Hauptstadt auch auf T-Shirts. Wie etwa diese eine Frau, die anschließend von einem Polizisten beschuldigt wurde, ihn in die Hand gebissen zu haben.

„Liebe!“, wird aus kiebigen Kehlen krakeelt.

Das hat die Liebe – trotz des Ärgers, den man mitunter mit ihr hat – nun auch nicht verdient. Liebe wird im weiten Umfeld von Coronaskeptikern und -skeptikerinnen nur noch als sinnentleertes Schlagwort benutzt, das jenseits seines ursprünglichen Zusammenhangs die eigene Agenda aufwerten soll. Ganz nach dem Motto: Wer von Liebe spricht, kann nichts Schlechtes im Sinne haben.

Und es hört nicht auf: „Lasst uns ins Licht gehen und für die Liebe stehen“, schrieb die Sängerin Nena auf ihrem Instagram-Profil und sagte, sie hätte die Panikmache von außen in Einzelteile zerlegt. Viele verstanden diese Message als coronaleugnend.

An Musikerkollege und Verschwörungsideologe Xavier Naidoo kann ebenfalls gezeigt werden, wie der Begriff Liebe widersprüchlich genutzt wird. Wenn Naidoo nicht gerade infrage stellt, dass die Erde eine Kugel ist, oder gegen Migranten hetzt, verkauft er „one Love“-Kapuzenpullis und erzählt als Redner auf Reichsbürgerveranstaltungen, er sei „Repräsentant der Liebe“.

Schulterschluss der Ideologi:innen

Zudem wird der Schulterschluss zwischen Ver­schwö­rungs­ideolog:innen und Eso­te­ri­ker:in­nen über den Begriff Liebe hergestellt. Er wird seit Langem im spirituellen Zusammenhang genutzt, wo auch eher gefühlt statt gedacht werden soll. Der Erleuchtete sei die Verkörperung der „reinen Liebe“, nur der Erleuchtete wisse überhaupt, was Liebe sei.

Der neue Esoterikstar, die 19 Jahre alte Christina von Dreien, sagt: „Weil ich Mensch bin, lerne ich zu verstehen, was es bedeutet, mit Liebe zu ändern, mit Wahrheit zu leben, mit Freiheit zu denken.“ Sie hat ein Buch ­darüber geschrieben, dass Corona von den Mächtigen in die Welt gesetzt worden sei. „Wenn wir alle in uns die Energie der Liebe entfesseln, dann hat die Menschheit ein zweites Mal in ihrer Geschichte das Feuer entdeckt“, sagt sie – und man fragt sich, ob das eine Drohung ist.

Bekannt wurde Christina von Dreien, weil ihre Mutter Bücher veröffentlichte, die davon handeln, dass die Tochter ein Medium sei und unter anderem mit Tieren sprechen könne.

Das erinnert an die Anastasia-Bewegung, eine Ansammlung von selbst versorgenden Siedlern und Siedlerinnen, die in Deutschland Verbindungen in die rechte Szene pflegen und sich auf die Schriften eines russischen Autors über das Mädchen Anastasia beziehen, das ebenfalls mit Tieren sprechen kann. Titel eines seiner Bücher: „Bräuche der Liebe“.

Radikalisierung durch Liebe?

Kurzum, schaut man sich auf der Straße und im Internet um, so könnte man meinen, die Radikalisierung verläuft über das Wort Liebe. Die andauernde Verwendung des Begriffes, meist fern seines Kontextes, ist oft ein recht eindeutiges Signal, dass man es mit einem sinnentleerten Text zu tun hat, der sich jeder überprüfbaren Aussage entzieht. Oder dass man es mit einer Person zu tun hat, die dabei ist, der Demokratie abzuschwören oder den Menschenverstand zu verlieren.

Was ist da los?

Da der Begriff Liebe nicht fassbar ist, weil es sich um ein individuell ausgelegtes Gefühl handelt, wird er benutzt, um das Unfassbare greifbar zu machen – im Sinne von eingrenzbar. Liebe wird als Symbol benutzt. Für etwas Reines, Verständliches, kindlich Unschuldiges. Für ein Bedürfnis, das alle betrifft. Wer von Liebe spricht, kann deswegen niedrigschwellig Menschen erreichen, indem an ein Grundbedürfnis appelliert wird, das es andauernd zu stillen gilt. Denn der Mensch braucht immer noch mehr Liebe, immer noch mehr Zuwendung.

Wer Liebe als gesellschaftliche oder politische Forderung formuliert, muss dabei nichts Explizites meinen oder beschreiben. Liebe, das ist das innere Grundsummen fernab von These oder Vorschlag. Die Forderung nach Liebe ist der Rückfall in den ­Säuglingszustand. Fiepen, bis der Schnabel gestopft ist.

Auffällig dabei, dass Liebe im Sinn verdreht wird. Geht es doch hier in erster Linie nicht um ein Gefühl, das sich auf ein Gegenüber bezieht, sondern umgekehrt um ein Gefühl, mit dem die Welt einem zu begegnen habe, nämlich bedingungslos zugewandt. Das meint auch: losgelöst von Erkenntnis oder Ratio.

Und wer vorgibt, der Welt mit Liebe zu begegnen, macht sich frei von der Selbstverpflichtung zur Empathie, denn Nächstenliebe wird bei den Liebespostulaten ständig gemeint, aber nicht praktiziert. Zumindest nicht auf alle Menschengruppen bezogen.

Imageschaden für die Liebe

Die letzten Monate haben also einen schweren Imageschaden für die Liebe mit sich gebracht. Die einzige Chance, die wir haben, ist es nun, den Begriff zurückzuerobern, ihn einerseits nicht den „Querdenker:innen“ und Esoteriker:innen zu überlassen und andererseits diesen Begriff, der ohnehin schwerer beladen ist als ein Weihnachtsbaum bei den Trumps, von seinen Erwartungen, die er auslöst, zu befreien.

Denn solange die Liebe als Rechtfertigung für den Rückzug ins Egozentrische, Egoistische und kindlich Fordernde herhalten muss, wird es schwer, der Liebe ohne Skepsis zu begegnen. Und das wäre doch schade.

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