Montag, 28. August 2023

Die Psychologie des betreuten Selbstbetrugs

 Klimakrise - Eine Kolumne von Christian Stöcker im Spiegel hier  27.08.2023

Die Mehrheit der Deutschen nimmt die Folgen des Klimawandels selbst längst bewusst wahr. Und doch gibt es weiterhin viel Abwiegelei, politisch wie medial – eine psychologisch begründete Strategie.

In dem vierten Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2007  steht folgender Satz, IPCC-typisch vorsichtig formuliert: »Es ist zu erwarten, dass veränderte Häufigkeit und Intensität von Extremwetterereignissen, zusammen mit einem Anstieg des Meeresspiegels, hauptsächlich nachteilige Auswirkungen auf natürliche und menschengemachte Systeme haben werden.«

Weiter unten führen die beteiligten Fachleute auf, was sie schon damals mit »sehr hohem« oder »hohem« Vertrauensniveau erwarteten, wenn die Temperaturen weiter steigen. Für Europa zum Beispiel: »Höhere Wahrscheinlichkeit für plötzliche Flutwellen im Inland«, »Rückgang der Gletscher«, »großflächiger Verlust von Spezies«, »hohe Temperaturen und Dürren«, »Gesundheitsrisiken durch Hitzewellen und häufigere Brände«.

Ich erspare Ihnen an dieser Stelle eine detaillierte Auflistung der Flutkatastrophen, Hitzewellen, Mega-Brände, Monsterstürme und Dürren, die sich allein diesen Sommer rund um den Globus  ereignet haben. Es sind zu viele. Die Luft ist an vielen Orten außergewöhnlich heiß, das Wasser ebenso. Und doch gibt es weiterhin Leute, die behaupten, das wäre alles ganz normal.

Alles schon mal dagewesen?

Die Position »das gab es doch früher schon«, hat es kürzlich wieder in Riesenlettern auf die Titelseite der »Bild«-Zeitung geschafft. »Extremsommer 2023… gab’s vor 50 Jahren schon« war da zu lesen. Die Titelseite über der Falz ist der Ort, mit dem »Bild« trotz rasant schwindender Druckauflagen immer noch sehr viele Leute erreicht. Sie fällt nun mal ins Auge, wenn man beim Bäcker auf die Brötchen oder an der Tankstelle auf die Rechnung wartet.

Das Jahr der Klima-Anomalien

Im Text zur Zeile erzählt dann ein sogenannter »Wetter-Experte« von dem Sommer 1972, in dem es auch einmal heftig gehagelt habe, und dem Sommer 1973, in dem der Juni und Juli ungewöhnlich kalt und nass, der August dann besonders sonnig gewesen seien.

Die Tatsache, dass es hierzulande früher schon einmal Wetterkapriolen gab, ist weder überraschend noch relevant für das heutige Geschehen. Seit 1973 hat die globale Durchschnittstemperatur massiv zugenommen,  Treibhausgase haben mit dafür gesorgt. Gleichzeitig nehmen Extremwetterereignisse messbar zu  und zwar eben nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Der Zusammenhang zwischen beiden Entwicklungen ist längst klar belegt  – und zwar von echten Wissenschaftlern.

Der »Bild« reichte für ihre vermeintlich beruhigende Titelschlagzeilen der Geschäftsführer eines privaten Online-Wetterdienstes, ohne nennenswerten Hintergrund in Sachen Klima-, oder Attributionsforschung. Von dieser Sorte Pseudoexperten mit entlastender Botschaft gibt es international viele  und auch in Deutschland  einige – etwa einen Betriebswirt, der behauptet, Rinderhaltung verursache keine Treibhausgase. Kognitionswissenschaftler haben deswegen einen PLURV  genannten Baukasten entwickelt, der helfen soll, Desinformation und Propaganda in Bezug auf die Klimakrise zu erkennen. Pseudoexperten (Pseudoexperten, Logikfehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei, Verschwörungsmythen) ist dabei das erstgenannte Erkennungsmerkmal.

Eine Aussage wie »so einen Sommer gab es vor 50 Jahren schon« reicht leider oft, damit Menschen sich nicht mehr mit dem unangenehmen Gedanken an die sich verschärfende Lage beschäftigen.

Man glaubt nur, was man glauben möchte

Die psychologische Erklärung für diese Methode ist einfach ausgedrückt: Man glaubt nur, was man glauben möchte. Forscherinnen und Forscher sprechen davon, dass dissonante Information abgewertet und konsonante Information aufgewertet wird.

Dass die Menschheit gerade dabei ist, mit ihrer Lebensweise die menschlichen Lebensgrundlagen zu vernichten, erzeugt unangenehme Emotionen: Schuldgefühle, Ängste, Trauer über die verspielte Zukunft, das zwangsläufige Leiden und Sterben. Kognitive Missklänge also.

Da wirkt eine Pseudo-Information, die nahelegt, alles wäre gar nicht so schlimm, unter Umständen entlastend. Ein verwandter Begriff: der Bestätigungsfehler, auf Englisch »Confirmation Bias« . Menschen trennen sich sehr ungern von Überzeugungen, deshalb bevorzugen sie Informationen, die sie bestätigen. Und wir verweigern uns Informationen, die ihnen widersprechen.

Überall in freier Wildbahn zu beobachten

Beides kann man derzeit überall beobachten. Nicht nur bei »Bild« und »Welt«, deren Verlagshaus zu maßgeblichen Teilen Fossilinvestoren gehört. Der Parteivorsitzende der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich hat in einem Fernsehinterview kürzlich behauptet , dass »der Weltklimarat selber sagt, dass sie keine wissenschaftlich fundierten Aussagen dazu machen können, welche Wetterentwicklungen aus der Erderwärmung hervorgehen«. Das ist nachweislich falsch, siehe die eingangs zitierten, 16 Jahre alten Passagen.

Oft nehmen die verzweifelten Versuche zur Dissonanzreduktion aggressive Züge an. Bei Twitter/X kann man das unter jeder Wortmeldung von echten Klimaforscherinnen oder Meteorologen beobachten. Etwa als ARD-Wettermann Karsten Schwanke dort diese Woche darauf hinwies , dass die Lufttemperaturen in Teilen Frankreichs teils deutlich über vierzig Grad Celsius lagen.

»Religionsersatz«?

Ein paar typische Reaktionen: »In Südfrankreich war es schon immer heiß im Sommer«, »Ist doch gut so!«, »Ja Wetter halt«, »Angst- und Panikmache«, »Wer’s glaubt, wird selig«, »Der Glaube an den menschengemachten Klimawandel als Religionsersatz?«.

Als die Klimaforscherin Friederike Otto  auf eine Studie des World Weather Attribution Network  hinwies, einer Vereinigung von Fachleuten, der zufolge die Klimakrise die Wahrscheinlichkeit der gigantischen Waldbrände in Kanada mehr als verdoppelt hat, geschah das gleiche: »Ökogeschwätz«, »unbewiesene Behauptungen«, »albern«, »Schwachsinn«, »Lügner!«, »es geht nur um die Angst vor dem Klimawandel«, »das ist einfach falsch«.

Einige der Account-Inhaber, die sich an solchen oft konzertiert wirkenden Aktionen beteiligen, haben einen von Elon Musks blauen Häkchen für acht Dollar pro Monat erworben, um ihre Reichweite zu erhöhen. Es wird investiert, um Leute, die sich den Fakten weiterhin verweigern, mit vermeintlich entlastenden Argumenten und Gleichgesinnten zu versorgen.

Organisierte Klimawandelleugner und ihre milliardenschweren Finanziers spielen schon seit Jahrzehnten  auf der Klaviatur unserer kognitiven Verzerrungen. In Deutschland bespielen Organisationen wie der Springer-Verlag damit allerdings einen Nischenmarkt: Schon 2022 gaben zwischen 80 und 85 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Studie  im Auftrag des Bundesumweltamtes an, klimawandelbedingte Veränderungen wie Trockenheit, Sturzfluten und Hitze seien bereits »spürbar«.

Gleichzeitig fanden nur 57 Prozent, Klima- und Umweltschutz seien ein »sehr wichtiges Thema« – acht Prozentpunkte weniger als zwei Jahre zuvor. Wir sehen die Ergebnisse der Abwiegelstrategie also auch hierzulande.

Dem Expertenrat für Klimafragen zufolge wird Deutschland seine eigenen Klimaziele mit den bisher beschlossenen Maßnahmen verfehlen, was vor allem dem Verkehrsministerium und dem aufgeweichten Gebäudeenergiegesetz zu verdanken ist. Gleichzeitig lügt sich die Regierung selbst in die Tasche.

Dissonanzreduktion gibt es eben auf allen Ebenen. 

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