Freitag, 3. Mai 2024

Klimaklage: Was der Straßburger Richterspruch für Unternehmen bedeutet

hier Handelsblatt  Thomas Klindt  29.04.2024 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Klimaschutz ist eindeutig. Dennoch wiesen Gerichte zivilrechtliche Verfahren gegen Unternehmen bislang zurück.

Klimaschutz ist eine Menschenrechtsfrage. So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem viel beachteten Urteil gegen die Schweiz. Durch gesetzgeberische Untätigkeit habe die Schweiz insbesondere das Recht auf Privat- und Familienleben aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt, so das Urteil. Für Unternehmen bleiben die Auswirkungen des Urteils aber überschaubar.

Obschon das Urteil zunächst nur gegenüber der Schweiz rechtsverbindlich ist, wird es dennoch eine politische und rechtliche Signalwirkung entfalten. Angesichts der Verpflichtungen sämtlicher 46 Mitgliedstaaten des Europarats zur Einhaltung der EMRK wird dieses Urteil als richtungsweisender Präzedenzfall für weitere Klimaklagen dienen.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die entsprechenden Verfassungsgerichte aller Mitgliedstaaten in ihrer Judikatur oft auf die Entscheidungen des EGMR zurückgreifen.

Allenfalls Anreize
Während das Urteil zweifellos von symbolischer Bedeutung ist, wird es voraussichtlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf Deutschland haben. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2021 festgestellt, dass der Staat im Sinne einer intertemporalen Freiheitssicherung für den Klimaschutz verantwortlich ist und Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen ergreifen muss. Die Überarbeitung des deutschen Klimaschutzgesetzes erfolgte sodann in Übereinstimmung mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens.

Das Urteil des EGMR könnte daher allenfalls Anreize für den deutschen Gesetzgeber schaffen, seine Bemühungen zur Einhaltung der Klimaziele nochmals zu verstärken, falls die aktuellen Maßnahmen als unzureichend erachtet werden.

Eine Gruppe Schweizer Seniorinnen hat am Dienstag vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen Sieg errungen. Das Gericht rügte die unzureichende Schweizer Klimapolitik und stellte erstmals ein Menschenrecht auf Klimaschutz fest.
Die Auswirkungen für Unternehmen sind dagegen eher indirekt und nicht unmittelbar auf ihre geschäftlichen Tätigkeiten bezogen. Bisherige Bemühungen, ähnliche gerichtliche Entscheidungen in zivilrechtlichen Verfahren gegen Unternehmen zu nutzen, wurden jedenfalls von den Gerichten zurückgewiesen.

Hierbei spielen die Grundsätze der Gewaltenteilung eine entscheidende Rolle, indem sie die primäre Verantwortung für die Klimapolitik beim Gesetzgeber belassen und nicht bei einzelnen Unternehmen verorten.

Begrenzte Bindungswirkung
Auf dieser richtigen Linie liegt auch das Urteil des Straßburger Gerichtshofs: Es unterstreicht, dass zuvörderst der Staat für die Einhaltung klimapolitischer Ziele in der Verantwortung steht.

Diese Bestärkung der staatlichen Steuerungsaufgabe sollte Auswirkungen auf die Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen zeigen, die immer wieder über zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen versuchen, politische Ziele durchzusetzen. Denn das Urteil des EGMR senkt eben nicht die rechtlichen Hürden für das „Private Enforcement“, also für Klimaschutz-Klagen gegen privatwirtschaftliche Akteure.

Aufgrund der begrenzten Bindungswirkung des Urteils wäre es ohnehin optimistisch, anzunehmen, dass eine Rettung der Welt durch einen Gerichtsbeschluss möglich ist – Gerichte entscheiden immer über Einzelfälle. Die durch Gerichte angestoßenen Klimaschutzmaßnahmen eines Nationalstaats allein können daher im globalen Kampf gegen den Klimawandel wenig ausrichten.

Zudem können Klagen, je nach ihrer geografischen und personellen Verankerung, zu Verzerrungen führen, etwa durch gezieltes Suchen nach günstigen Gerichtsständen seitens der Kläger oder durch Verlagerung des Firmensitzes seitens der Beklagten. Ob das Urteil tatsächlich als „historischer Sieg“ für den Klimaschutz betrachtet werden kann, bleibt somit abzuwarten.

Professor Thomas Klindt ist Partner der Kanzlei Noerr und Autor bei der Fachzeitschrift „Betriebsberater“. Dieser Artikel stammt aus der Kooperation zwischen dem Handelsblatt und der Fachzeitschrift.

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