Mittwoch, 1. Mai 2024

Vermännlichung der Politik

 Spiegel hier  14.09.2023 erschienen Eine Kolumne von Sabine Rennefanz

Ausgequetscht wie eine Zitrone

Durch die Vielzahl von Krisen ist die deutsche Politik immer männlicher geworden: inhaltlich, personell, symbolisch. Frauen und weiblich besetzte Themen dringen kaum noch durch.

Es gab mal eine Zeit, da schien es, als ob Politik und womöglich sogar die Politikberichterstattung weiblicher werden würde. Nach der Bundestagswahl 2017 war das zum Beispiel so. In der Berliner Runde im Fernsehen saßen fast so viele Frauen wie Männer, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Linkenchefin Katja Kipping, die Grüne Katrin Göring-Eckardt. Auch in den anderen wichtigen politischen Talkshows saßen ständig Frauen, gaben Interviews, erklärten die Welt: Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Sahra Wagenknecht von der Linken, AfD-Chefin Frauke Petry. Sechs Jahre ist das her.

Zur Autorin

Sabine Rennefanz, Jahrgang 1974, betrachtet in ihrer Kolumne »Neue Heimatkunde« die deutsche Politik und Gesellschaft nicht nur, aber auch aus der Perspektive ihrer ostdeutschen Herkunft. Sie ist Politikwissenschaftlerin, war Redakteurin bei der »Berliner Zeitung« und wurde 2012 mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, aktuell erschienen ist ihr Roman »Kosakenberg« (Aufbau Verlag).

Die Politik ist seitdem viel männlicher geworden, es hat eine Testosteronisierung stattgefunden, personell, inhaltlich, symbolisch. Der Bundestag war schon vor der Krise eine »Mannosphäre« (Torsten Körner), rund siebzig Prozent der Abgeordneten sind Männer. Die Parität zwischen Frauen und Männern im Bundeskabinett, auf die der frisch gekürte Kanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren noch so energisch drang, ist weg, seitdem die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) durch ihren Parteifreund Boris Pistorius ersetzt wurde. Das Bild von der Ampel ist ein Bild der schwarzen Anzüge: Olaf Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck. Sie marschieren für die Kameras vor dem Schloss Meseberg auf oder stecken die Köpfe im Bundestag zusammen. In der Opposition, vor allem bei der Union, sieht es nicht viel besser aus. Merz, Linnemann, Söder, Wüst, Günther, so heißen die prägenden Köpfe. Männer, Männer, Männer. Es ist, als habe es eine Kanzlerin nie gegeben.


Der Bundestag war schon vor der Krise eine »Mannosphäre«,
rund siebzig Prozent der Abgeordneten sind Männer.


Auch inhaltlich spielen die Themen, die dezidiert Frauen betreffen, viel weniger eine Rolle als zu Beginn dieser vermeintlichen »Fortschrittskoalition« proklamiert. Der Satz im Koalitionsvertrag, dass bis 2030 Gleichstellung zwischen Männern und Frauen erreicht werden soll, war ja von Anfang an ein Gimmick, aber dass jegliche Ambition so schnell fallen gelassen wurde, überrascht dann doch. Ja, es gab viele unvorhersehbare Ereignisse, Krieg, die Ankunft von Millionen von Flüchtlingen, die Energiekrise. Nun soll nur noch in den Bereich investiert werden, der klassischerweise männlich gelesen wird: die Verteidigung, die Bundeswehr. Alle anderen Ressorts müssen sparen. Die groß angekündigte Kindergrundsicherung: von einem kinderlosen Mann (Finanzminister Christian Lindner) auf ein Feigenblatt geschrumpft. Die geplante Familienstartzeit nach der Geburt: verschoben. Erhöhung der Elterngeldmonate: verschoben. Stattdessen wird das Elterngeld gekürzt, zunächst nur für Wohlhabende, was aber vor allem die Mütter treffen wird, die eher nicht der Großverdiener-Part in einem Paarhaushalt sind.

Sabine Rennefanz

Frauen und Kinder zuletzt: Wie Krisen gesellschaftliche Gerechtigkeit herausfordern

Verlag: Ch. Links


Der Ausbau der Bildung – also Kitas, Schulen, Horte – keine erkennbare Priorität. Und das, obwohl Studien im Wochenrhythmus belegen, dass Deutschland im internationalen Vergleich immer stärker hinterherhinkt, bei den Leistungen, bei der Chancengleichheit, bei der Digitalisierung. 

Eine Generation: fallengelassen. 1,7 Millionen Jugendliche haben laut OECD keinen berufsbildenden Abschluss . Wie kann man das hinnehmen, wenn man gleichzeitig aus Brasilien oder von den Philippinen die Fachkräfte abwerben muss? 

So ein großes Land wie Deutschland wird nicht funktionieren, wenn es nur noch eine kleine, feine, gebildete Elite gibt, die ihre Kinder auf Privatschulen oder auf den guten staatlichen Schulen sicher weiß. Warum betrifft das vor allem Frauen? Weil Frauen zu siebzig Prozent das Personal in Schulen und Ganztagsbetreuung stellen, als Lehrerinnen, als Erzieherinnen, in den Kitas ist der Prozentsatz noch höher.

Auch sonst trägt die Regierung typisch männliche Scheuklappen: Man sorgt sich um Deutschland als Industriestandort, vor allem der Autoindustrie. Als habe nicht die deutsche Autoindustrie jahrelang die Entwicklung von Elektroautos verschlafen oder sogar noch versucht, die schädlichen Verbrenner auf betrügerische Weise weniger schädlich erscheinen zu lassen.
Wie ist es da eigentlich mit der Eigenverantwortung? Es wirkt, als gebe es keine anderen Wirtschaftsbereiche, wie Dienstleistung, Gesundheit, Pflege, also die Bereiche, die das Funktionieren einer Gesellschaft sicherstellen.

Ein anderer Grund für die Vermännlichung der Politik hat mit der zunehmenden Brutalität des Berufs zu tun, das ist vielleicht nicht ganz neu, wird aber dringlicher. Ein neuer Film von Sabine Michel illustriert das sehr gut. »Frauen in Landschaften« heißt ihr außergewöhnliches Werk, es läuft ab dem 14. September im Kino. Die Idee dazu kam Michel 2017, nach der Bundestagswahl. 

Die Bilder von den omnipräsenten Politikerinnen gingen ihr nicht aus dem Kopf, sagt sie, sie spürte, dass sich womöglich etwas verändert, dass Frauen eine größere, gleichberechtigte Rolle spielen könnten. Vielleicht die Erbinnen Merkels, Frauen, die von der ersten Kanzlerin geprägt wurden.

Dokumentation »Frauen in Landschaften«  hier

Drei Jahre lang begleitete sie vier Politikerinnen beim Wahlkampf, zu Hause und im Parteibüro, die einstige Hoffnungsträgerin der SPD, Manuela Schwesig, die CDU-Politikerin Yvonne Magwas, die immerhin während der Dreharbeiten zur Bundestagsvizepräsidentin aufstieg, die Linke Anke Domscheit-Berg und die ehemalige AfD-Politikerin Frauke Petry. Alle sind in der DDR geboren, alle sind Mütter, aber die Geschichte, die Michel erzählt, ist universell, sie handelt vom Überleben von Frauen in der Politik, von der Unerbittlichkeit, der Härte, der Dauerbeobachtung, ohne dass die Protagonistinnen zu Heldinnen verklärt werden. Domscheit-Berg berichtet vom Burn-out in ihrer ersten Legislaturperiode und wie sie mit sich rang, ob sie noch mal antreten soll: »Ich habe überlegt, schaff ich das noch? Will ich mich ausquetschen lassen wie eine Zitrone?« Der Bundestag funktioniere wie eine Alterungsmaschine: Ein Jahr seien wie sieben normale Lebensjahre.

Man versteht, wie viel Härte man als Politikerin braucht, auch gegen sich selbst.
Die CDU-Frau Magwas erzählt, wie sie während der Pandemie eine Sitzung digital leitete, im Nebenzimmer beaufsichtigte die Oma das kranke, drei Jahre alte Kind. Der Sohn wurde plötzlich bewusstlos, Magwas musste ihn wiederbeleben, danach ging es mit der Sitzung weiter. Der einzige Moment während der Pandemie, in dem sie Ruhe hatte, wären die zehn Minuten im Strahlenraum während ihrer Krebstherapie gewesen, berichtet Schwesig in einer Szene. Die Politikerinnen sprechen auch darüber, dass an Frauen andere Maßstäbe angelegt werden. Domscheit-Berg sagt: »Frauen verzeiht man Fehler seltener. Und Frauen verzeihen sich auch weniger.« Einen Kontrapunkt bietet die Frauke Petry, die nach ihrem Abschied aus der Politik in eine libertäre Richtung gedriftet zu sein scheint, sie lehnt die Quote und Gleichstellungspolitik vehement ab. Frauen und Männer seien biologisch anders, viele Frauen wollten nicht wie ihre Männer arbeiten.

Von einer Benachteiligung als Frau will Petry nichts wissen. Dass es ihr nicht gelungen sei, den Rechtsruck der AfD zu verhindern, kreidet sie sich selbst an. Sie bedaure, was aus der AfD geworden sei. »Ich konnte mich nicht mehr durchsetzen, das muss ich anerkennen«, sagt sie.

Wenn man »Frauen in Landschaften« gesehen hat, wundert man sich nicht, warum es so wenige Frauen in die Politik zieht, auf allen Ebenen, zumal es Alternativen gibt. Das ist kein rein deutsches Phänomen. Jacinda Ardern aus Neuseeland stieg vor einigen Monaten aus. Diese Woche kam die Nachricht, dass Sanna Marin, frühere finnische Ministerpräsidentin, zu Tony Blairs neuem Thinktank geht. Adieu, Ladies. 

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