Süddeutsche Zeitung hier Von Michael Bauchmüller 5. März 2023
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Energieversorgung: Im Norden Deutschlands erzeugen Windräder mehr als genug Energie. Im Süden könnte man die gut gebrauchen. Nur kommt sie dort gar nicht erst hin. Deshalb müssen teure Gaskraftwerke anspringen. Wie kann das angehen?
.... 170 Megawatt Strom könnte der Park bei Senftenberg an sonnigen Tagen liefern, so viel wie ein halbes Gaskraftwerk. Aber nur 125 Megawatt kann er einspeisen. Der Solarpark läuft mit gebremster Kraft. „Die Quote ist sogar noch vergleichsweise hoch“, sagt Gärtner. „In Schleswig-Holstein haben wir Windräder, die weniger als die Hälfte ihres Stroms loswerden.“
Vorige Woche Freitag ist so ein sonniger Tag, jedenfalls in der Lausitz. Auch der Wind bläst recht ordentlich. Doch gut 500 Kilometer südwestlich, in Baden-Württemberg, schaltet die Warn-App für Stromkunden auf Orange. Der Strom ist knapp, in den Morgenstunden sollen Stromkunden ihren Verbrauch senken. Und diesen Freitag, genau eine Woche später, ist es schon wieder so weit. Am Abend ruft die App Stromkunden im Südwesten erneut zum Stromsparen auf – zum vierten Mal in diesem Jahr. Die Meldung bedeute aber nicht, „dass Stromabschaltungen zu befürchten sind“, beschwichtigt Baden-Württembergs Stromnetzbetreiber Transnet BW. Es gehe nur um „Sensibilisierung“.
Sensibel ist aber vor allem das, was zwischen Wind- und Solarparks im Norden oder Osten und der Warn-App im Süden liegt: das deutsche Stromnetz. Denn während die Bundesregierung den Turbo einlegen will beim Ausbau erneuerbarer Energien, während beschleunigte Verfahren Planung, Genehmigung und Bau vorantreiben sollen, krebst der Ausbau der Stromnetze weiter vor sich hin. Das Ergebnis: Überschüsse im Norden und Osten, teure Knappheiten im Süden – und keine Chance, dazwischen dauerhaft eine Balance herzustellen. „Wir baden hier gerade die Fehler der Vergangenheit aus“, sagt Klaus Müller, der Chef der zuständigen Behörde, der Bundesnetzagentur in Bonn. „Und das auf sehr verschiedenen Ebenen.“
Die Herausforderung ist bekannt, seitdem die Energiewende Fahrt aufnimmt, also seit mehr als zehn Jahren. Denn Windräder entstanden bisher mit Vorliebe dort, wo der meiste Wind weht: im Norden Deutschlands. Im Süden dagegen, wo die Landschaft hügeliger wird, galten sie nicht nur als weniger ertragsstark, sie waren auch weniger beliebt.
Neue Windparks entstanden dort, wo man sie am wenigsten sieht: in Nord- und Ostsee.
Rund die Hälfte des erneuerbaren Stroms wird aus Wind erzeugt. Nur: Wie kommt er zu Verbrauchern im Süden?
Die Debatte darüber zählt mittlerweile zu den traurigeren Kapiteln der deutschen Energiewende. Neue Stromautobahnen sollten her, einmal längs durch die Republik, von Nord nach Süd. Doch gerade in Bayern formierte sich der Widerstand gegen die „Monstertrassen“, bis hinauf in die Landesregierung. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland mitten im Rennen die Pferde wechselte: Nicht mehr an Strommasten sollten die Leitungen durchs Land führen, sondern unter der Erde verbuddelt, als Erdkabel. „Das ist, wie wenn einem beim Hausbau plötzlich einfällt, dass man den Keller vergessen hat“, sagt Behördenchef Klaus Müller. „Da kann man den ganzen Bauplan wegwerfen.“ Aber ist der Bau der Stromleitungen leichter geworden, seitdem sie in der Erde verschwinden? „Nein“, sagt Müller. „Nichts ist einfacher geworden. Die Konflikte verschwinden ja nicht einfach, nur weil man die Leitung nicht mehr sieht.“
Vier große Netzbetreiber sind für den Bau dieser Stromautobahnen zuständig. Tennet im Norden und Teilen des Südens, Amprion im Westen, Transnet BW im Südwesten. Und 50 Hertz im Osten.
2027 soll die Leitung fertig werden, und das meiste läuft auch nach Plan. Noch. Wo dereinst die Bagger eine Mulde für das Kabel ausheben sollen, sind nun Archäologen unterwegs. Und wo gesucht wird, gibt es auch Funde: im Dezember etwa die Fundamente eines 800 Jahre alten Gehöfts in Thüringen. Bisher, so heißt es bei 50 Hertz, verzögere das den Bau der Leitung nicht. Schließlich ist der Abschnitt noch nicht einmal genehmigt.
So geht es bei Tausenden Kilometern neuer Leitungen im Land:
Quelle: Bundesnetzagentur; Stand: Ende Sept. 2022 (teilweise Trassenkorridore)
Von mehr als 14 000 Kilometern, die aus- oder neugebaut werden sollen, waren Ende vorigen Jahres nur 2300 fertig
1200 Kilometer befanden sich im Bau.
Der Rest ist entweder im Genehmigungsverfahren ...
... oder noch in Planung.
Die Dinge hätten sich zwar zuletzt beschleunigt, heißt es etwa bei Amprion. „Aber wir sind noch lange nicht schnell genug.“ Der Verzug lässt sich in Heller und Pfennig ausrechnen, gemessen wird er in sogenannten Redispatch-Kosten. Denn wenn es im Norden zu viel Strom gibt und im Süden zu wenig, müssen an der Küste Windmüller ihre Anlagen drosseln, während an den Alpen Gaskraftwerke anspringen müssen, um das Netz stabil zu halten. Beides kostet Geld, viel Geld. 2021 fielen mehr als zwei Milliarden Euro an. Allein im ersten Halbjahr 2022 waren es bereits 2,2 Milliarden Euro, mehr als im ganzen Jahr davor. Die hohen Gaspreise hatten die Kosten dafür noch einmal massiv steigen lassen.
Doch ehe die großen Stromautobahnen fertig sind, werden noch etwa vier Jahre ins Land ziehen – während die Bundesregierung das Ausbautempo bei Wind und Solar verdreifachen will und während immer mehr Elektroautos und Wärmepumpen um Elektrizität buhlen. Rasen hier zwei Züge aufeinander zu? „Natürlich ist das ein moving target“, sagt Behördenchef Müller. Aber es sei eben auch beides nötig, mehr Leitungen und mehr Ökostrom. Auch beim Netzausbau nehme das Tempo erkennbar zu. „Und wenn es ein Ereignis gibt, mit dem die Akzeptanz schlagartig gewachsen ist, dann war es der Beginn des Kriegs in der Ukraine“, sagt er. Just am Freitag haben Bundestag und Bundesrat der „Notfallverordnung“ der EU zugestimmt, einer weiteren Reaktion auf den Krieg. Sie soll auch die Genehmigungsverfahren für neue Netze noch einmal beschleunigen. „Im Übrigen gilt: Wer in der Energiewende kein Optimist ist, hat den Beruf verfehlt“, findet Müller.
Die Dinge kommen auch an anderer Stelle in Bewegung. Der Bundestag berät derzeit ein „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ – allein der Titel spricht Bände. Die Idee ist nicht neu: Smarte Stromzähler könnten das übernehmen, wozu Menschen in Baden-Württemberg derzeit eine App animieren soll – sie könnten einen Teil des Verbrauchs in Zeiten verlagern, in denen Strom besonders günstig ist. Haushalte könnten dann ihre Stromspeicher füllen, das E-Auto laden, Warmwasser erzeugen. Und genau darauf verzichten, wenn Strom knapp und teuer ist. Doch rund um die smarten Apparate schufen frühere Regierungen so viele Hürden, dass sie nie in großer Zahl auf den Markt kamen. Das soll sich ändern.
Und auch Brüssel macht Druck. Dort reift die Idee, Europas Strommärkte in kleinere Teilmärkte aufzuteilen. Erste Vorschläge dafür hat Europas Netzagentur Acer schon unterbreitet. Deutschland könnte so in verschiedene Zonen zerfallen, in denen die Strompreise unterschiedlich hoch sind.
Im Norden wäre der Strom dann meist günstiger als im Süden – jedenfalls so lange, wie ausreichend große Leitungen fehlen und die südlichen Bundesländer nicht selbst deutlich mehr Ökostrom produzieren. In Letzterem sehen Experten ohnehin einen Schlüssel zur Lösung. „Wenn wir die Erneuerbaren rascher und insbesondere dort ausbauen würden, wo der Strom gebraucht wird, könnten wir uns einen großen Teil des Netzausbaus sparen“, sagt etwa der Berliner Energieökonom Christian von Hirschhausen. Nur sind eben auch schon viele Windräder gebaut – im Norden.
In der Lausitz verfolgt Heinrich Gärtner noch einen anderen Plan, denn der Solarpark soll weiter wachsen. Doch der überschüssige Strom dürfte demnächst nicht mehr in das Netz fließen, sondern in einen Elektrolyseur. Er erzeugt aus Wasser und Energie speicherbaren Wasserstoff, an einer Tankstelle sollen Lastwagen ihn tanken können. Bis die Netze so weit sind, will Gärtner nicht warten.
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