Samstag, 25. September 2021

Der Ravensburger Klimarat

 

Schwäbische Zeitung von LENA MÜSSIGMANN  

Ravensburg will bis 2040 klimaneutral werden – so wurde es festgelegt. Ein Klimarat soll die Umsetzung überprüfen und die Verwaltung auf diesem Weg beraten. Einer der Klimaräte ist Udo J. Becker, Inhaber der Professur für Verkehrsökologie an der Technischen Universität Dresden.....

Herr Becker, wie bewerten Sie den Ravensburger Klimakonsens und die festgelegten ersten Schritte, insbesondere mit Blick auf Ihr Fachgebiet Verkehr?

Da gibt es Bestnoten für alle Akteure, die an diesem Prozess beteiligt waren. Der Klimakonsens ist ambitioniert und vorbildlich.
(Anmerkung: Die formulierten Ziele sind ambitioniert, das sind sie seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch bei der Bundesregierung. Was jedoch sowohl in Berlin als auch in Ravensburg   weitgehend fehlt und daher unter Protest eingefordert werden muss, das ist eine Gesamtschau der konkreten Maßnahmen, welche getroffen werden, um diese Reduktion zu erreichen. Bei den Zielen kann jeder noch nicken, um sie anschließend gleich wieder zu vergessen. Für den Klimaschutz ist erst etwas gewonnen, wenn konkrete Maßnahmen benannt und zügig umgesetzt werden!)
Es gibt nur zwei Aber. Erstens: Beim Verkehr ist der Bund für die Vorgaben zuständig – etwa für Kaufprämien bei Autos, die Pendlerpauschale und das Dienstwagenprivileg – und die Bundesregierung  macht immer wieder zwei Schritte vorwärts und drei rückwärts. Zweitens: Die Verwaltung kann einiges bewegen, aber nur damit sind die Ziele nicht erreichbar.

Die Bürger einzubeziehen, ist daher das Wichtigste. Die Zeit drängt. Ich habe schon 1992 erste Studien zu nötigen Veränderungen im Mobilitätsbereich an die Bundesregierung geschickt. Seither haben wir das Thema 30 Jahre lang verpennt und nichts erreicht.

Wie kann man Bürger zu Veränderung motivieren?

Jeder hat seinen Alltag, der oft nur mit dem Auto zu bewältigen ist .Wenn jetzt einer sagt, wir müssen klimaneutral werden, dann denken die Leute: Ich komme nicht mehr zur Arbeit, nicht mehr zum Supermarkt an der Umgehungsstraße, ich kann nicht mehr ins Kino.

Sie sind dann nachvollziehbar erschrocken, verängstigt und werden sauer. Man muss ihnen garantieren: Ihr kommt an eure Ziele – Punkt. Das sichern wir euch zu. Aber wir müssen das mit weniger Verkehr hinbekommen. Und das kann sogar Vorteile für die Menschen haben.

Welche Vorteile sollen das denn sein?

Wenn wir weniger Auto fahren müssen, geben wir weniger Geld beim Tanken aus und können den Zweitwagen abschaffen. Individuelle Lösungen wie Fahrgemeinschaften haben Potenzial. Dann gibt es langfristig auch weniger Autos und damit mehr Platz und weniger Kranke wegen Lärm oder Abgase.

Sobald weniger Autos im Verkehr unterwegs sind, läuft außerdem alles schneller für die verbleibenden Autofahrer. Sobald die Leute solche Vorteile erkennen, werden sie mitziehen. Damit das klappt, muss natürlich der Bus häufiger fahren und zum Beispiel ein Laden in der Nähe eröffnen, in dem man zu Fuß einkaufen gehen kann und der Radverkehr gefördert werden.

In einem Vortrag, den man online einsehen kann, haben Sie genau diese Befürchtung thematisiert, dass irgendjemand den Spielverderber geben muss, der sagt: Der Verkehr muss reduziert werden! Und alle anderen entgegnen, dass das nicht geht, weil der Wohlstand davon abhängt und Leute das nicht mitmachen. Warum lehnen Sie diese Argumentation ab?

Dieses Entweder-Oder stimmt einfach nicht. Ökologie und Ökonomie sind dasselbe. Es ist immer eine gute Idee, Schäden zu verhindern. Denn wenn sie eintreten, sind die Kosten des Klimawandels unendlich, es besteht sogar die Gefahr, dass unser ganzes System kippt und keine Lebensbedingungen mehr für uns herrschen.

Man versucht ja schon etwas zu ändern, derzeit werden zum Beispiel E-Autos massiv gefördert. Verbessert das unsere CO2-Bilanz schon ausreichend, oder muss die Stadt auch noch eingreifen, etwa mit Tempolimits oder höheren Parkgebühren?

So lange wir nicht genug regenerativen Strom haben, sind Elektroautos nicht die Lösung. Wir Experten haben in Berlin immer wieder kritisiert, dass sich die Bundespolitik nur auf diese eine Option Elektromobilität festlegt und dann auch noch jede Menge Steuergeld ausschüttet, damit die Leute diese Autos kaufen.

Durch diese Förderung wird es noch voller auf den Straßen und die Abhängigkeiten vom Auto werden zementiert.

Das muss man jetzt einfangen. Die Gesamtmenge an Verkehr darf nicht steigen.
Eine Schlüsselmaßnahme ist: Autofahren muss unattraktiver werden, Mobilität aber einfacher. Die Stadt muss sich fragen: Wie schaffe ich es, dass der Bürger zur Arbeit oder zur Physiotherapie kommt, aber ohne dieses Ding. Wenn die Alternativen geschaffen sind, kann der Benzinpreis ruhig steigen und das Parken teurer werden. Ich habe kein tragfähiges Klimakonzept gesehen, wo das Parken billiger wird.

Am Ende wird es in Ravensburg auch darum gehen: Redet man nur über die Klimaziele oder erreicht man sie wirklich. Wie kann man das überhaupt feststellen?

Beim Verkehr geht das relativ leicht. Wenn ein Liter Benzin verbrannt wird, wissen wir, was das an CO2-Ausstoß bedeutet. Den Verbrauch der gemeldeten Fahrzeuge kann man grob schätzen, was meistens reicht........

Halten Sie es für realistisch, dass Ravensburg über alle Sektoren hinweg bis 2040 klimaneutral wird?

Das ist umsetzbar, wenn man schnell, unverzüglich und ambitioniert losmarschiert. Ich will Mut machen. Es geht aber auch um das Selbstverständnis von Politikern – da gibt es welche, die sagen: Das kann ich nicht beschließen, da werde ich ja abgewählt. Aber wenn man weiß, dass etwas falsch ist, muss man bei Gefahr des eigenen Abgewähltwerdens das Richtige tun.

Info

Professor Udo J. Becker ist verantwortlich für die jüngst verabschiedeten Dresdner Erklärung zur Verkehrswende, die unter www.divu.de/verkehrswende einsehbar ist.


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