Mittwoch, 5. Januar 2022

"Die Tiere warten"

Südkurier  04.01.2022  |  VON BEATE SCHIERLE  hier

NEUER LANDWIRTSCHAFTSMINISTER 

Ein paar Schlagzeilen aus den letzten Tagen: Immer mehr Schweinebauern in Deutschland geben auf, weil sich die Arbeit nicht mehr lohnt. Seit Jahresanfang ist das Töten männlicher Küken verboten; stattdessen wird ihr Geschlecht im Ei bestimmt. Die Discounter warben zu Silvester mit Billig-Fonduefleisch, das etwa ein Drittel von dem kostet, was ein guter Metzger verlangt. An die regelmäßig verunglückten Tiertransporter haben wir uns inzwischen gewöhnt. Nur die grauenhaften Stallbrände mit Tausenden eingesperrten und verbrannten Schweinen sorgen noch für kurze Aufmerksamkeit.

Es läuft etwas schief in der Landwirtschaft in Deutschland, das ist inzwischen vielen klar. Nur, wie kommt man aus diesem System wieder heraus, das Millionen Tiere leiden lässt, die Umwelt verdreckt und Landwirten keinen anständigen Lebensunterhalt mehr bietet?

Auf Cem Özdemir, dem neuen Landwirtschaftsminister, ruhen hohe Erwartungen. Der Grüne, der selbst vegetarisch lebt, kündigte schon einmal an, vom System des Billigfleischs Abschied nehmen zu wollen; es gebe kein Menschenrecht darauf. Er wolle niemanden missionieren, schob er noch nach. Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) hatte jahrelang auf Freiwilligkeit gesetzt, was hauptsächlich auf Nichtstun herauslief.

Özdemir hat angekündigt, endlich eine verpflichtende Kennzeichnung für die Haltungsform von Tieren einzuführen. Doch er bewegt sich im Spannungsfeld zweier anderer Mächte: erstens der Bundesländer und zweitens der EU. In Baden-Württemberg ist Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) bislang nicht durch besondere Tierfreundlichkeit aufgefallen. Mehrere Schlachthofskandale im ach so sauberen Ländle zeugen davon.

Unlängst erklärte Hauk, man könne doch die Mehrwertsteuer auf Fleisch und Milch erhöhen, die Erlöse in mehr Tierwohl stecken und im Gegenzug den Satz für Obst und Gemüse senken, die für Menschen mit wenig Geld sehr teuer geworden sind. Eine schöne Idee, der ihn als Landesminister freilich wenig kostet. Die Schlachthofaufsicht und Sanktionen bei Missständen – das wäre seine Baustelle.

Und dann gibt es ja noch die EU, die die Rahmenbedingungen setzt. Sie geht viel zu zögerlich voran beim Umbau zu einer umweltschonenderen, tierfreundlicheren Landwirtschaft. Zu lange schien der unausgesprochene Grundsatz zu gelten: Lebensmittel müssen billig sein. Es wurden große Betriebe gehätschelt und kleine entmutigt. Bis heute hat man es nicht geschafft, trotz Hunderttausenden Unterschriften, den Lebendexport von Schafen und Rindern abzustellen, denen im Nahen Osten ein grausames Ende droht.

Aber auch die Verbraucher sind gefragt. Es muss in unser aller Interesse liegen, dass die deutsche Landwirtschaft existenzsichernd und umweltschonend produzieren kann und wir wichtige Lebensmittel wie Getreide, Fleisch und Eier nicht importieren müssen. Das geht aber nur, wenn Verbraucher auch anständige Preise bezahlen. In einem Versuch griffen drei Viertel der Konsumenten zum Billigstangebot, nur ein Viertel war bereit, für Tierschutz mehr auszugeben. Es stimmt, nicht alle können sich Bio leisten. Aber wenn die Politik nicht einen gewissen Mindeststandard vorgibt, wird dieser nie kommen.

Der Wirtschaftsinformatiker Tobias Gaugler von der Universität Augsburg verglich unlängst die Umstrukturierung der Landwirtschaft mit dem Kohleausstieg. Das zeigt die Dimension des Ganzen, aber auch, dass man das nicht von heute auf morgen schaffen kann. Freilich: Irgendeiner muss anfangen. Die Tiere warten.

Cem Özdemir hat also ein hübsches Stück Arbeit vor sich. Wenn er alles, was er auf Bundesebene tun kann, auch wirklich angeht und seine Länderkollegen ihn auf dem Weg unterstützen, könnte das klappen. Dann spricht auch nichts dagegen, sich am Sonntag mal ein gutes Stück Fleisch zu gönnen. beate.schierle@suedkurier.de 

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