Dienstag, 28. September 2021

"Klimaschutz können wir uns tatsächlich leisten"

Zeit  /Fünf vor acht / Klimakrise  hier
Eine Kolumne von 

Der Schutz des Klimas mag an technischen, politischen oder gesellschaftlichen Gründen scheitern – finanziell ist er ein Selbstläufer. Und ohne ihn wird es sowieso teurer.

Vor ein paar Jahren habe ich ein Haus gebaut. Okay, Boomer – werden die Jüngeren jetzt sagen, aber die Geschichte geht noch weiter und sie hat etwas mit dem Wahlkampf zu tun. Also: Um das Haus zu bauen, musste ich Geld ausgeben. Man könnte also sagen: Ich bin durch den Hauskauf ärmer geworden, denn ich habe weniger Geld auf meinem Konto. Anderseits: Dafür habe ich ein Haus.
Dieses Haus ist zwar nicht besonders groß, aber trotzdem konnte ich es nicht bar bezahlen. Ich musste bei einer Bank einen Kredit aufnehmen. Friedrich Merz würde jetzt wahrscheinlich sagen: Ich habe über meine Verhältnisse gelebt. 

Friedrich Merz ist Wirtschaftsfachmann der Union und hat etwas gegen Schulden. Deshalb hält er es für eine gute Sache, dass es im Grundgesetz eine Schuldenbremse gibt.
Die Sache ist nun aber so: Wenn ich mein Haus heute verkaufen würde, dann bekäme ich dafür wahrscheinlich mehr Geld, als ich für den Kauf ausgegeben habe. Ich könnte also alle Schulden zurückbezahlen und hätte danach noch etwas übrig. Bin ich also nicht ärmer, sondern reicher geworden? Trotz der Schulden?

Ausgaben, die den Reichtum erhöhen

Damit wären wir beim Wahlkampf angelangt, denn auch der Staat baut. Wohnhäuser, Brücken, Straßen, Schienen, Internetleitungen, Schulen. Dafür muss er Geld ausgeben und manchmal auch Kredite aufnehmen. Doch wie im Fall meines Hauses gilt: Der Staat hat dann weniger Geld, dafür aber mehr Wohnhäuser, Brücken, Straßen, Schienen, Internetleitungen und Schulen.

Und wenn man darüber hinaus davon ausgeht, dass ein Land mit vielen Brücken, Schulen und Internetleitungen den wirtschaftlichen Wandel besser verkraftet als ein Land mit wenigen Brücken, Schulen und Internetleitungen, dann gilt für Deutschland, was für mich gilt: Die zusätzlichen Ausgaben erhöhen den Reichtum, sie verringern ihn nicht.

Das gilt umso mehr, wenn mit diesen Ausgaben der Klimaschutz vorangetrieben wird. Nehmen wir an, die nächste Bundesregierung nimmt zehn Milliarden Euro in die Hand, damit auf jedem deutschen Dach eine Solarzelle installiert wird. Kann man dann sagen, der Schutz des Klimas verursache Kosten in Höhe von zehn Milliarden Euro?

Bei einer solchen Betrachtung bliebe außen vor, dass zum Beispiel weniger Geld für Gas und Öl ausgegeben werden muss, wenn der Strom aus Sonnenenergie gewonnen wird. Eine neue Studie der Universität Oxford kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Umstellung der Energieversorgung unter dem Strich bis zum Jahr 2070 weltweit 14 Billionen Dollar an Energieausgaben eingespart werden können. Heizen, Autofahren oder einen Kühlschrank betreiben würde also billiger, nicht teurer.

Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass auch der Nicht-Schutz des Klimas Kosten verursacht. Das kann man zum Beispiel im Ahrtal beobachten, wo im Sommer die Regenmassen ganze Straßenzüge wegschwemmten und sich allein die Nothilfe der Bundesregierung für die Flutopfer auf 30 Milliarden Euro beläuft. Die Rückversicherungsgesellschaft Munich Re beziffert die seit 1980 angefallenen Schäden durch extreme Wetterereignisse auf 4.200 Milliarden Euro  das ist mehr als die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung Deutschlands. Nicht jeder Sturm und jede Überschwemmung ist auf den Klimawandel zurückzuführen, aber dass das Risiko solcher Katastrophen durch den Temperaturanstieg zunimmt, ist mittlerweile unumstritten.

Man müsste also von den Kosten des Klimaschutzes a) den Nutzen desselben und b) die Einsparungen durch die Vermeidung von Klimaschäden abziehen. Das ist eine sehr komplizierte und teilweise auch spekulative Angelegenheit, weil Entwicklungen in der Zukunft vorweggenommen und in heutigen Geldeinheiten ausgedrückt werden müssen. Die meisten vorliegenden Untersuchungen aber zeigen: Es ist billiger, das Klima zu schützen, als es nicht zu schützen.

Nicht jeder Einzelne profitiert

Aus der Tatsache, dass die Gesellschaft insgesamt vom Klimaschutz profitiert, folgt natürlich nicht, dass auch jeder Einzelne profitiert. Sowie die Globalisierung viele reicher, aber auch einige ärmer gemacht hat. Es ist zwar tröstlich, wenn in der Solarindustrie die Arbeitsplätze entstehen, die in der Kohleindustrie wegfallen – im Solarlabor sind jedoch andere Fertigkeiten gefragt als in der Zeche.

Es wäre aber falsch, aus diesem Grund unter Inkaufnahme hoher gesamtwirtschaftlicher Kosten an der Kohle festzuhalten. Nötig sind vielmehr Umschulungsmaßnahmen, Ausgleichszahlungen, Teilhabemöglichkeiten. Die Lösung von Verteilungsproblemen ist Aufgabe der Verteilungspolitik, nicht der Klimapolitik. Man würde ja auch nicht auf die Idee kommen, den Einsatz moderner Erntemaschinen zu verbieten, nur damit es in der Landwirtschaft wieder mehr Jobs gibt.

Der Schutz des Klimas mag an technischen, politischen oder gesellschaftlichen Gründen scheitern – finanziell betrachtet ist er ein Selbstläufer. Es gibt einen schönen Satz des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der den Sachverhalt auf den Punkt bringt: "Anything we can actually do, we can afford" – alles, was wir in der Lage sind zu tun, können wir uns auch leisten.

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