Donnerstag, 2. September 2021

Der Spiegel Klimabericht

Einen Monat noch bis zur Bundestagswahl. Deshalb verwundert es nicht, dass in dieser Woche erbittert gestritten wurde über die wichtigste Frage für die Zukunft dieses Landes: Brauchen wir alle ein Lastenfahrrad?

Warum ein Zuschuss beim Kauf von Lastenfahrrädern, wie ihn die Grünen vorschlagen, aus Klimaschutzsicht keine so schlechte Idee wäre, hat mein Kollege Felix Wadewitz aufgeschrieben. (und hier ein Artikel aus Businessinsider)
In der Stadt könnten Fahrten mit dem Lastenrad jede zweite Transportfahrt mit einem Auto oder Lieferwagen ersetzen. Zwar leben nicht alle Menschen in Deutschland in der Stadt –
77 Prozent aber schon. Deshalb ist es bei genauerer Betrachtung weniger absurd als vernünftig, darüber nachzudenken, wie sich der städtische Verkehr klimafreundlicher gestalten lässt.

Das sehen wohl aber nicht alle so. Der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) reagierte auf die Diskussion um die Lastenfahrrad-Förderung mit diesem Tweet über Wasserfahrräder: »Dieses Bike ist Beispiel dafür, wie Klimainnovation funktioniert. Glauben die Grünen wirklich, mit Verboten sogar im Sport (z. B. Kitesurfen), Singen & Lastenrad lösen wir die großen Klimafragen? – Sicher nicht«, schrieb er.

Ist das ein Witz?

Zumindest im ersten Teil darf man sogar Andreas Scheuer unterstellen, dass er das nicht ernst meint. Wasserfahrräder als innovative Klimakrisenlösung? 1953 hat ein bayerischer Ingenieur den »Wasserläufer« erfunden, für »fortschrittliche Fortbewegung«, und auch die zugegebenermaßen schnittigere Alternative des neuseeländischen Anbieters Manta5 ist viele Jahre alt. »Dieses Bike« ist keine Klimainnovation, sondern ein Gimmick für alle, denen Jet-Skis zu konventionell sind. Und es konnte sich bislang auf den Wasserstraßen der Republik nicht durchsetzen.

Der noch lustigere Witz ist Teil zwei des Tweets: »Wir als CDU/CSU setzen beim Klima auf Erfindergeist & Innovation«, schreibt der Verkehrsminister. Ein Scheuerscher Schenkelklopfer vom Allerfeinsten.

Sehen wir uns das Verkehrsressort an.

·         Die Kohlenstoffdioxid-Emissionen des Pkw-Verkehrs sind nach Informationen des Umweltbundesamtes zwischen 1995 und 2019 um 5,1 Prozent angestiegen.

·         Damit die Nahverkehrsunternehmen in Deutschland ihre Klimaziele erreichen, brauchen sie bis zum Jahr 2030 mehr als 48 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln. Das geht aus einem Gutachten der Unternehmensberatung Roland Berger für den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hervor, das dem SPIEGEL vorliegt. Eine Senkung des CO2-Ausstoßes ist vorgesehen, das vorhandene Bus- und Bahnangebot reicht jedoch bei Weitem nicht aus.

·         Im vergangenen Jahr sind die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich gesunken, um 11,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) behauptete, Grund seien die »zahlreichen Maßnahmen für Klimaschutz im Verkehr«. Das, erklären Forscherinnen und Forscher, ist schlicht falsch. Dass weniger Treibhausgase ausgestoßen wurden, liegt daran, dass 2020 viel weniger Menschen auf den Straßen unterwegs waren – wegen einer Pandemie. Experten bezeichnen den Rückgang als »Sondereffekt«, der nicht anhalten wird.

·         Die Denkfabrik Agora Energiewende rechnet für das Jahr 2021 mit steigenden Emissionen: auf bis zu 155 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Zehn Millionen Tonnen mehr, als es die Zielvorgabe für den Verkehrssektor vorsieht.

·         Das millionenschwere Maut-Debakel – Sie haben es mitbekommen. Wofür offenbar trotzdem genug Geld da ist: Die nicht erhobenen Steuern auf Dieseltreibstoff summieren sich auf sieben Milliarden Euro pro Jahr. Indirekte Subventionen fossiler Energieträger, wie Umweltverbände kritisieren.

·         Und: Auch für Scheuers Heimatbundesland Bayern fällt mehr ab. Wie der SPIEGEL berichtet, bekam Bayern mit 2,1 Milliarden Euro für Bundesfernstraßen mehr zugeteilt als alle anderen Länder. Nordrhein-Westfalen, das deutlich dichter besiedelt ist, musste sich mit knapp 1,7 Milliarden Euro begnügen. A bisserl was geht eben immer.

Es ist wegen der Vielzahl ministerialer Steilvorlagen natürlich einfach, über Andreas Scheuer zu lachen. Und der Fairness halber muss man festhalten: Er ist beileibe nicht der Einzige in der Union, dessen tatsächliches Engagement für Klimaschutz weiterhin verhalten wirkt.

Aber vielleicht meint Andreas Scheuer mittlerweile auch gar nichts mehr ernst.

Und falls doch? Dann wäre vermutlich allen am meisten geholfen, wenn Andreas Scheuer bei sich daheim, in der wirklich schönen Drei-Flüsse-Stadt Passau, auf drei verschiedenen Flüssen ausprobiert, wie alltagstauglich Wasserfahrräder sind. Und sein Büro in Berlin jemandem zur Verfügung stellt, die oder der die Klimaziele der Bundesregierung nicht als »Ökoplanwirtschaft« fürchtet. Sondern versteht, dass wir die Verkehrswende jetzt brauchen.

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