Samstag, 6. April 2024

Verseuchtes Perrier und Vittel: Nestlé hat in Frankreich ein massives Wasserproblem

Vermutlich ist das nicht die letzte Meldung hierzu.
"die traditionellen Mineralwasservorkommen sind kontaminiert durch die Industrie, die Landwirtschaft und vom Abwasser der Siedlungen, das die Kläranlagen nur ungenügend reinigen." heißt es im Artikel Durch den Wasser Schwund und die Klimakrise wird das Grundwasser sicher nicht besser werden.

hier  Neue Zürcher Zeitung  von Simon Hehli, Paris •4.4.23

Bakterien, Pestizide, Chemikalien, die möglicherweise krebserregend sind: Was Kontrolleure in den Mineralwasserquellen von Nestlé in Frankreich gefunden haben, ist alles andere als appetitlich. Betroffen sind sowohl die Produktionsstätte des weltberühmten und auch in der Schweiz häufig verkauften Perrier-Wassers in der Nähe von Nîmes in der Provence als auch jene von Vittel oder Hépar in den Vogesen.

Einen entsprechenden Bericht, der im Auftrag des nationalen Instituts für Lebensmittelsicherheit (Anses) erstellt und im Oktober der französischen Regierung überreicht wurde, haben am Donnerstag «Le Monde» und France Info publik gemacht. Die Experten halten im Bericht fest, sie hätten Unregelmässigkeiten entdeckt, die daran zweifeln liessen, dass die gesundheitliche Qualität des Endprodukts – also des Mineralwassers – garantiert werden könne.

Die Kontrolleure stellten eine erhöhte Konzentration von aus Fäkalien stammenden Kolibakterien fest, die Durchfall auslösen können. Dies, obwohl die Gesetze vorsehen, dass im Mineralwasser weder vor noch nach der Abfüllung in Flaschen solche Bakterien vorhanden sein dürfen.

Ewigkeitschemikalien im Wasser

Zudem gab es im Wasser Rückstände von Pflanzenschutzmitteln und von per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Das sind gesundheitsschädigende Substanzen, die beispielsweise in der Textilindustrie oder für Pfannenbeschichtungen verwendet und die auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet werden, weil der Abbauprozess in der Umwelt sehr lange dauert.

Die Untersuchung ausgelöst hatten die Gesundheitsbehörden der beiden Regionen, in denen die Nestlé-Produktionsstätten stehen. Es hatte schon früher Hinweise auf Verschmutzungen gegeben. Und darauf, dass der Konzern illegale Methoden anwendet, um das Wasser aufzubereiten, etwa Behandlungen mit Ultraviolettstrahlung oder Aktivkohlefiltern.

Nestlé räumte diese Praktiken im Januar ein, rechtfertigte sich aber, es sei darum gegangen, die Lebensmittelsicherheit aufrechtzuerhalten. Nötig geworden sei dies durch «Veränderungen der Umwelt um die Quellen» – sprich die traditionellen Mineralwasservorkommen sind kontaminiert durch die Industrie, die Landwirtschaft und vom Abwasser der Siedlungen, das die Kläranlagen nur ungenügend reinigen.

Kein Mineralwasser mehr?

Die Experten verlangen im nun publik gewordenen Bericht, dass die Behörden die Aufsicht über die Nestlé-Fabriken verschärfen, zumal es auch an Parametern fehle, die die Überwachung einer viralen Kontamination des Wassers ermögliche. Denn die vom Hersteller verwendeten Mikrofilter würden nichts nützen gegen die Verbreitung von Viren. Wozu eine mangelnde Aufbereitung führen könne, habe sich 2016 in Spanien gezeigt: Damals verursachten Noroviren in Wasserspendern einen Ausbruch von Gastroenteritis bei 4000 Personen.

Vor allem aber halten die Autoren fest, aufgrund der Unregelmässigkeiten dürfe an den verseuchten Standorten kein Mineralwasser mehr abgefüllt werden. Dabei geht es vor allem um das begehrte Etikett «natürliches Mineralwasser», das sich gut vermarkten lässt. Solches Mineralwasser muss frei sein von menschlichen Spuren und darf nicht chemisch behandelt werden. Für Nestlé wäre es ein Desaster, wenn seine prominenten Marken nur noch als einfaches Tafelwasser verkauft werden dürften. Bis anhin gibt es allerdings von Behördenseite keine Hinweise dafür, dass dieser Schritt unmittelbar droht.

Ingrid Kragl von der NGO Foodwatch kritisiert das Schweizer Unternehmen scharf. Dass die Konsumentinnen und Konsumenten von Nestlé keinerlei Informationen über das verseuchte Wasser bekommen hätten, sei gravierend, sagte sie gegenüber France Info. Und weist darauf hin, dass die europäische Wasserrichtlinie und die französischen Gesetze klar seien: Wenn Wasser kontaminiert sei, müssten die Abfüllung und der Verkauf sofort gestoppt werden.

Nestlé sagt: alles okay

Auch hätten die betroffenen Flaschen zurückgerufen werden müssen. Es sei zudem ungewiss, ob Nestlé seine «betrügerischen» Produkte weiterhin vertreibe, sagt Kragl. «Ist die Verschmutzung einfach verschwunden und, falls ja, wie?», fragt sie.

Gegenüber den französischen Medien erklärte Nestlé, die Qualität seiner Wassersorten entspreche den gesetzlichen Vorgaben – auch den strikten für natürliches Mineralwasser. So gebe es keinen Grund für eine Rückstufung. Ausserdem würden die Produktionsstätten keine unerlaubten Aufbereitungsmethoden mehr anwenden.

Ob das reicht, um das Vertrauen der Konsumenten nicht zu verlieren, wird sich zeigen. Die «Perrier-Krise» von 1990 sollte eine Warnung sein. Damals wies die US-Gesundheitsbehörde Benzol-Rückstände in den grünen Flaschen nach. Das Management versuchte die Krise zuerst auszusitzen, aber es stellte sich heraus, dass auch die Lieferungen in andere Länder betroffen waren. Und dass die Quelle bereits sechs Monate kontaminiert war.

Der weltweite Rückruf brachte dem Unternehmen, das damals noch nicht zu Nestlé gehörte, einen finanziellen Verlust von 200 Millionen Francs (damals rund 50 Millionen Franken) und einen Reputationsschaden ein. Der Wirtschaftsprofessor Gerald C. Meyers schrieb damals in der «Los Angeles Times» von einem Paradebeispiel schlechten Krisenmanagements.

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