Montag, 28. August 2023

Nicht nur der Staat muss liefern

Frankfurter Rundschau hier 13.08.2023, Von: Markus Decker

Aufwachen und im Gegensatz zu diesen schlafenden Politikern wirklich etwas zum Guten verändern. Das ist die Deivse.

Demokratie hängt auch von der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger ab. Es wäre gut, wenn sie sich wieder mehr in Parteien engagieren und auch durch ihr eigenes Verhalten mehr zum Schutz des Klimas beitragen würden. Der Leitartikel.

Bei der Betrachtung von Politik hat in den vergangenen Jahren eine Vokabel Einzug gehalten, die verräterisch ist. Auch in Zeitungskommentaren heißt es dann gelegentlich, die Politik müsse „liefern“. Oder, bei Donald Trump entlehnt, sie müsse einen „Deal“ machen. Dabei entsteht das Bild eines Kunden, der eine Nummer wählt und sich, sagen wir von Lieferando, eine Pizza bringen lässt. Dass die Pizza kommt, ist aus Sicht des Kunden oder der Kundin selbstverständlich. Die Maximalerwartung lautet, dass sie schnell kommt und angemessen warm ist, überdies schmeckt und dass am Ende noch der Preis stimmt.

Nun ist sicher richtig, dass zuallererst Parlament und Regierung eine Leistung zu erbringen haben. Sie müssen gute Gesetze machen und müssen sie angemessen administrieren. Zugleich müssen sie bei der Lösung von Problemen die Folgen im Blick behalten.

Beim Gebäudeenergiegesetz war die Leistung gleich in dreifacher Hinsicht unzureichend. Das von den Grünen geführte Bundeswirtschaftsministerium hat das Gesetz schlecht vorbereitet. FDP und SPD haben einen polemischen Streit über das Gesetz geführt, statt ihn in sachliche Bahnen zu lenken. CDU und CSU haben sich Ängste zunutze gemacht, ohne mal der Frage nachzugehen, was sie selbst früher eigentlich getan haben, um den CO2-Ausstoß im Gebäudesektor zu senken. Bürgerinnen und Bürger haben alles Recht der Welt, sich über Politik dieser Art aufzuregen.

Allerdings hängt Demokratie, wenn sie gelingen soll, nicht zuletzt von der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger ab. Ein wenig müssen schon auch sie „liefern“. In Wahrheit sind seit Jahren aber immer weniger Menschen bereit, sich in politischen Parteien zu engagieren – obwohl Parteien die Demokratie tragen. Das erschwert ihre eigene Mitwirkung und die Auslese geeigneten Personals für herausgehobene Ämter.

Gleichzeitig häufen sich verbale und bisweilen physische Angriffe gegen Abgeordnete, Bürgermeister, Ministerpräsidentinnen oder die Kanzlerin oder den Kanzler. Diese Angriffe gehen nur von einer Minderheit aus, doch sie sind längst Alltag geworden. Die Urheber:innen profitieren von einer der größten Gefahren für die Demokratie überhaupt: die Gewöhnung an Extreme.

Generell geht das Gefühl der Selbstverantwortung verloren, etwa beim Klimaschutz. Gewiss muss die Regierung beim Gebäudeenergiegesetz auf den sozialen Ausgleich achten. Doch hängt Klimaschutz überdies vom individuellen Verhalten ab. Zu dieser Erkenntnis passt nicht, dass so viel geflogen wird wie seit langem nicht mehr. Zwar muss die Politik gute Rahmenbedingungen für eine Senkung des CO2-Ausstoßes setzen, weg von fossilen zu erneuerbaren Energien. Bis das gelingt, müssen Bürger:innen jedoch durch Verzicht helfen, wo sie können. Anders wird der Globus nicht zu retten sein. Stattdessen greift auch auf anderen Politikfeldern mehr und mehr eine Anspruchshaltung. Es dominiert nicht mehr das Bild des Staatsbürgers oder der Staatsbürgerin, sondern das von Konsumentinnen und Konsumenten. Das Produkt, das man konsumiert, heißt: Politik.

Dummerweise haben politische Entscheidungen zu dieser Entwicklung beigetragen. Während der Corona-Pandemie haben Exekutive und Legislative rückblickend betrachtet zu fürsorglich, man könnte auch sagen zu autoritär agiert. Sie hätten den Bürgerinnen und Bürgern mehr Freiraum lassen sollen. Das war damals schlecht zu erkennen. Die durch das Virus ausgelöste Wirtschaftskrise wurde durch Milliardensummen ebenso abgepuffert wie die Energiepreiskrise. Nun wundern sich alle, dass der Bundesfinanzminister das Geld wieder einsparen will. Dabei hat Christian Lindner schon recht: So wie bislang geht es nicht weiter.

Wir haben uns alle zu sehr daran gewöhnt, dass der „Lieferando-Staat“ das schon machen wird, weil er es ja machen muss. Das ist ein Irrtum.

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