Samstag, 6. April 2024

Mehrheit will Klimaschutz – wieso folgen keine Taten?

Standard hier  5. April 2024,


Neue Daten zeigen: Eine unschlagbare Mehrheit macht sich Sorgen wegen der Erderwärmung und fordert mehr Maßnahmen. Warum trotzdem zu wenig passiert

Der Wunsch nach mehr Klimaschutz beschäftigt breite Teile der Bevölkerung. Einige sehen sich gezwungen, dafür auf die Straße zu gehen.

Der Wunsch nach Klimaschutz ist kein Nischenthema aus der Öko-Bubble. Mehr Menschen als bislang vermutet sind deshalb besorgt. Das fand eine kürzlich publizierte Studie heraus. Dazu wurden 59.000 Teilnehmende aus 63 Ländern befragt – darunter auch aus Österreich. Das Ergebnis: Global gesehen empfinden 86 Prozent die Erderwärmung als große gesellschaftliche Bedrohung. In Österreich sind es 82 Prozent der Befragten.

Die Studie kam zu einem noch überraschenderen Ergebnis: Weltweit geben 72 Prozent an, Klimamaßnahmen wie das Besteuern fossiler Energieträger oder den Schutz von Wäldern zu unterstützen. In Österreich sind es 68 Prozent. Das scheint angesichts der jetzigen Klimaschutzmaßnahmen fast paradox. Schließlich wird in Österreich seit 2020 um ein Klimaschutzgesetz gerungen. Zwar sind die Emissionen in Österreich in den vergangenen zwei Jahren gesunken – doch reichen die bestehenden Maßnahmen nicht, um die Reduktionsziele der EU zu erreichen. Vorgesehen ist, hierzulande die Emissionen von 2005 bis 2030 um 48 Prozent zu senken. Auch international klafft eine große Lücke zwischen den konformen Zielsetzungen von zwei Grad Erwärmung und einer auf drei Grad zusteuernden Klimapolitik. Verpufft der Wunsch zu handeln an der politischen Realität?

"Mehrheit weiß, was zu tun ist"

Umweltpsychologin Isabella Uhl-Hädicke von der Universität Salzburg ist wenig überrascht von dieser Ambivalenz. "Die Mehrheit weiß, was zu tun ist", erklärt sie. Problembewusstsein führe aber nicht automatisch zum Handeln. Viele orientieren sich bei ihrem Verhalten an ihren Mitmenschen. Anschaulich formuliert: Fliegt unsere Nachbarin dreimal im Jahr in die Karibik, haben wir auch kein schlechtes Gewissen, ein großes Auto zu fahren – und umgekehrt. Ein Teufelskreis.

Dabei sind laut Uhl-Hädicke soziale Normen bedeutsam – unsere Vorstellung von "normal": Auto und Haus besitzen, und Fast Fashion tragen. Ein Lebensstil, verbunden mit hohem Ressourcen- und Energieverbrauch, ist noch immer hip. Das zeigt sich in dem, was wir bewundern: Ein neuer großer SUV findet viel Anerkennung, genauso viel wie ein Kurzurlaub in die Malediven. Dieses Verständnis von Normalität behindert aber oft den konsequenten Klimaschutz, betont Reinhard Steurer, Klimapolitikprofessor an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Normen müssen aber auch nicht immer klimaschädlich sein. Die einst verpönten Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach sind in Kalifornien sogar zum Statussymbol geworden. Politische Maßnahmen können dazu beitragen, Wertvorstellungen zu verändern. Die politischen Entscheidungsträger handeln aber oft nach dem Kalkül, Wählerstimmen zu sammeln, meint Uhl-Hädicke. Klimamaßnahmen fliegen dann schnell von der Agenda, wenn es für sie keine Akzeptanz in der Bevölkerung gibt.

Laut Steurer fehlen oft Mehrheiten, wenn politische Instrumente in das Privatleben eingreifen. Aktionen wie der Ausbau der Öffi-Infrastruktur seien immer gern gesehen. Dagegen ist es schwieriger, Maßnahmen wie das Tempolimit 100 umzusetzen. Notwendige Verhaltensänderungen – wie weniger Fleisch zu essen – sind auch unbeliebt. Damit werden sie von Parteien wie der ÖVP gerne zum Kulturkampf stilisiert, findet Steurer.

Wunsch nach Klimaschutz ist unterschätzt

Viele unterschätzen allerdings, wie verbreitet der Wunsch ist, weg vom CO2 zu kommen. Laut einer internationalen Umfrage sind 69 Prozent der Teilnehmenden aus 125 Ländern dazu bereit, ein Prozent ihres Einkommens für Klimaschutz abzugeben. Nur 43 Prozent glauben aber, ihre Mitmenschen würden dasselbe tun. "Kognitive Dissonanz" nennt Uhl-Hädicke dieses Phänomen. Damit ist gemeint: Die große Mehrheit nimmt sich als gut handelnder Mensch wahr – schätzt aber ihr Gegenüber falsch ein. Daher verbreitet sich schnell der Gedanke, viele seien gegen Klimaschutz.

Allerdings sind solche Umfragen oft recht abstrakt, betont Steurer. Es mache einen Unterschied, Vorschlägen auf einem Fragebogen beizupflichten und konkreten Maßnahmen zuzustimmen. Anders formuliert: Mündet Klimaschutz in ein grundlegendes Ändern des Verhaltens, tendieren doch viele zu einem Nein. (Marie Kermer, 5.4.2024)

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