Donnerstag, 30. September 2021

"Mit dem Segen der Großindustrie"

Freitag.de   hier  von Wolfgang Michal

Sondierung:  Es ist absehbar, worauf sich Grüne und FDP verständigen können – und wo das latente Konfliktpotenzial liegt

Sehen wir es mal so: Grüne und FDP haben am Sonntag von den Jungwählern einen Regierungsauftrag erhalten. Laut Infratest dimap wählten 23 Prozent der unter 25-Jährigen die Grünen, 21 Prozent die FDP. Zusammen könnten sie eine jugendliche GroKo bilden, eine GroKo der Zukunft. Die Abstrafung der alten, die wegen ihrer Bräsigkeit kaum noch zu ertragen war, fiel so eindeutig aus, dass sich die Regierungsbildung nun gänzlich anders vollzieht als gewohnt. Nicht die Wahlgewinnerin lädt die potenziellen Koalitionspartner zu Gesprächen ein, diesmal läuft es umgekehrt: die „Kleinen“ sondieren vor, ob sie miteinander können und wen sie gegebenenfalls als Kanzler bevorzugen. Die „Kleinen“ sind nämlich im Verhältnis zu den „Großen“ gar nicht mehr so klein, weil die „Großen“ gar nicht mehr so groß sind. FDP und Grüne erzielten zusammen 26,3 Prozent, mehr als Union oder SPD. Das verschiebt die Gewichte und ändert die Rituale.

Schon im Wahlkampf hatten FDP und Grüne vorsorglich Fühlung aufgenommen und vereinbart, unmittelbar nach der Wahl miteinander zu reden, um nicht, wie im Herbst 2017, gegeneinander ausgespielt zu werden. Christian Lindners traumatische Erfahrung von damals ermöglicht jetzt Vorsondierungen zwischen jenen Parteien, die angeblich „inhaltlich am weitesten“ auseinanderliegen. Um was wird da „gerungen“, was wird am Ende der „lagerübergreifenden“ Gespräche herauskommen?

Für eine schnelle Einigung auf „gemeinsame Projekte“ spricht, dass wir es im Grunde mit zwei liberalen Parteien zu tun haben, mit einer linksliberalen (die Grünen) und einer wirtschafts- und nationalliberalen (die FDP). Die Geschichte beider Parteien ist eng miteinander verknüpft: Als die einst linksliberale FDP 1982 ihre berühmte Lambsdorff-Wende von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl vollzog, besetzten die gerade gegründeten Grünen die entstandene sozialliberale Lücke, indem sie Umweltschutz, Bürgerrechte, Liberalisierungen in der Gesellschaftspolitik, Gemeinwohlorientierung und all das verkörperten, was die sozialliberale FDP 1971 in ihr Freiburger Grundsatzprogramm geschrieben hatte, ab 1977 aber in der Versenkung verschwinden ließ (der Freitag 30/2021).

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