Brief an das Regierungspräsidium Tübingen vom 25. April 2020
Um
unsere rechtlichen Bedenken abklären zu lassen haben wir diesen Brief
verfasst, in dem unsere Bedenken und Recherchen in sehr komprimierter
Form dargelegt werden.
Nach
unserer Auffassung hat die vom Regionalverband vorgelegte Planung
diverse Mängel, darunter auch einen fundamentalen Formfehler.
Verantwortlich für diesen Formfehler ist der fehlende
Landschaftsrahmenplan innerhalb der Fortschreibung des Regionalplans und
die somit fehlende Gesamtabwägung. Diese ist jedoch vom Gesetzgeber
gefordert.
Laut BNatSchG § 9 sind vollständige Angaben über den vorhandenen und
zu erwartenden Zustand der gesetzlichen Schutzgüter (§ 1) zu machen,
eine Konfliktanalyse durchzuführen und Entwicklungsziele für die
Schutzgüter zu erarbeiten. Aus den Einzelzielen ist eine schlüssige
Zielkonzeption zu erarbeiten, d. h. die Einzelziele sind gegeneinander
abzuwägen und ggf. sind Prioritäten zu setzen. Die Ziele sind bei der
Regionalplanung zu beachten und Abweichungen zu begründen (§ 9 (5)
BNatSchG).
D. h. solange keine eigenständige Landschaftsrahmenplanung mit einem
abgestimmten Gesamtkonzept vorliegt, fehlt die wichtigste
Abwägungsgrundlage und die Fortschreibung der Regionalplanung ist
formfehlerhaft.
Die vom Regionalverband im Zuge der
Landschaftsrahmenplanung in Auftrag gegebenen Fachbeiträge nur für
Umweltgüter sind hierfür nicht ausreichend.
Da der Landschaftsrahmenplan
erst durch die Übernahme in die Regionalplanung seine Rechtsgültigkeit
erhält, erscheint eine Aufstellung nach der Fortschreibung widersinnig.
Die Erstellung des Landschaftsrahmenplans ist eine der Kernaufgaben der
Regionalplanung, weshalb wir der Ansicht sind, dass sein Fehlen die
Rechtsgültigkeit der Fortschreibung infrage stellt.
Aus
diesem Grund erbitten wir zu diesem kritischen Punkt Ihre
Rechtsauffassung.
Des Weiteren möchten wir Ihren Blick auf die spezielle
Situation in Salem lenken. Auch hier weist der Planentwurf nach unserem
Dafürhalten kritische Punkte auf, zu denen wir gerne Ihre rechtliche
Auffassung hören würden.
Wie
Sie dem diesem Anschreiben angehängten Sammeleinwand entnehmen können,
spricht sich das Aktionsbündnis Grünzug Salem gegen die Ausweisung von
27 ha VRG für Industrie und Gewerbe in Salem Neufrach aus, siehe hierzu
auch https://aktionsbündnis-salem.de/.
Nach
unseren intensiven Studien der Unterlagen des RVBO erscheint es uns
äußerst wichtig, die Beurteilung nicht nur im Hinblick auf die
lückenhaft erstellten und nicht vernetzten Umweltgutachten zu gründen,
sondern die Gesamtfortschreibung zu betrachten.
Klimatische Situation
Laut
Klimafibel und Klimagutachten des RVBO handelt es sich bei genanntem
Gebiet um eine Frischluftschneise. Das Bodenseebecken gehört nach
Angaben des Klimaatlas‘ Baden-Württemberg zu den am schlechtesten
belüfteten Regionen, daher ist ein Zufluss von Kaltluft über die
Flusstäler der Region von übergeordneter Bedeutung für diesen
Verdichtungsbereich.
Während
der Vorstellung des Regionalplans wurde von Verbandsdirektor Franke
immer wieder auf das klimakritische Schussental hingewiesen, dessen
Kaltluftbewegungen sich zum Bodensee hin ausrichten und die auf keinen
Fall durch weitere Siedlungsbereiche blockiert werden dürfen.
Das Salemer Tal ist genauso betroffen. Im Klimagutachten des RVBO
REKLIBO Band 2 werden als wichtige Kaltluftbecken das Schussental, das
Salemer Tal und das Wilhelmsdorfer Becken erwähnt.
Im
Band 3 des Gutachtens steht ausdrücklich: „Im Mündungsbereich des
Deggenhauseraachtals befinden sich auf engem Raum die Siedlungskörper
von Stefansfeld, Neufrach und Mimmenhausen, außerdem das Gewerbegebiet
um den Bahnhof Salem. Diese stark versiegelten Flächen durchziehen das
Becken hier auf seiner ganzen Breite und bilden eine Art künstlichen
Querriegel.“
Abbildung 1: REKLIBO Band 3, Abb. 50: Bergwindsystem, intensiver Kaltluftstrom
Die
Behinderung des Kaltluftstroms würde durch die Erweiterung des
Industriegebiets noch einmal signifikant verstärkt werden. Das
widerspricht der Vorsorgefunktion des Regionalplans (vgl. Handlungshilfe “Klimawandelgerechter Regionalplan” von 2017).
Nach
der Darstellung in Band 1 hat die Region Salem eine hohe Tageszahl an
Talnebellagen. Daher ist eine gute Durchlüftung umso wichtiger, zumal
Salem nur über schwache mittlere Windgeschwindigkeiten verfügt und eine
hohe Tageszahl mit Wärmebelastungen ausweist. Das bereits bestehende
Gewerbegebiet fungiert als großer Wärmespeicher, der nachts Wärme
abstrahlt und die Kaltluftströme von den Hängen behindert. Dadurch kühlt
die Luft in den umliegenden Teilorten nachts nicht mehr ausreichend ab.
Nach
unserem Wissensstand wurde in der Fortschreibung des Regionalplans 1996
das genannte Gebiet als regionaler Grünzug ausgewiesen, um einer
Zersiedelung des Salemer Tals entgegen zu wirken, und aufgrund der
kritischen klimatischen Bedingungen.
Diese Kriterien haben Stand heute
sicherlich an Bedeutung gewonnen (Klimawandel, schlechtere Durchlüftung
durch weitere Bebauung, Zusammenwachsen der Teilorte Buggensegel,
Neufrach, Mimmenhausen, siehe hierzu Abbildung 2 unten). Deshalb hat die
Ausweisung eines regionalen Grünzuges an dieser Stelle immens an
Bedeutung gewonnen, die Rücknahme ist somit nicht plausibel.
Abbildung
2: Eigene Darstellung aufgrund der Daten aus dem
Umweltinformationssystem (UIS) der LUBW Landesanstalt für Umwelt
Baden-Württemberg
Somit
stellt sich die Frage, warum Grünzüge, gerade in sensiblen Gebieten, in
denen die Begründung für ihre Ausweisung in besonderem Maße gilt
aufgehoben werden dürfen, ohne dass neuere Gutachten plausibel belegen,
warum der Schutzstatus entfallen kann.
Verkehrssituation
Im
Zuge der Planung zur Fortschreibung des Regionalplans beantragte die
Verwaltung von Salem (ohne Gemeinderatsbeschluss) die Verlegung der
Landesentwicklungsachse über Salem.
Diese sogenannte Entwicklungsachse Ravensburg – Überlingen über Salem
ist jedoch, anders als im Regionalplan dargestellt, verkehrstechnisch
keine durchgehende, leistungsfähige Achse.
Ertüchtigung der Bahnlinie
Wir
begrüßen ausdrücklich die Zielsetzung, zukünftige VRG am bestehenden
Schienennetz zu entwickeln, um so eine Verlagerung des Verkehrs von der
Straße auf die Schiene zu erlangen, insbesondere als in Salem
überwiegend Produktions- und Logistikbetriebe mit erheblichem
Gütertransport angesiedelt werden sollen. Ausdrücklich möchten wir aber
darauf hinweisen, dass dieses Ziel in Salem nicht erreicht werden kann.
Das
bestehende Schienennetz wird weit über den Zeitpunkt der Fortschreibung
hinaus (sprich 2035) nicht die für eine entsprechende
Leistungsfähigkeit nötige Zweigleisigkeit aufweisen. Weder im Plangebiet
noch in der Anbindung nach außen (Pfullendorf, Sigmaringen, Stuttgart
etc.) ist hier mit einer zeitnahen und effektiven Lösung für den
Güterverkehr zu rechnen.
Die
Ausweisung des VRG in Salem ohne Anbindung an ein Schienennetz, das für
den Güterverkehr nur unzureichend entwickelt werden kann, wird nicht zu
einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene führen.
Da Salem auch über keine leistungsfähige Straßenanbindung des
Gewerbegebietes verfügt, wird das zwangsläufig zu einem höchst
umstrittenen Straßenneubau führen.
Ortsumfahrung Bermatingen – Neufrach
Auch
die Planer im RVBO scheinen sich der eingeschränkten Leistungsfähigkeit
der bestehenden Schienen- und Straßenanbindung durchaus bewusst zu
sein. So wurden die OU Bermatingen und Neufrach, obwohl nicht
Bestandteil des BVWP und 2015 aus dem Impulsprogramm des Landes
gestrichen, als Vorschlag in den Textteil der Fortschreibung
aufgenommen.
Dieses
Vorgehen steht für uns im Widerspruch zu § 2 ROG Abs.2 Nr.6: „Die
erstmalige Inanspruchnahme von Freifläche für Siedlungs- und
Verkehrszwecke ist zu verringern, insbesondere durch […] Entwicklung
vorhandener Verkehrsflächen.“
Abbildung 3: Eigene Darstellung auf Grundlage Open Street Map
Auch
wird Salem nicht an die geplante Hinterlandtrasse der B31neu
angeschlossen, da die zukünftige Ortsumfahrung Bermatingen-Neufrach
nicht nach Westen in Richtung Überlingen weitergeführt wird, sondern im
Salemer Industriegebiet endet. Das hat zur Folge, dass der Verkehr von
und nach Überlingen über Landesstraßen oder Gemeindestraßen und somit
durch die Nachbar- und Teilorte Salems geführt werden muss.
-
Die Entfernung des Industriegebiets zur zukünftigen B31 (Anschluss
südwestlich von Ittendorf) beträgt 9 km.
- Die Entfernung von Neufrach nach Überlingen über die Landesstraße via
Mühlhofen beträgt 13 km, über die geplante OU Neufrach-Bermatingen
jedoch 25 km.
-
Die kürzeste und derzeit schnellste Strecke mit 12 km bleibt immer
noch die über das Hinterland durch Neufrach, Mimmenhausen, Stefansfeld,
Tüfingen und Deisendorf.
In den Salemer Teilorten sind aber gerade diese Durchfahrten bereits
extrem belastet. Einen Vorgeschmack auf die geplante Entwicklung
erhalten die Bürger regelmäßig bei Sperrungen der B31 aufgrund von
Bautätigkeiten, bei denen dann die Ausfahrt aus den Hofeinfahrten schon
zum Wagnis wird.
Die
Zielvorgabe des LEP ist es, Siedlung und Gewerbe an der vorhandenen
Infrastruktur auszurichten, um weiteren Flächenverbrauch zu minimieren.
Da Salem jedoch weder über eine leistungsfähige Schienen- noch
Straßenanbindung verfügt, konterkariert die Ausweisung als VRG für
Gewerbe die Zielsetzung des LEP.
Landwirtschaftliche Situation
Ausdrücklich
möchten wir an dieser Stelle nochmals auf den Bereich Boden und Klima
hinweisen. Laut Unterlagen des RVBO weist das Gebiet einen hohen bis
sehr hohen Anteil organischer Feuchtböden nach der Bodenkarte BK 50 bei
einem Moor- und Auenbodenanteil von jeweils mindestens 10 % auf.
Zudem
handelt es sich um gute bis sehr gute landwirtschaftliche Böden der
Vorrangstufe die seit vielen Jahren von ortsansässigen Landwirten
genutzt werden und für deren wirtschaftliches Überleben von großer
Bedeutung sind. Der zuständige Landwirt und Vorsitzende des
Ortsverbandes des BLHV untermauert die Bodenqualität, wenn er von
überdurchschnittlich hohen Erträgen spricht.
Unsere
Landwirte leiden schon lange unter schwierigen Betriebsbedingungen:
stark steigende Pachtpreise, längere Anfahrtswege zu den Feldern,
zunehmende Zersplitterung der zu bewirtschaftenden Böden. Zusätzlich
würden den Betrieben mit der Versiegelung von weiteren 27 ha nicht nur
sehr ertragreiche Böden entzogen, sondern sie werden i. d. R. weitere
Flächen „opfern“ müssen, um den Bedarf an vorgeschriebenen
Ausgleichsflächen bei baulichen Eingriffen zu befriedigen.
Hier wird einfach Wirtschaft gegen Landwirtschaft ausgespielt, ohne
zu berücksichtigen, dass das in Rede stehende Gebiet bereits ökonomisch
sinnvoll und mit nachhaltigem Ertrag genutzt wird. Dies durch
Industriebetriebe zu ersetzen, deren Nachhaltigkeit und Rentabilität im
Vorfeld noch völlig unklar ist, und weitere Industriebrachen zu
riskieren, ist auch ökonomisch nicht zielführend.
Im
Gegensatz zum Regionalplanentwurf von 1996 weist die nun vorliegende
Gesamtfortschreibung keine gesondert ausgewiesenen Vorranggebiete für
die Landwirtschaft aus und ist auch aus diesem Grund unserer Auffassung
nach nicht rechtskonform in der Abwägung aller Schutzgüter.
Höherstufung
Verflechtungsbereich
Die
Höherstufung Salems zum Unterzentrum sehen wir extrem kritisch
bezüglich des Verflechtungsbereiches. Im LEP wird als Ziel formuliert:
„Unterzentren sollen als Standorte von Einrichtungen und Arbeitsplätzen
so entwickelt werden, dass sie auch den qualifizierten, häufig
wiederkehrenden Bedarf eines Verflechtungsbereichs der Grundversorgung
decken könnten.
Die Verflechtungsbereiche sollen im Ländlichen Raum
mindestens 10.000 Einwohner umfassen.“
Sowohl
Salem als Flächengemeinde, als auch der GVV Salem, Frickingen und
Heiligenberg werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Wir
zweifeln jedoch an dieser Aussage, da die Anbindung an andere nah
gelegene Orte (MZ Pfullendorf, MZ Überlingen, UZ Markdorf) mindestens
genauso stark ausgeprägt ist. Bei den Orten des GVV handelt es sich um
Flächengemeinden, die sich am jeweils nächsten größeren Ort orientieren,
selbst die Salemer Teilorte orientieren sich differenziert. So sind
Mittelsten- und Oberstenweiler typischerweise nach Markdorf
ausgerichtet, Mimmenhausen, Stefansfeld und Tüfingen dagegen nach
Überlingen etc.
Hinzu
kommt, dass die genannten MZ und UZ im Gegensatz zu Salem über
umfassende Schulstandorte verfügen, wodurch ein Teil der Bevölkerung
dahin orientiert bleibt.
Einzelhandel
Im Einzelhandelskonzept Salem 2011 ist festgehalten:
„Der
Salemer Einzelhandel ist einem hohen regionalen Wettbewerbsdruck
ausgesetzt. Dies gilt sowohl für mittel- und langfristige Bedarfsgüter
als auch für die des kurzfristigen Bedarfes (v. a. Nahrungs- und
Genussmittel, Drogeriewaren).
Bedeutendste Angebotsstandorte im unmittelbaren Umfeld der Gemeinde
Salem sind zum einen das Mittelzentrum Überlingen sowie das Unterzentrum
Markdorf. Neben den beiden Innenstädten dürfte vor allem das
Einkaufszentrum „la Piazza“ in Überlingen von der Salemer Bevölkerung
aufgesucht werden. Mit Fahrzeiten von 10 bis 15 Minuten sind diese zudem
vergleichsweise schnell zu erreichen.“
Salem
würde direkt mit dem nahen UZ Markdorf in Konkurrenz treten, soweit es
um den Einzelhandel geht. Dazu kann man anmerken, dass dieser in
Markdorf noch weitgehend existent ist, wenn auch hier immer wieder von
einzelnen Leerständen die Rede ist. In Salem ist jedoch der Großteil der
ehemaligen Geschäfte vor allem in der ehemaligen Geschäftsstraße
Bahnhofstraße weggebrochen und wurde nicht ersetzt. Bei den restlichen
Geschäften ist absehbar, dass noch weiterer Schwund erfolgen wird.
Zusammenfassend
sind wir der Meinung, dass insbesondere die mangelnde
Verkehrsanbindung, die klimatischen Bedingungen sowie die Situation
unserer Landwirte eine Ausweisung Salems als VRG für Industrie und
Gewerbe der Zielsetzung des LEP zuwiderläuft und nicht weiterverfolgt
werden sollte. Im vorgelegten Regionalplanentwurf vermissen wir – nicht
nur im Hinblick auf Salem – einen zukunftsweisenden, nachhaltigen Umgang
mit unseren Lebensgrundlagen.
Über eine Beantwortung der rechtlich kritischen Punkte Ihrerseits würden wir uns sehr freuen,
Mit freundlichen Grüßen
Für das Aktionsbündnis Grünzug Salem
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