unter den Mitteln, sich mit etwas
durchzusetzen, ist der Hungerstreik bestimmt eines der Brutalsten. Anfangs
quält der Hunger nur, später lähmt er, irgendwann kreist alles Denken nur noch
um das, was man nicht haben darf. Es braucht schon einen sehr starken Willen,
um seinen Willen mit einem Hungerstreik durchzusetzen.
Ende August ist eine Gruppe junger Leute am Reichstag in Berlin in den
Hungerstreik getreten. „Wir sind jung, aber wir sind bereit, unser Leben zu
riskieren“, steht in ihrer Erklärung. „Wir haben nur den einen Wunsch, dass das
Leben in Zukunft weitergeht.“ Die Hauptforderung ihres „Hungerstreiks der
letzten Generation“: ein Gespräch mit den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten
von Union, SPD und Grünen, „über den Mord an der jungen Generation“. Doch
dieses Gespräch wird es kaum geben.
Zum einen, weil ein Hungerstreik – auch einer für die gute Sache – immer etwas
Erpresserisches hat. Aber Politik macht sich ungern erpressbar, und auch das
aus guten Gründen. Zum anderen aber, weil sich die meisten der Kandidaten beim
Klimaschutz buchstäblich auf recht dünnem Eis bewegen. Sie alle haben
Programme, die randvoll mit Klima gespickt sind, allein bei der Union taucht
das Wort 91-mal auf, die SPD beschwört 16-mal die Klimaneutralität, die Grünen
verlangen 42-mal nach mehr Erneuerbaren. Doch die Eisberge der Forderungen sind
in den meisten Fällen umgeben von einem Schmelzwasser an Maßnahmen – schwer greifbar,
ständig im Fluss. Neues Wasser im Meer der Möglichkeiten.
In einem Wahlkampf, der mittlerweile stark überlagert ist von Personenfragen,
von kleinen oder großen Fehlern, von Sympathiewerten und Sonntagsfragen, fällt
diese Lücke inzwischen kaum noch auf. Nur deshalb kann eine Partei, die im
Frühsommer noch möglichst rasch den CO2-Preis (und damit die Spritpreise)
anheben wollte, nun nach einer „Spritpreis-Bremse“ verlangen, die jedes
Preissignal an der Zapfsäule zunichte machen würde. Die CSU kommt damit
anscheinend durch.
Was von den großen Worten der Parteien zu halten ist, dem ist dieser Tage das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie nachgegangen. Im
Auftrag der Stiftung Klimaneutralität hatten die Forscher untersucht, wie nahe
die Parteien mit ihren Vorschlägen den deutschen Klimazielen kommen, Ergebnis:
„Viel Schein, wenig Sein“, wie DIW-Klimaexpertin Claudia Kemfert
sagt. Und das deckt sich auch mit dem Schluss, zu dem meine Kollegin Marlene Weiß und
ich im SZ-Podcast gelangen: Der Klimaschutz hat nie eine so große
Rolle in Wahlprogrammen gespielt wie diesmal. Was aber daraus folgt, bleibt an
vielen Stellen seltsam unkonkret.
In der Analyse des DIW – untersucht hatte es die Programme von Union, SPD, FDP,
Linkspartei und Grünen – kommen einzig die Vorschläge der Grünen in die Nähe
der deutschen Klimaziele, die FDP dagegen ist weit abgeschlagen. Auch die
Regierungsparteien Union und SPD schneiden nicht gut ab. Aber die hätten ja
auch schon einige Jahre Zeit gehabt, die Dinge anders zu gestalten. Gleichwohl
werden auch sie sich an den hohen Zielen messen lassen müssen, die sie
postulieren. Und das Bundesverfassungsgericht haben alle künftigen Regierungen
im Nacken.
Ich kann junge Menschen verstehen, die da die Verzweiflung überkommt. Trotzdem
wünsche ich mir, dass die Hungernden am Reichstag ihren Streik nicht zum
Äußersten treiben. Ihr Ziel, dem Thema in diesem Wahlkampf wieder mehr
ernsthafte Aufmerksamkeit zu verschaffen, haben sie schon erreicht. Und
außerdem brauchen wir sie, ihren starken Willen und ihre Kraft noch: Es gibt
noch jede Menge zu gestalten. Nach der Wahl.
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Viele Grüße
Michael Bauchmüller
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