Dieser Leserbrief erschien in der Schwäbischen Zeitung und selbstverständlich wollen die Aktivisten die in den Raum gestellten Behauptungen und Deutungen von Hr. Graf nicht einfach stehen lassen.
„Eine Art Wanderzirkus“
Zum Artikel „Vom Stadtbaum in Ravensburg aufs Brandenburger Tor“ (SZ vom 24. August):Dass Deutschland, ja die ganze Welt, etwas zum Klimaschutz beitragen muss, ist ja jetzt wohl ausreichend bekannt und entsprechende Massnahmen wurden getroffen und werden Schritt für Schritt umgesetzt.
Trotzdem sprießen sogenannte Aktivisten wie Pilze aus dem Boden. Meist weiblich und meist sehr jung, aber zwischenzeitlich gibt es auch einige junge Männer. Warum es vermehrt junge Frauen sind, weiss ich nicht, aber das generelle jugendliche Alter scheint mir damit zusammenzuhängen, dass man ja in jungen Jahren in der Regel noch keinerlei finanzielle Verpflichtungen hat, denen man regelmässig nachzukommen hat.
Die Truppe scheint sich als eine Art „Wanderzirkus“ zu begreifen, die heute gegen Kiesabbau in Oberschwaben und morgen für die LBGT-Bewegung aktivistisch tätig ist.
Die Aktionen haben teils auch eine etwas pfadfinderhafte Anmutung. Da werden Baumhäuser gebaut (haben wir als Kinder wohl alle schon mit Begeisterung gemacht) oder jemand erwähnt voller Stolz seine Fähigkeiten, ungesichert irgendein Bauwerk zu erklimmen und dort dann aktivistisch tätig zu werden. Vielleicht könnte ja die eine oder der andere auch noch eine Karriere als besonders gute Sängerin oder Sänger starten, wer weiß?
Aber, wenn das wirklich alles ist, bin ich doch etwas enttäuscht. Es weht eine Brise „spätrömischer Dekadenz“ (aber nur eine leichte) durch Deutschland.
Gott sei Dank gibt es aber auch andere Beispiele von jungen Leuten, die sich in der Politik, in Vereinen und im sozialen Gemeinwesen aktiv einbringen, und so zu vernünftigen und umsetzbaren Lösungen beitragen.
Na ja, wir werden ja sehen, vielleicht landet diese neue „Berufsgruppe“ der Aktivisten ja auch noch im gesellschaftlichen Alltag und schaut dann auf ihre heutigen Aktionen mit einem kleinen Schmunzeln zurück.
Dr. Werner J. Graf, Bad Waldsee
Als Antwort auf diesen polemischen Leserbrief wurden mindestens diese 3 weiteren Leserbriefe geschrieben, die mir bekannt sind.
Prof. Wolfgang Ertel schrieb dazu:
zum Leserbrief "Eine Art Wanderzirkus" von Dr. Graf am 25.8.2021:
Offenbar hat Herr Graf, wie übrigens viele Mitbürger auch, den Ernst der Lage beim Klimawandel nicht verstanden, wenn er schreibt, "entsprechende Maßnahmen wurden getroffen (sollte wohl eher heißen beschlossen) und werden Schritt für Schritt umgesetzt". Wenn wir nicht sofort konsequent handeln rasen wir mit Volldampf in die Klimkatastrophe die uns das Leben zu Hölle machen wird. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Weil die Politik in den letzten 50 Jahren entweder nicht oder viel zu zaghaft gehandelt hat, läuft uns jetzt die Zeit davon. Es muss jetzt sofort mit aller Kraft umgesteuert werden. Und dieses Umsteuern schaffen wir auf dem klassischen demokratisch/bürokratischen Weg einfach nicht.
Da ist das Klettern auf Bäume ein durchaus probates Mittel um Öffentlichkeit zu schaffen und die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Es sind übrigens nicht nur junge Damen, die auf die Bäume steigen. Ich selbst als über sechzig jähriger Mann bin auch schon mehrfach erfolgreich auf Bäume gestiegen. Der Kommentar von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer dazu war: "Wenn ein Professor auf Bäume steigt, dann muss da was dran sein." Und wenn Herr Graf und andere Menschen mehr lernen wollen über die drohende Klimakatastrophe und was man dagegen tun kann, dann lade ich alle (kostenlos) ein zu meiner Vorlesung "Einführung in die Nachhaltigkeit", die am 5. Oktober um 17:45 Uhr im Raum K103 an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (Doggenriedstraße 38) startet.
der 2. Antwort-Leserbrief:
In Deutschland und der Welt ist es bekannt, dass was für die Klimagerechtigkeit getan werden muss!
Bekannt ja, aber leider werden nur „entsprechende Maßnahmen“ durchgesetzt, die wiederum für die Wirtschaft rentabel sind, siehe die E-Mobilitiät im SUV Wahn!
Wo bleibt z.B. der Ausbau des ÖPNVs und die Preisregulierung, um diesen wieder attraktiver zu machen? Warum werden dank Regionalplan und §13b Baugesetzbuch die Flächenversiegelungen rasant vorangetrieben, anstatt Altbestand zu sanieren und nachhaltige und klimagerechte Bauprojekte, wie z.B.Tiny - Modulbauweisen und GreenBuildings…, voranzutreiben?
Ich könnte hier noch mehr dieser „entsprechenden Maßnahmen“ aufzählen, aber das weiß jeder Mensch selber, welcher sich interessiert und informiert.
Jung, weiblich und dann auch noch kritisch. Das geht bei manchen Menschen, welche sich wohl eher zur rechts-konservativen Ecke zählen, gar nicht. Wir sollen wohl wieder zurück zu einem Frauenbild, welches sich aus der Politik rauszuhalten hat, um still und brav im trauten Heim die Lieben zu versorgen.
Zum Begriff „Wanderzirkus“, möchte ich gerne folgendes erklären: Es gibt einen Unterschied zwischen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit. Das sich diese „vermehrt junge Frauen“ und einige „junge Männer“ für eine globale Richtungsänderung einsetzen ist Klimagerechtigkeit. Das bedeutet auch bei Aktionen etc. mitzumachen, die nicht nur Heimat- und (Deutsch)Landgebunden sind!
Bei einem muss ich Herrn Graf allerdings recht geben, diese jungen Menschen haben noch keinerlei finanzielle Verpflichtungen und setzen ihre berufliche Zukunft aufs Spiel, um mit ihren „pfadfinderhaften“ und oft verzweifelten Aktionen die Bevölkerung und die Politik wachzurütteln. Um endlich ein Umdenken anzustoßen, um endlich eine enkeltaugliche, humane, klimagerechte und soziale Welt für alle Menschen zu schaffen!
Ach und zu ihrer Bemerkung, dass Deutschland von einer leichten Brise der „spätrömischen Dekadenz“ betroffen sei. Diese Brise kann sich auch zu einem Sturm entwickeln, wenn weiterhin, wie im römischen Reich die „Verteilungsungerechtigkeit“ zunimmt und „knapp ein Prozent der damals 50-80 Millionen Menschen den Reichtum unter sich aufteilen“! Die heutigen Zahlen sind anders, aber die Aussage bleibt die Gleiche! Sollten wir, wie das römische Reich untergehen, dann wären mir übrigens singende, kletternde und Baumhaus bauende junge Menschen viel, viel lieber als eine konservative Revolution!
M. Hafen, Horgenzell
der 3. Antwort-Leserbrief:
Sehr geehrter Herr Graf,
Die eigentliche Dekadenz, von der Sie im Zusammenhang mit Klimaaktivisten sprechen, ist für mich die Ignoranz, mit der viele Menschen der drohenden Klimakatastrophe begegnen und sogar Politiker ein “Weiter so” fordern.
Sie halten den jungen, kritisch denkenden Menschen eine erwerbstätige junge Generation als absolutes Ideal vor.
Diese junge Generation fügt sich ein in ein System, in dem Gewinnmaximierung, unbegrenzte Effizienzsteigerung und persönlicher Reichtum einerseits und maximaler Konsum andererseits oberste Priorität haben. Stichworte Spaß- oder Partygeneration und das Phänom Komasaufen...
Weder der menschliche Körper, noch seine Psyche sind in diesem System des Neoliberalismus und -kapitalismus langfristig überlebensfähig. Ich nenne nur Frühverrentung, Burnout und überfüllte Psychiatrien in den Industrieländern. In den südlichen Ländern sind es u.a. die von uns tolerierten und gewinnmaximierenden, menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen für Mensch und Kind(!), die die Menschen nicht alt werden lassen. Außerdem die unglaublich schlechte Bezahlung, die kein würdiges Leben zulässt und die Menschen dort ebenfalls in Verzweiflung und Alkoholismus treibt...
Die jungen Klimaaktivisten stoßen uns mit ihren verzweifelten Aktionen darauf, dass nun auch unser Planet Erde dieses Wirtschaftssystem nicht mehr mitmacht, und dass hauptsächlich die Länder unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden müssen, die ihn am wenigsten verursacht haben. Ihre Forderung nach“Klimagerechtigkeit” ist wohl weit ehrenwerter als die weitverbreiteten Alkoholexzesse auf Partys und leider auch zum Teil in den von Ihnen genannten Vereinen.
Die Klimaaktivisten halten unserem zerstörerischen und ausbeutenden Wirtschaftssystem etwas entgegen: die Forderung nach einem Systemwandel.
Ist es nicht höchste Zeit, dass wir unser Wirtschaften in den Dienst der Menschen und unserer natürlichen Umwelt stellen, in den Dienst wirklich aller Menschen der Erde?
Sie machen die jungen Klimaaktivisten und ihre Forderungen lächerlich. Doch sogar unsere scheidende Kanzlerin verneint Ihre These, die Regierungen würden ausreichende Maßnahmen gegen den Klimawandel anstrengen!
Und ist es nicht zum “auf die Palme gehen”, Herr Graf, wenn man sich den Zustand des Planeten und seiner Gesellschaften ansieht?
Genau das tun die Klimaaktivisten. Sie gehen auf die “Palme” respektive Bäume oder auch ausgewählten Organisationen aufs Dach, weil die Lage viel ernster ist, als Sie, Herr Graf, und viel zu viele von uns wahr haben wollen.
Es geht langfristig um das Überleben der Menschheit unter menschenwürdigen und gerechten Bedingungen.In Frieden auf einem grünen und blauen Planeten.
Ulla Köberle-Lang, Schlier
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