Montag, 28. August 2023

Bevor der Teller leer ist

Nicht nur die Landwirtschaft, auch der Wald ist existentiell für uns. Insbesondere wenn es um das Wasser geht.
Bei der Grafik links steht der Wald im Vordergrund, im Text die Landwirtschaft.

hier in der Frankfurter Rundschau 27.08.2023, Von: Maren Urner

Die Landwirte sorgen sich wegen des Klimawandels um die Ernte.

Ich reibe mir die Augen: „Deutschland ist kollektiv ,auf der Flucht vor der Wirklichkeit‘.“ Steht das da wirklich? Hat er das wirklich geschrieben? Ja! Die Kolumne.

Meine Verwunderung ist nicht inhaltlich begründet, sondern ergibt sich mit Blick auf den Urheber des Textes, aus dem dieser Satz (im nebenstehenden Vorspann) stammt. Es ist kein links-grünes Pamphlet, kein aktivistischer Aufruf zur Demo und auch kein philosophisch angehauchter Aufsatz.

Es ist ein Beitrag des Generalsekretärs des Deutschen Bauernverbandes Bernhard Krüsken, der sich angesichts der aktuellen Erntesituation zu Wort meldet. Der Titel: „Nicht über das Wetter reden, sondern über das Klima“. Sein Argument: Das Thema Klima sei existentiell und es seien die Landwirt:innen, die mit den drastischen Veränderungen (aufgrund des Klimawandels) umgehen und konkrete Lösungen für ihre Betriebe finden müssten.

Sein Kollege Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbandes, nennt die aktuelle Ernte gar eine „echte Zitterpartie“ und bringt die Herausforderung auf den Punkt: „Der diesjährige Witterungsverlauf zeigt aufs Neue die deutlich spürbaren Auswirkungen des Klimawandels.“ Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen alles dafür tun, um zukünftig unsere Erträge und die Ernährung sichern zu können.“

Während ich all das lese und höre, ploppt in meinem Gehirn die wunderbar simple Aussage eines US-Bauernverbands auf, die ich so gern zitiere: „Trotz all unserer Errungenschaften, verdanken wir unsere Existenz 15 Zentimetern Mutterboden und der Tatsache, dass es regnet.“

Eigentlich ist damit alles gesagt. Denn wir können uns unsere Ernährung – unsere Lebensmittel – nicht nehmen lassen. Klar, können wir noch ein wenig darüber streiten, ob wir noch einen Winter mehr oder weniger Kunstschnee auf grüne Berghänge pusten wollen. Bis es einfach nicht mehr geht.

Klar, können wir noch ein wenig länger darüber debattieren, ob 160 auf der Autobahn und Billigflüge zu unserem Recht auf Freiheit gehören. Bis es einfach nicht mehr geht. Bis die „Flucht vor der Wirklichkeit“ auf unserem Teller ankommt.

Das „bis es einfach nicht mehr geht“ kennen wir ziemlich genau. Die Zahlen, Daten und Fakten zum globalen Klimanotfall und den planetaren Grenzen, die menschliches Leben erlauben, liegen alle vor. Wir schieben sie nur gern beiseite. Das geht so lange, bis es eben nicht mehr geht, weil Klimanotfall und Alltag miteinander kollidieren.

Wenn die Flieger nicht mehr abheben können, die Urlaubsorte brennen oder überfluten, werden wir kurzzeitig wachgerüttelt. Um uns dann schnell wieder im E-Auto der Normalitätssimulation hinzugeben. Doch während Urlaub und Fernreisen Luxusfragen sind, können wir uns eins nicht nehmen lassen. Denn ohne Lebensmittel geht es nicht.

Wie schwer angesichts der globalen Herausforderung und damit einhergehender mentaler Überforderung der Fokus auf Lösungen ist, zeigt das Fazit am Ende des Beitrags von Bernhard Krüsken: „Am Ende müssen es also doch wieder die Bäuerinnen und Bauern richten …“

Das befeuert die erneute Einteilung in Opfer und Täter. Genau hier liegt aber die Chance vergraben. Wir können uns gemeinsam fragen: Was kann ich dazu beitragen, dass wir in Zukunft satt werden? Als Politiker:in kann ich Rahmenbedingungen setzen, damit Mutterboden und ein erntefreundliches Klima langfristig erhalten bleiben. Als Bäuer:in kann ich auf Agrarformen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft bauen. Als Verbraucher:in kann ich entscheiden, was auf meinem Teller landet und wie ich darüber spreche.

Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen